Schulen und Universitäten
    Inhalt:
    Koptische und muslimische Grundschulausbildung in früheren Zeiten
    Ägyptischer Schulalltag
    Brief eines Betroffenen
    Wie die DEO als Begegnungsschule überleben kann
    Begegnung – Pädagogischer Anspruch und schulische Realität
    Probleme binationaler Kinder an der DEO
    Germanistik an Kairos Universitäten – Fachkompetenz und Intoleranz
    Ein Besuch beim Mubarak-Kohl-Projekt in 6th of October City

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Koptische und muslimische Grundschulausbildung in früheren Zeiten
von Hans Lerchbacher

Papyrus-Logo Nr. 5—6/85, pp. 46—47

Der hohe Prozentsatz von Kopten, die bis in die jüngste Vergangenheit wichtige Funktionen in der Staatsverwaltung innehatten, schien manchem muslimischen Ägypter bedenklich, nicht zuletzt deswegen, weil er darin eine der Folgen englischer Verwaltungspolitik zu erkennen glaubte und meinte, daß das koptische Element im Verwaltungsapparat gerade durch die sich gleichfalls zum Christentum bekennenden britischen Machthaber gefördert worden sei. In Wahrheit aber handelten die Briten kaum anders als alle muslimischen Machthaber in Ägypten vor ihnen. Schon die arabischen Eroberer des siebten nachchristlichen Jahrhunderts ließen die Verwaltung, die sich ja zunächst ausschließlich auf das Festsetzen und Eintreiben von Steuern konzentrierte, in den Händen der mit den lokalen Verhältnissen vertrauten einheimischen Spezialisten. Über ein Jahrtausend hindurch waren die der koptischen Minderheit angehörenden Verwaltungsbeamten die Garantie für das pünktliche Eintreffen jener Steuergelder, die die muslimischen Machthaber in Ägypten für die Verwirklichung ihrer politischen, kriegerischen und künstlerischen Absichten so dringend benötigten.

Diese Verhältnisse spiegeln sich auch in der traditionellen koptischen Grundschulausbildung wider, die in dieser Notiz dem Bildungsgang an muslimischen Koranschulen gegenübergestellt werden soll.

Vor der Übernahme westlicher Bildungseinrichtungen, die seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts erfolgte, gab es sowohl für Kopten als auch für Muslime private Elementarschulen, die als "kuttab" bezeichnet wurden.

Solche Schulen, die oftmals als fromme Stiftungen betrieben wurden, gab es auch in kleineren Dörfern. Der Lehrer erhielt von den Eltern der Schulkinder regelmäßig kleine Geschenke. Die muslimischen Knaben, die eine derartige Schule besuchten, wurden zunächst mit den Buchstaben des Alphabets und mit dem Zahlenwert der arabischen Buchstaben vertraut gemacht und lernten das Lesen einfacherer Worte, vor allem von Namen und einigen religiösen Formeln. Auch die Kenntnis der 99 "Schönen Namen Gottes", der asma al husna, gehörten zum Lernpensum der Schüler. Wichtig war natürlich die Lektüre des Koran, die mit der Fatiha begonnen und mit der letzten Sure fortgesetzt wurde. Von den kürzeren Koranabschnitten, die ja an den Schluß des Heiligen Buches gestellt sind, arbeitete sich der Schüler zu der zweiten Sure vor, die auch die längste ist. Wie Edward William Lane vermerkt, kam es bei diesem Koranunterricht allerdings lediglich darauf an, den Koran lesen zu können; auf das Verständnis des Textes wurde geringerer Wert gelegt, und auch die Kunst des Schreibens stand gegenüber der des Lesens im Hintergrund.

Unterricht

Auch die Kopten hatten ihren kuttab, in dem sie nach den Worten eines Autors des 17. Jahrhunderts "religion, good manners, to read and write Arabic and Coptic" lernten. Als wichtigste religiöse Texte wurden im Unterricht die Psalmen, die Briefe des Apostels Paulus und die Evangelien eingelernt, doch beschränkte sich der Unterricht des Koptischen am Ende des 18. Jahrhunderts auf die Lektüre und Erklärung (in arabischer Sprache!) einiger weniger theologisch als wesentlich empfundener Texte.

Interessant ist die Beobachtung europäischer Reisender, daß offenbar alle koptischen Knaben einen Elementarunterricht in koptischen Schulen genossen und daß in Oberägypten auch die meisten christlichen Mädchen in den kuttab geschickt wurden, wo sie bis zum achten oder neunten Lebensjahr zusammen mit den Knaben am Unterricht teilnahmen.

Außer der religiösen Ausbildung erhielten koptische Kinder auch Unterricht in Geometrie und Arithmetik, was für eine Reihe von Berufen wichtig war, die in Ägypten als Betätigungsfeld koptischer Spezialisten galt.

Da ja in jedem Jahr nach dem Abklingen der Überflutungsperiode die Grenzen von Grundstücken oftmals nicht mehr zu erkennen waren, mußte man im Falle von Streitigkeiten die Hilfe von Feldvermessern beanspruchen, die durchweg der koptischen Minderheit angehörten. Der Steuerpächter und Steuereintreiber, der den voraussichtlichen Ernteertrag eines Feldes je nach Ausfallen der Nilüberschwemmung alljährlich neu einzuschätzen hatte, mußte über ein Minimum an mathematischen Kenntnissen verfügen, wenn er seine Tätigkeit für sich profitabel machen wollte. Schließlich waren es meist Kopten, die in den Kanzleien muslimischer Großgrundbesitzer damit beschäftigt waren, die finanziellen Angelegenheiten ihrer Herren in Ordnung zu halten.

Wer einen dieser Berufe ergreifen wollte oder eine Funktion in der Staatsverwaltung anstrebte, mußte bereits im kuttab mathematische Grundkenntnisse erworben haben, um als Lehrling von einem Lehrherren aufgenommen zu werden. Da es aber nur im koptischen kuttab eine derartige Ausbildung gab, waren Muslime allein schon aus diesem Grunde von den "koptischen Berufen" ausgeschlossen.

Zwar konnte sich ein Muslim, der Wert auf praktisch orientierte mathematische Kenntnisse legte, bei einem der öffentlichen Wiegemeister (qabbân) ausbilden lassen, doch war im muslimischen Schulwesen die Mathematik ein wichtiger Bestandteil erst der höheren religiös orientierten Ausbildung. Erst in der madrasa erwarb man u.a. jene mathematischen Fähigkeiten, die es ermöglichten, den Kalender zu berechnen, die Gebetszeiten und die religiösen Feiertage zu bestimmen oder in Todesfällen die Erbschaft gemäß der äußerst komplizierten muslimischen Erbschaftsgesetze zu verteilen.

Unterricht

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Ägyptischer Schulalltag
zusammengestellt von Elisabeth Claus

Papyrus-Logo Nr. 5—6/85, pp. 13—16

PAPYRUS versuchte, Lehrerinnen und Lehrer aus ägyptischen Schulen anzuregen, zu schreiben über ihre persönlichen Erfahrungen, ihre Schwierigkeiten in einem Beruf, der nicht gerade fürstlich bezahlt und oft unter schwierigen Bedingungen ausgeführt wird. Aber neben sprachlichen Verständigungsproblemen gab es noch andere Hindernisse: so fehlt es vielen Lehrern gerade im – bisher so – vernachlässigten Grundschulbereich an vergleichbarer Erfahrung, um ihre Schulsituation zu reflektieren und denjenigen, die diese Erkenntnisse besitzen, mangelt oft der Mut, sich zu äußern.

Aber zwei Briefe haben wir doch bekommen und wir möchten sie möglichst unverändert wiedergeben, da wir glauben, daß wir damit die Intentionen der Schreiber am unmittelbarsten wiedergeben.

Erster Brief

29.3.1985, Kairo:

Man kann das Thema "die ägyptischen Lehrer" nicht nur durch eine ich-bezogene Perspektive behandeln. Man soll erkennen, daß der Lehrer nicht so allein in seiner Welt herumgeht, sondern daß ihn die gesellschaftlichen Bedingungen bewegen: Wie wird er qualifiziert; warum wählt er diese Art von Qualifizierung aus; wie ist er zwischen den anderen Absolventen; wie weit ist sein Studium mit der Arbeit des Lehrers verbunden; wird er bezahlt, wie er gearbeitet hat oder wird er benachteiligt??

Wir sprechen hier nicht über alle Lehrer, sondern über die Lehrer, die in der Pädagogischen Fakultät studiert haben. Der Student soll das Abitur mindestens mit 64% bekommen, damit er an der Pädagogischen Fakultät studieren kann. Also mehr als 50% kommen in diese Fakultät wegen der Noten. Die Gesellschaft ist davon überzeugt, daß diese Studenten nicht so hochintelligent wie z.B. ihre Kollegen in der Medizinischen Fakultät sind. Alle Leute respektieren einen Arzt oder Architekten mehr als einen Lehrer. Deshalb fühlt sich der Lehrer unsicher und arbeitet nicht gern. Er fühlt sich seelisch (wegen dieser Respektlosigkeit) benachteiligt; aber ist er nicht auch materiell benachteiligt? Man sagt, "natürlich nicht, denken Sie an die Privatstunden oder an Saudi-Arabien!" (Anm. 1)

In den 20er und 30er Jahren war der Lehrer-Beruf die beste Arbeit, denn das Geld und die Arbeit paßten zueinander. Aber jetzt entspricht das Geld der Arbeit eines idealen Lehrers nicht. Was ist denn die Lösung?

Der Lehrer soll nicht so gut arbeiten, damit er seine Kraft für andere Arbeiten sparen kann. Andererseits: Die Schüler wollen den Erfolg, deshalb verlangen sie von ihm die Privatstunde, obwohl das falsch und unrespektabel ist.

Die Eltern bezahlen viel Geld für den Lehrer, aber sie hassen ihn, als ob er ein Straßenräuber wäre. Nicht alle Lehrer geben Privatstunden; man findet das am häufigsten bei den Französisch-, Englisch- und Mathematiklehrern.

Ich habe eine Französisch-Lehrerin in Zagazig gefragt: Wie ist es mit dem Lehrer-Beruf? Sie antwortete so: "Ich habe mich von dem Lehrerberuf gut überzeugt, deshalb habe ich als Lehrerin gearbeitet. Ich halte als Frau diesen Beruf für den besten, denn wir bekommen so einen langen Urlaub, etwa 4 Monate. Aber über das Geld möchte ich ehrlich sagen, daß ich mich nicht mehr bemühen will, als ich Geld von der Regierung bekomme." (Anm. 2)

Zum Schluß werde ich mich als Deutsch-Lehrerin äußern: Ich habe an der deutschen Sektion in der Pädagogischen Fakultät studiert. Das ist das erste Jahr, in dem ich arbeite. Ich wollte ja als Lehrerin arbeiten, aber jetzt fühle ich mich gespalten, denn ich habe Pädagogik in der Fakultät gelernt, aber ich benutze diese Pädagogik nicht. Ich habe erkannt, daß der Lehrer begabt sein soll. Das macht nichts, ob er Pädagogik gelernt hat.

Was schlimmer ist, daß der Lehrer sich immer wiederholt. Er gewinnt keine neuen Informationen und keinen neuen Wortschatz, er vergißt sogar viel von dem, was er studiert hat. Der Lehrerberuf ist aber eine menschliche Arbeit.

Eine Deutsch-Lehrerin

Anm. 1 
Bisher konnten sich Lehrer vom Erziehungsministerium beurlauben lassen, um – ohne Bezüge – im Ausland zu arbeiten. Um der größeren Abwanderung Einhalt zu gebieten, soll nun jeder Lehrer, der ins Ausland gehen will, seinen garantierten Posten aufgeben müssen.
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Anm. 2 
Anfangsgehalt einer Lehrerin: LE 43,-
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Zweiter Brief:

Deutsch und die Deutschlehrer in Ägypten

Die Wurzeln der deutschen Sprache in den ägyptischen Schulen reichen bis zum Jahre 1955. Damals wurde Deutsch als Fremdsprache in etliche Oberschulen in Kairo und Alexandria eingeführt. Deutsche Lehrer haben den Unterricht dort erteilt, bis die ägyptischen Deutschlehrer, die in Deutschland ausgebildet wurden, diese Aufgabe übernommen haben. Allmählich wuchs Jahr für Jahr die Zahl der Schüler und der Lehrer, und Deutsch wurde nicht nur als 2. Fremdsprache, sondern auch als 1. ab der 7. Klasse unterrichtet. Voller Energie und Begeisterung eröffneten diese Lehrer neue Klassen, bis Deutsch in fast jeder großem Oberschule unterrichtet wurde. Die Schüler beteiligten sich an außerschulischen Aktivitäten, wie dem Schulchor, dem Schultheater und der Herausgabe einer Schulzeitschrift, namens "Der Sphinx".

Mitte der 60er Jahre wurde Deutsch als erste Fremdsprache abgeschafft und die Zahl der Schüler sank sehr. Infolgedessen verloren die Schüler das Vertrauen in die deutsche Sprache als eine Weltsprache oder als eine, die dem Studenten bei seinen Forschungen hilft. Bis jetzt leiden die Deutschlehrer darunter, daß Deutsch nur als eine zweite Fremdsprache an den Oberschulen, d.h. ab der 10. Klasse unterrichtet wird und zwar als Wahlfach. Daher muß Deutsch mit Französisch Konkurrenz machen, und Französisch hat jeder ausgebildete Ägypter als erste oder zweite Fremdsprache gelernt, wenn nicht als Muttersprache, gerade an den vielen französischen Schulen. Der Schüler kommt in die 10. Klasse, völlig darauf eingestellt, Französisch als eine zweite Fremdsprache zu lernen, da die Eltern ihm helfen können. Der Französischlehrer hat volle Klassen und einen festen Stundenplan zu Anfang des Schuljahres, während der Deutschlehrer hingegen mit den immer gleichen Problemen konfrontiert wird. Um Schüler zu erwerben, muß er Propaganda im Schulfunk und in den 10. Klassen machen, muß gute Beziehungen mit jedem haben, muß Zeit, Kraft und Nerven aufbringen, bis er endlich eine oder zwei Klassen eröffnet hat. Dies wiederholt sich jährlich, und bis jetzt hat keiner irgendeine befriedigende Lösung gefunden.

Da die deutschen Klassen meistens keine vollen Klassen sind, so müssen sie sich einen Raum für den Deutschunterricht suchen. Das ist wieder eine Hemmung, gerade weil die ägyptischen Schulen überfüllt sind und man kaum einem Raum frei findet. Manche Lehrer haben das Glück, sich einen Raum zu gewinnen, den sie zusammen mit ihren Schülern ausstatten und mit Wandtafeln ausschmücken. Dieser Raum spiegelt die Liebe der Schüler zur Sprache, die gute Beziehung zwischen Lehrer und Schüler und die gegenseitige Zusammenarbeit zwischen den Klassenkameraden wider. Für sie ist dieser Raum ihr Reich, ihre Werkstatt und ihre Zuflucht.

Sosehr der Deutschlehrer mit Hingabe arbeitet und die Schwierigkeiten überwindet, ist er doch der meistbenachteiligte unter den Lehrern aller Fächer. Jeder darf sich um die Delegierung in die arabischen Ölländer bewerben außer dem Deutschlehrer, da kein Bedarf für die deutsche Sprache in diesen Ländern besteht.

Für die besten Schüler in den deutschen Klassen werden Sommerstipendien von der Bundesrepublik angeboten. Den Schülern wird die Möglichkeit gegeben, zusammen mit deutschen Schulkindern zur Schule zu gehen. Der Aufenthalt bei deutschen Familien und der Umgang mit deren Kindern hilft sehr zur Festigung der Beziehungen zwischen Deutschland und Ägypten, zur Gewinnung neuer Freunde, für die Sprache und zur Erweiterung des Blickes der ägyptischen Schüler. Jedoch reichen diese Stipendien nicht aus, um all die stark interessierten Schüler zu befriedigen. Deshalb wäre es ja günstiger, wenn mehr Stipendien von den verschiedenen Ländern angeboten würden, auch wenn sie Halbstipendien wären, oder wenn den Kindern beider Nationen die Gelegenheit zum Klassenaustausch gegeben würde.

Auch der Deutschlehrer bedarf sehr des Aufenthaltes in einem deutschsprachigen Land, um seine Sprache zu erweitern und zu polieren. Für den jungen Lehrer sind ein oder zwei Monate nicht genug, da er wenigstens ein Studienjahr Weiterbildung benötigt. Und für die älteren Generationen, die die Basis für die deutsche Sprache gelegt haben, besteht kaum die Möglichkeit, für einen Stipendien-Aufenthalt im Ausland. Dies ist Folge eines Erlasses vom Ministerium. Gerade diese bedürfen dringend der entsprechenden Fachkurse auf dem Gebiet der Didaktik und Methodik, da diese jetzt als Inspektoren und Oberinspektoren die jüngeren Deutschlehrergenerationen betreuen.

Abgesehen davon, ob der Deutschlehrer gute Arbeitsverhältnisse hat oder nicht, ob er bessere Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten hat oder nicht, erfüllt er doch gewissenhaft seine Aufgaben an der Schule, leitet seine Schüler zur besseren Leistung, zur Beteiligung an Schulaktivitäten und Medien-Schulausstellungen und gewinnt manches Lob.
 
Eine ägyptische Deutschlehrerin

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Brief eines Betroffenen
von Wolfgang Claus

Papyrus-Logo Nr. 5—6/85, pp. 17—18

Kairo, im April 1985

Lieber Freund,
es scheint mir nachgerade höchste Zeit zu sein, mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen, die man häufig über mein Gastland hört.

Man behaupte doch nicht immer, Kairo sei eine laute Stadt! Es gibt durchaus Gegenden, in denen es zu gewissen Zeiten, zwischen 2 Uhr nachts etwa und dem ersten Muezzinruf, ganz erschreckend geräuschlos sein kann. Das bißchen Hundegebell überhört der echte Tierfreund doch gern! Aber ist – in unserer modernen Zeit – Ruhe denn überhaupt noch etwas Erstrebenswertes?

Ich wohne jedenfalls – il hamdu-lillah – sozusagen im Lautsprecherschnittpunkt zweier Schulen. Das bedeutet, daß die schier unerträgliche Stille der Nacht, kurz nach dem erwähnten Muezzinruf, langsam von einem sich allmählich zu einem nahezu grandiosen Crescendo steigernden Stimmengewirr abgelöst wird. Ein Blick aus dem Fenster zeigt: Die Bevölkerungsdichte vor meinem Haus beträgt etwa 8,4 Schüler pro Straßenquadratmeter, nicht gerechnet die zahllosen galabiya-behängten Mütter, die, stolz die Schultaschen ihrer Herren Söhne auf dem Kopf balancierend, letztere (d.h. die Söhne) fest an den Händen halten.

Die "Braunen" – hellbraune Kittelchen, dunkelbraune Hosen, Mädchen meist bezopft, Schulranzen auf dem Rücken – die Braunen also gehen zielstrebig auf das enge Tor der linken Schule zu.

Die "Blauen" – hellblaue Kittelchen, dunkelblaue Hosen, Mädchen meist bezopft (Buben hier keine), Schulranzen auf dem Rücken – die Blauen also gehen zielstrebig auf das enge Tor der rechten Schule zu.
Mütter und "bay'a et-termes", der Bohnenverkäufer, bleiben am jeweiligen Schultor zurück.

Große Ereignisse werfen ihre akustischen Schatten voraus: Zwei Lautsprecher aus zwei Schulen beginnen zu knacken, knarren, rauschen, dann Fingerklopfen, Hallo-Rufe. Auf dem Schulhof haben sich die lieben Kleinen inzwischen in Reih' und Glied aufgestellt, braunbekittelt, manchmal bezopft in der linken Schule, blaubekittelt, manchmal bezopft in der rechten Schule. Jeweils vier Trommeln pro Schule werden in Gang gesetzt, jeweils ein kleines Mädchen mit einem viel zu großen Akkordeon vor das Mikrophon gestellt, das "beladi" gesungen.

Das rechte Mädchen spielt schöner, das linke schneller, was zu akustisch hochinteressanten synkopenartigen Interferenzen führt. Höhepunkt des halbstündigen Morgenappells ist jedoch zweifellos die innige Zwiesprache zwischen der immer noch in Reih' und Glied versammelten Schülerschar und einem mit Mikrophon bewaffneten Menschen, Mischung zwischen Animateur und Feldwebel, rechte Schule weibliche Ausgabe. Anweisungen, Befehle, Händeklatschen, Turnübungen, immer wieder unterbrochen durch "Es-lebe-die-Schule"-Rufe. Die Mädchen rechts üben derweil Tänze ein, nicht selten mehrere Stunden lang, begleitet von dem donnernden und sehr überzeugend klingenden "wahid – itnen – talata – arba'a – wahid – itnen..." des rechten Lautsprechers.

Offensichtlich als besonderer Service für die Umgebung – Bildung muß schließlich sein und geht alle Bevölkerungsschichten an – ist der Lautsprecher so angebracht, daß er seine größte Lautstärke nicht auf dem Schulhof erreicht, sondern in meinem Schlafzimmer.

Danach geht es im Gleichschritt in die Klassen, zum dumpfen Klang der Trommeln, das kleine Mädchen mit dem viel zu großen Akkordeon spielt eine einfühlsame Melodie.

Schade, die Show ist zu Ende, doch Kopf hoch kein Grund zur Traurigkeit: das wird heute noch dreimal zu hören sein – inscha'allah und wenn der Strom nicht streikt.
Fliegende Schulranzen aus dem zweiten Stock künden das Unterrichtsende an. Wartende Mütter am Schultor, geschäftige Vorbereitungen des Bohnenverkäufers, die beiden Schultore werden geöffnet, Braunbekittelte, manche bezopft, strömen aus dem linken, Blaubekittelte, manche bezopft, strömen aus dem rechten.

Lieber Freund, natürlich könnte ich Dir noch berichten, wie die Schüler, wenn sie dem Unterricht entronnen sind.......aber es gilt zu eilen: die zweie Schicht wird in einer halben Stunde erwartet: hellblaue Kittelchen, dunkelblaue Hosen, Mädchen meist bezopft, Schulranzen auf dem Rücken, Richtung linke Schule, dunkelblaue Röcke und Blazer, weiße Blusen, manche verschleiert, Aktentaschen in der Hand in Richtung rechte Schule.

Wieder Trommeln, Lautsprecher, Akkordeon, beladi undsoweiter undsoweiter undsoweiter undsoweiter undsoweiter,
Es grüßt Dich in aller Stille
Dein Freund

PS. "Mein Gott, ist das dreckig hier!" sagte Tante Frida und fuhr zurück in ihren Kohlenpott. Aber über dieses Thema berichte ich Dir im nächsten Brief.

Karikatur: Lautsprecher der Schule

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Wie die DEO als Begegnungsschule überleben kann
von Klaus Steinvorth

Papyrus-Logo Nr. 5—6/89, pp. 72—76

Sieben Jahre Lehrer an der DEO – das ist eine überdurchschnittlich lange Zeit für eine aus Deutschland entsandte Lehrkraft. In dieser Zeit habe ich das Schiff DEO durch manche Stürme schlingern sehen, und da ich fünf Jahre selbst als 3. Steuermann auf der Kommandobrücke stand, scheint es mir meine Pflicht zu sein, etwas über Kurs und Ziel unserer DEO zu sagen, bevor ich von Bord gehe.

Denn was unserer Schule nottut, ist eine langfristige Planung, gerade jetzt, wo in der ägyptischen Bildungslandschaft sich vieles verändert. Diese Planung sollten wir nicht Politikern überlassen, denen die Erfahrung vor Ort fehlt. Lehrer und Eltern müßten vielmehr Impulse weitergeben (etwa über die Botschaft nach Bonn), damit hier diskutierte, von einer Mehrheit getragene Vorstellungen über die Zukunft der DEO Gestalt annehmen können.

Die DEO ist eine Begegnungsschule – das macht ihren Charakter aus, das bestimmt ihren Kurs. Um also eine Kursbestimmung für unsere Schule zu geben, muß man zuerst untersuchen, wie "Begegnung" in unserer Schule verwirklicht wird. Darum will ich zunächst "Begegnung" unter dem Blickwinkel der unmittelbar Betroffenen, nämlich der Schüler, beschreiben, um dann die Wege und Ziele zu nennen, die einzuhalten sind, damit die DEO als Begegnungsschule überlebt.

Zuerst also die Begegnung aus der Sicht des deutschen Schülers. Da meine drei Kinder die DEO besuch(t)en, verfüge ich über ausreichende Erfahrung. Der Schultag beginnt mit dem Absingen der ägyptischen Nationalhymne. Die Deutschen verstehen nicht den Text, brauchen aber nicht mitzusingen, da über Tonband und Lautsprecher die Hymne vorgesungen wird. Von weitem hört es sich so an, als ob alle, Ägypter und Deutsche, kräftig und fröhlich mitsingen.

Dieses so Tun-als-Ob ist typisch für unsere Begegnung. Eigentlich sollten die deutschen Schüler Arabisch lernen, aber was ihnen von der 3. bis 7. Klasse angeboten wird, ist unbefriedigend, da die ägyptischen Lehrer nicht entsprechend ausgebildet sind, die deutsche Schülerschaft ständig wechselt, zwei Wochenstunden für die schwere Sprache zu wenig sind und die Note sowieso nicht zählt. Das Ergebnis ist, daß es praktisch keinen deutschen Schüler gibt, der gut arabisch spricht oder versteht. Da die ägyptischen Schüler untereinander arabisch sprechen, ist auf allen Schulveranstaltungen eine deutliche Sprachbarriere zu erkennen.

In der Schule ist also Arabisch für den deutschen Schüler nicht wichtig. Aber auch von der arabischen Umwelt und Kultur wird ihm in der DEO nichts mitgeteilt, jedenfalls nicht als Schulfach oder AG. So kommt es schnell zu Mißverständnissen, Vorurteilen, Ablehnungen.

Diese Haltung wird verstärkt, wenn der deutsche Schüler sich in seiner Klasse einer stärkeren ägyptischen Mehrheit gegenübersieht, die im Durchschnitt fast drei Viertel der Schülerzahl ausmacht. Sie prägt im wesentlichen die Klassenatmosphäre und den Unterrichtsverlauf. Die ägyptischen Schüler sind im allgemeinen temperamentvoller, emotionaler und zwingen dem Lehrer einen häufig autoritären Führungsstil auf, worunter die deutschen Schüler, besonders wenn sie neu gekommen sind, sehr leiden.

Geht der deutsche Schüler in die 9. Klasse, wird er mit der alten Paukschule konfrontiert. Die staatliche Pflichtprüfung der Adadeya verlangt die Beherrschung eines immensen Stoffs in Mathematik und den Naturwissenschaften. Der Lehrplan erlaubt dem deutschen Lehrer nicht die Rücksichtnahme auf die kleine deutsche Minderheit. Die büffelnden ägyptischen Schüler, den Druck der Eltern im Nacken (gutes Abschneiden ist Prestigesache!), verschieben den Notenspiegel zuungunsten des deutschen Schülers.

Und nach der Schule? Kommt es zu der viel beschworenen Begegnung? Kaum! Die deutschen Schüler bleiben unter sich, weil die ägyptischen durch ihr zusätzliches arabisches Programm zu wenig Freizeit haben, auch weniger Freiheit, weil ihnen die Eltern ihr Leben stärker vorschreiben. Das trifft besonders auf die Mädchen zu, für deren Ehre sich die Familie verantwortlich fühlt. Die Freundschaft zwischen einem deutschen Jungen und einem ägyptischen Mädchen ist deshalb nicht möglich. Umgekehrt schon eher, aber das deutsche Mädchen muß sich auf vielerlei Verdächtigungen und Anspielungen gefaßt machen.

Wie sieht die Begegnungsschule DEO für den ägyptischen Schüler aus? Zuerst muß man sich die ägyptische Schulmisere vor Augen halten. Fast alle Regierungsschulen haben verwahrloste oder überfüllte Gebäude, arbeiten im Schichtbetrieb unter einer Lehrerschaft, die, schlecht ausgebildet und bezahlt, gern zum Stock greift, um ihre bis zu 80 Schüler in einer Klasse zu bändigen. Für die ägyptische Mittel- und Oberschicht kommen deshalb fast nur die privaten Language Schools in Frage, die ihren Unterricht auf Englisch oder Französisch erteilen. Sie unterstehen den ägyptischen Schulgesetzen und bereiten ihre Schüler auf die Staatsprüfungen vor, deren Fragen und Aufgaben sie aber auf Englisch oder Französisch beantworten können. Deutsch hat nun in Ägypten noch nicht das Glück, als Examenssprache anerkannt zu werden. Das bedeutet, daß der ägyptische Schüler, der die DEO besucht, zuerst intensiv deutschen Bildungsinhalten ausgesetzt wird, sie aber in den letzten zwei Jahren praktisch vergißt, um sich auf die arabische Sanaweya zu konzentrieren.

Das ist, bildungsökonomisch gesehen, ein gewaltiger Umweg. So büffelt der ägyptische Schüler zuerst, um das gewaltige Pensum von deutschen und arabischen Unterrichtsfächern zu erledigen. In der 6. Klasse sind dafür 40—42 Wochenstunden vorgesehen, also über 8 Stunden am Tag! (In der BRD gibt man sich in dieser Altersstufe mit 27 Wochenstunden zufrieden.) Im letzten Jahr an der DEO unterrichteten nur noch ägyptische Lehrer (bis auf den Deutschlehrer) die ägyptischen Schüler für die Sanaweya. Da es sich um eine reine Paukprüfung handelt, wird vom Lehrer doziert und diktiert, vom Schüler auswendig gelernt. Die im deutschen Unterricht erlernten Arbeitstechniken sind längst vergessen. Es ist charakteristisch, daß die Nachhilfestunde zu Hause wichtiger als der Schulunterricht wird.

Wenn die DEO sich trotzdem eines so großen Zulaufs erfreut, so liegt es daran, daß sie mit ihren schönen und sauberen Gebäuden, den wertvollen Ausstattungen, den gut qualifizierten Lehrern so angenehm von der ägyptischen Schulwirklichkeit absticht. Außerdem ist die DEO trotz gewaltiger Schulgelderhöhungen eine immer noch preisgünstige Schule. (Die British International School verlangt das Dreifache, das Cairo American College gar das Fünfzehnfache an Gebühren!)

Dennoch: Leichter und effizienter lernt der Schüler an einer englischen Private Language School. Nicht nur kann er die in Englisch aufgenommenen Unterrichtsinhalte für die Staatsprüfungen anwenden, auch danach steht ihm die American University of Cairo offen. Das haben immer mehr DEO-Schüler begriffen, die in zunehmendem Maße sich auf die GCE-Prüfung (General Certificate Examination) vorbereiten, um dadurch den Sprung an die American University zu schaffen. Hatten wir 1988 noch 80 Sanaweya-Schüler, so 1989 nur noch 48, und 1990 werden es gar 30 Schüler sein. Gibt es also einen leichteren und schnelleren Weg, um an die Universität zu kommen, sagt man der DEO schnell ade.

Begegnung zwischen zwei so unterschiedlichen Kulturen wie der Deutschen und Ägypter kann dann sinnvoll und fruchtbar in einer gemeinsamen Schule werden, wenn man erkannt hat, wo die Interessen der beiden Partner liegen. Dazu gehört, daß die deutsche Seite, die schließlich unsere Schule in nicht unbeträchtlichem Umfang finanziert, die Ziele und Absichten der Begegnungsschule DEO deutlich macht. Das ist eine politische Entscheidung, die aber nach pädagogischen Gesichtspunkten zu begründen ist.

Bevor ich die langfristigen Ziele erläutere, beginne ich mit den Minimalzielen, die am leichtesten zu verwirklichen sind.

  1. Das Fach "Arabisch für Deutsche" wird in seiner Bedeutung angehoben und mit neuen Inhalten gefüllt. Das bedeutet: weg vom Schriftarabischen, hin zur Kairoer Umgangssprache, die in Lautschrift gelehrt wird. Das CAC (Community Association Center) in Maadi und die American University of Cairo haben bereits gute Programme für Englischsprachige entwickelt. Tonband und Videos (auch Fernsehfilme) stehen im Vordergrund. Das Fach beginnt früh und endet so spät wie möglich, nicht von der 3. bis 7. Klasse wie jetzt. AGs verstärken das Angebot. Die Arabischlehrer, die hier unterrichten, werden besser bezahlt, unterstehen aber einem "supervisor".
     
  2. "Landeskunde Ägypten" wird als zweistündiges Fach angeboten. Bereitwillige deutsche Lehrer, die in ihrer Freizeit ja sehr viel über Ägypten erfahren, unterrichten das Fach. Ausflüge, Museumsbesuche, Besichtigungen von Fabriken etc. stehen auf dem Programm.
     
  3. Deutsch wird als Prüfungssprache für die Sanaweya anerkannt. Die Schule der Borromäerinnen entwickelt schon Unterrichtsprogramme, die zu diesem Ziel führen. Die DEO unterstützt diese Bestrebungen und gibt den jeweiligen Fachlehrern die Möglichkeit (z.B. in Form von Seminaren), sich mit diesen Programmen vertraut zu machen. Auch die Botschaft fördert auf politischer Ebene dieses Vorhaben.
     
  4. Die Klassen 3—10 werden neu zusammengesetzt, und zwar nach der Zugehörigkeit zu den Fächern Deutsch als Muttersprache (DaM) und Deutsch als Fremdsprache (DaF). Das hat nicht nur den Vorteil, daß das komplizierte System von Kopplungen und Parallelunterricht fortfällt (weil bisher DaF und DaM klassenübergreifend und getrennt für einzelne Klassen unterrichtet werden). Noch wichtiger ist, daß das zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen Ägyptern und Deutschen in einer Klasse aufgehoben wird. Wenn heute in einer Klasse von 24 Schülern im Durchschnitt 17 Ägypter auf 7 Deutsche kommen, können bei der Minderheit schnell Gettogefühle entstehen, die zu negativen Reaktionen gegen die Mehrheit führen. (Das Ungleichgewicht wird wahrscheinlich zunehmen, da immer mehr deutsche Firmen ihre Experten aus Kairo abziehen. Der Prozeß der "Verdünnung" von Deutschen läuft sowieso, so daß wir schon eine Klasse in der Mittelstufe haben, wo die Deutschen verschwunden sind.) Nach der Neueinteilung hätten wir pro Jahrgang wahrscheinlich zwei DaM-Klassen, und eine DaF-Klasse. In den DaM-Klassen würde ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Deutschen und Ägyptern herrschen; die DaF-Klassen bestehen aus ägyptischen Schülern, die mit der Sanaweya abschließen.

Werden diese Ziele erreicht, so sind wichtige Bedingungen erfüllt, um die DEO zu einer echten, integrierten Begegnungsschule zu machen. Zur Zeit gibt es nur in der zum Abitur führenden Oberstufe eine wirkliche Begegnung zwischen deutschen und ägyptischen Schülern, weil sich hier die Interessen mit dem gemeinsamen Prüfungsabschluß angenähert haben. Führen also die DaM-Klassen zum Abitur, so verschieben wir die für die Begegnung idealen Zustände bereits in die Unter- und Mittelstufe.

Es ist verständlich, daß ägyptische Eltern sich scheuen, ihre Kinder so früh an das Abitur zu binden, das nicht mehr zählt als die Sanaweya und ein weiteres Jahr kostet. Um das Abitur auch für ägyptische Schüler attraktiver zu machen – und das ist ein wichtiges Ziel der Begegnungsschule DEO –, müssen auf beiden Seiten, der deutschen und der ägyptischen, Kompromisse geschlossen werden.

Für die deutsche: Das Abitur wird am Ende der 12. Klasse abgelegt, um den Zeitverlust gegenüber der Sanaweya auszugleichen. (Zwar hat der ägyptische Erziehungsminister die Vorverlegung der Sanaweya um ein Jahr beschlossen, aber nach der 11. Klasse soll ein Vorbereitungsjahr für die Universitätsaufnahme liegen.) Diese Maßnahme bedeutet vor allem ein Opfer für die deutschen Lehrer, die ihren Unterrichtsstoff, besonders in den Naturwissenschaften, rigoros straffen müssen. Eltern und Schüler werden jedoch kaum etwas gegen eine allgemeine Ausbildungsverkürzung einzuwenden haben. Vor allem: Im Rahmen der EG, wo man sich auch im Bildungssektor anpaßt, wird in der BRD das Abitur nach 12 Jahren zur Regel werden. (Was übrigens mehrere deutsche Auslandsschulen schon seit längerem praktizieren!)

Für die ägyptische Seite: Ägyptische Schüler, die mit dem Abitur abschließen, sollten von der Adadeya-Prüfung (die Voraussetzung für die Sanaweya ist) befreit worden, ebenso von einem Teil des arabischen Programms. Religion und Arabisch können sie in das Abitur einbringen.

Immerhin sollte man nicht vergessen, daß angesichts der Schulmisere in Ägypten das Abitur an Wert gewinnt. Bereits heute sind Adadeya- und Sanaweya-Prüfungen so überlaufen, daß es Stimmen gibt, die von einem nicht mehr ordnungsgemäßen Prüfungsablauf sprechen. Hier bietet die Abiturausbildung eine Alternative für bildungsbewußte Eltern. Es käme natürlich auch darauf an, diesen Bildungsweg dem ägyptischen Erziehungsministerium schmackhaft zu machen, auch eine Aufgabe der Botschaft.

Nun wird mancher sagen, daß diese Art von Begegnung auf Kosten der ägyptischen Mehrheit geht, die die Sanaweya anstrebt. In ihren Klassen gibt es keine Deutschen mehr, gewiß. Aber wir haben jetzt schon viele rein ägyptische Klassen an der DEO (N-Stufe, Sanaweya-Oberstufe, Grundschule), die fester Bestandteil der Begegnungsschule sind. Und vor allem: Als Folge der neuesten Regierungserlasse wird es ohnehin immer schwieriger, Deutsche und Ägypter mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen gemeinsam zu unterrichten. Denn die Adadeya- und Sanaweya-Prüfungen werden um ein Jahr vorverlegt, ohne daß man den Unterrichtsstoff wesentlich kürzen will.

Schließlich sollte man auch die finanzielle Seite nicht verschweigen. Die deutschen Eltern bezahlen mehr als das Doppelte des Schulgeldes, als was man Ägyptern zumutet. Man kann es ihnen nicht verübeln, wenn sie erwarten, daß ihre Kinder zumindest keine Nachteile im Vergleich zu den ägyptischen Schülern erfahren, also z.B. vor pädagogischen Unsinnigkeiten verschont werden. Denn nur wenn wir die unterschiedlichen Interessen der deutschen und ägyptischen Schüler berücksichtigen, werden wir eine Begegnungsschule schaffen, die überlebt.

Punkt  Punkt

 
Anonymer Leserbrief zu obigem Beitrag
"Wie die DEO als Begegnungsschule überleben kann"
 
Papyrus-Logo Nr. 10/89, p. 72

27. Juli 1989

Als im Januarheft des PAPYRUS der Kernpunkt "Begegnung" zur Hauptbesprechung gewählt wurde, fühlte ich mich, nach aufmerksamem Lesen der einzelnen Artikel, angeregt, einen Leserbrief mit meinen Ansichten zu schreiben. Ich schickte ihn nicht ab, weil es mir schien, daß sich wenige über dieses Thema äußern werden, sei es aus Furcht, ins "Fettnäpfchen" zu treten, sei es aus geringem Interesse.

Der Artikel von Herrn Klaus Steinvorth Heft 5—6/89, "Wie die DEO als Begegnungsschule überleben kann", gab mir den Mut doch auch meine Ansichten auszusprechen, die übrigens im Prinzip nicht weit entfernt von denen des obigen Verfassers sind, nur daß mir das rein "private", also "persönliche" Thema einer "Begegnung" näher liegt, während Herr Steinvorth in seiner Position als Lehrer und für längere Zeit auch Mitarbeiter an dieser Schule tätig war, also auch die fachmännischen Aspekte sehr klar behandelt.

Doch hätte ich gern einiges dazu gesagt:

  1. Die Herabsetzung der ägyptischen Schulen – wenn auch aus der heutigen Sicht – könnte milder beurteilt werden: für Menschen, die länger im Lande gelebt haben und sahen, wie sich das Schulproblem – was Lehrer und Pensum angeht – im Rahmen der noch lange bestehenden Kolonisation nur schwer entwickeln bzw. durchsetzen konnte. Bevor die Schulpflicht (durch Taha Hussein) einsetzte, der Unterricht hoch bezahlt wurde, gab es ägyptische Schulen von hohem Niveau, mit im allgemeinen sehr guten Lehrern, für die Fremdsprachen die entsprechenden ausländischen Lehrer. Aus dieser Zeit sind wohl auch die meisten, jetzt in hohen Graden stehenden verantwortungsvollen Personen hervorgegangen.
     
  2. Den arabischen Sprachunterricht für Deutsche in der DEO in den unteren Klassen halte ich auch für sinnlos. Er sollte fakultativ angeboten werden für die deutschen Schüler, deren Eltern einen längeren Aufenthalt in Ägypten haben, bzw. ihre Kinder für eine gleiche Zukunft vorbereiten wollten. Natürlich ist es auch günstig für deutsche Schüler, während ihrer Anwesenheit in Ägypten die Schriftsprache des Landes und einiges über Geschichte und Kultur zu erlernen. Hier ist der Vorschlag von Herrn Steinvorth sehr zu schätzen, sowie auch die anderen, aus seiner fachmännischen Ansicht und Erfahrung.

Ich möchte nun noch kurz auf die Bemerkung über die GCE-Prüfungen eingehen (General Certificate Examination). Dieser Ausweg aus der "Paukerei" (noch keiner ist daran gestorben!) ist jetzt von der Regierung abgesetzt worden, man will keine Erleichterung für das Studium an der Universität. Es gibt zu viele, die studieren wollen und sich Noten und Titel verschaffen. Für die "GCE" melden sich bereits Schüler von der 9. Klasse, d.h. sie überspringen das Unterrichtsprogramm von drei Jahren. Was geht ihnen da an Kenntnissen verloren, besonders auch im Deutschen! Das Abitur ist nicht nur Ende des Unterrichts, sondern verlangt auch eine geistige Reife, die wohl auch vom Alter abhängt. Ein 15jähriger ist nicht einem 18jährigen gleich. Die Professoren an der Universität beklagen sich häufig über die Unfähigkeit dieser jungen Studenten, und diese beginnen bereits im ersten Studienjahr mit Nachhilfestunden.

 

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Begegnung – Pädagogischer Anspruch und schulische Realität
von Helmut Danner
in 2 Teilen

Teil 1 Papyrus-Logo Nr. 12/89, pp. 67—72

Dies ist der Abdruck eines Vortrags, der am 28. Juli 1989 in Regensburg vor der Tagung des "Verbandes Deutscher Lehrer im Ausland" gehalten wurde. Mit ihm wollen wir zur Diskussion des umstrittenen Themas "Begegnung" beitragen.
Die Redaktion
I. Ein Modewort der 60er Jahre?

"Begegnung" steht über einem Konzert, das im Juli in der Münchner Philharmonie stattfindet. Auf der Bühne stehen zwei Flügel, Bauch an Bauch, nebeneinander. Die beiden Pianisten, Friedrich Gulda und Herbie Hancock, sitzen sich auf diese Weise, wenn auch versetzt gegenüber und können sich anschauen. Sie haben vor zu improvisieren. Gulda läßt Hancock beginnen. Dieser spielt sich in einen verhaltenen Blues-Ostinato hinein. Gulda verschafft sich Raum, zunächst mit einem leicht schrillen Akkord, und setzt für eine Weile dem Spiel Hancocks etwas Eigenes entgegen. Dann tritt sein Spiel wieder zurück, das von Hancock wird hörbar. Gulda nickt dem anderen einmal zu; ein andermal macht er gar eine auffordernde Handbewegung. Schließlich hören wir nur noch ein einziges faszinierendes Spiel – von zwei Musikern, die sich nur eine Stunde vor ihrem Auftritt zum ersten Mal gesehen haben. Wir sind beeindruckt, weil wir spüren, daß sich hier etwas Besonderes ereignet.

Was ist es? Perfekte Routine – oder gar "Begegnung", wie das Programm verspricht?
In einer Münchner Seitenstraße lese ich ein Schild mit den beiden Worten "Gott begegnen".
"Perrier" ist ein Mineralwasser. "Perrier, eine erfrischende Begegnung", so wird es uns schmackhaft gemacht.
Ein Buchtitel lautet: "Begegnung mit Regensburg".
Die "Mitteilungen der deutschsprachigen christlichen Gemeinden in Kairo" und die Ihnen bekannte Zeitschrift des Auswärtigen Amtes heißen "Begegnung".

Und dann gibt es auch noch "Begegnungs-Schulen".
Wenn das Wort "Begegnung" es hergibt, daß wir Gott, einer Stadt und Mineralwasser "begegnen", dann ist zumindest umgangssprachlich damit nichts Genaues ausgesagt.

Für die berechtigte Frage nach Sinn und Unsinn, Auftrag oder Hoffnungslosigkeit einer "Begegnungs-Schule" sollten wir darum über Umgangssprache hinaus einen Blick auf die philosophisch-pädagogische Diskussion werfen. Wird sie uns weiterhelfen?

In den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts haben Philosophen, Theologen und Pädagogen "Begegnung" thematisiert. Herausragende Bedeutung hat in diesem Zusammenhang Martin Buber. Mit seiner Unterscheidung von Ich-Es-Verhältnissen und Ich-Du-Beziehungen hat er für das Verständnis von "Begegnung" Wesentliches beigetragen. Nach Buber ist eine Ich-Du-Beziehung zwischen Menschen, mit Gott, aber auch mit Dingen und der Natur möglich. Sein Zeitgenosse Karl Löwith hingegen schränkt Begegnung auf das Zwischenmenschliche ein.

Die Aufnahme der Idee von Begegnung in der Pädagogik kann als Reaktion auf die Reformpädagogik zu Beginn des Jahrhunderts verstanden werden. Diese vertrat im wesentlichen die Vorstellung, daß Erziehung als ein Entfalten, als Entwicklung der kindlichen Kräfte, als Wachsenlassen zu verstehen sei. Begegnung wird im Gegensatz dazu als die Herausforderung, die von außen an das Kind herantritt, verstanden. Als Theologe, aber auch als Pädagoge jener Zeit ist in diesem Zusammenhang Romano Guardini zu erwähnen; für ihn ist die Begegnung das Erfahren und Bewältigen der Forderungen der einmaligen Situation. Personsein und Personwerden "besteht in der sich selbst verantwortenden schöpferischen Bewältigung der Begegnung" (zit. bei Loch: Der Begriff..., S. 270f.). Für Georg Grisebach gewinnt Begegnung eine so zentrale Bedeutung, daß sich der Erzieher in extremer Weise zurückhalten muß. Er ist machtlos, weil Personwerdung in der Bewährung in Begegnungen geschieht.

Nach dem Krieg, in den 50er und 60er Jahren, vernehmen wir von diesem Pathos der Begegnung noch etwas von Otto F. Bollnows Aussagen. Er begreift sie als existentielle Kategorie, also als etwas, das die ganze Person betrifft und ergreift und nur als Antwort der Gesamtperson wirklich wird. So verstandene Begegnung ist pädagogisch nicht planbar; sie steht im Gegensatz zum Bildungsvorgang. Begegnung kann bestenfalls als "unstetige" Erziehungsform verstanden werden.

Konträr hierzu begreift Josef Derbolav Begegnung als "mäeutischen" Vorgang, das heißt als ein Herausholen, als ein Wiedererinnern und somit als Erweckung, die der Vermittlung des Erziehers bedarf und der Entscheidung des Schülers. Begegnung wird damit für ihn zu einer zentralen Bildungskategorie.

Das sind nur Andeutungen zu jener Diskussion der "Begegnung". Doch schon hieraus wird deutlich, wie uneinheitlich das Verständnis war. So gibt es keine Klarheit über den Gegenstand der Begegnung, das heißt womit oder mit wem Begegnung möglich sein soll. Weiterhin findet für die einen Begegnung in der Alltäglichkeit statt, für den anderen nur in Ausnahmesituationen. Analog kann Begegnung entweder zum Bestandteil von Erziehung werden oder zu ihrer absoluten Grenze. Würden wir neben den originären Ansätzen von Philosophen und Pädagogen noch die Aussagen der Epigonen hinzunehmen, dann würde sich der Begriff der Begegnung ins völlig Vage verlieren.

Werner Loch sagt bereits 1969 von der Begegnung, wohl auch selbstkritisch, sie sei ein "Musterbeispiel für ein überholtes Thema: noch nicht historisch, aber nicht mehr aktuell", eine "Nachgeburt irrationaler Strömungen"; man nehme "Ausflucht in eine metaphorische Redeweise" (S. 399f.).

Der umgangssprachliche Gebrauch von "Begegnung", die philosophisch-pädagogische Diskussion und obendrein die schonungslose Kritik von einem, der eben dieser Diskussion beteiligt gewesen ist, bringen uns in Verlegenheit. Denn welchen geistigen Ort hat dann die sogenannte "Begegnungs-Schule", wenn sie auf derart morastigem Terrain errichtet worden ist? Sind ihre Ideologen auf ein Modewort der 60er Jahre hereingefallen? Sie alle kennen die kritischen Stimmen zur Begegnungsschule: Für Gunter Diehl ist sie gescheitert; nach Bruno Birke hat sie versagt, weil sie überfordert ist (Diehl, S. 163; Birke, S. 93).

II. Strukturmomente von Begegnung

Ich bin ernsthaft der Meinung, daß in "Begegnung" ein guter anthropologischer Sinn enthalten ist. Und ich sehe in der Auslandssituation eine Herausforderung an die Schule, damit aber auch an die theoretische Pädagogik, die ja immer in begleitender Spannung zur Praxis existieren sollte. Im folgenden möchte ich – trotzdem und noch einmal – den Versuch unternehmen, einige Kriterien von "Begegnung" zu erfragen und mögliche pädagogische Perspektiven aufzuzeigen.

Nun, was macht Begegnung zur Begegnung? Unserer Umgangssprache zufolge begegne ich den Fußgängern auf der Straße, begegnen sich zwei Autos, oder aber es begegnen sich Katzen im Garten. Dieses fast beliebige, alltägliche Zusammentreffen sollten wir ausgrenzen. Aber auch auf der wissenschaftlichen Ebene müssen wir Stellung beziehen, weil es sehr unterschiedliche Positionen gibt, wie wir gesehen haben. Eine gewisse Willkür wird darum nicht vermeidbar sein, wenn wir in dezidierter Weise von "Begegnung" sprechen wollen.

Im weitesten Sinne möchte ich Begegnung zunächst als eine Weise des Umgangs verstehen, das heißt also, wie wir mit anderen Menschen und der Welt umgehen, wie aber auch umgekehrt andere Menschen mit uns umgehen und wie uns die Dinge der Welt widerfahren.

  1. Aber wir meinen ja mehr als alltäglichen, zufälligen Umgang, wenn wir an Begegnung denken. Ein erstes wesentliches Kriterium von Begegnung ist dies, daß wir auf ein Andersartiges treffen, auf einen Menschen in seiner markanten Andersartigkeit, auf fremde, nicht gewohnte Verhältnisse und Zustände. Wir treffen auf Unbekanntes, Nicht-Gewohntes. Das Andersartige, Unvertraute macht meiner Ansicht nach gerade den Reiz eines Aufenthaltes und damit auch an einer Schule im Ausland aus.
    Wir sehen hieran, daß Begriffe wie Kommunikation, Treffen oder Zusammentreffen zu technisch, funktional oder oberflächlich sind. Sie reichen nicht aus, um auf die Andersartigkeit des Begegnenden aufmerksam zu machen.
     
  2. Das Unbekannte, Andersartige allein macht es aber auch nicht aus, daß wir von "Begegnung" sprechen. Häufig, ja alltäglich gehen wir mit Neuem um, ohne daß wir es als erwähnenswert registrieren. Zur Begegnung gehört, daß etwas Besonderes geschieht, etwas Markantes, das aus dem Alltag herausragt. Das geschah auch bei dem gemeinsamen Improvisationsspiel von Gulda und Hancock. Als zweites Kriterium der Begegnung möchte ich darum die Herausgehobenheit feststellen.
    Ob mir die Herausgehobenheit eines Ereignisses im Augenblick des Geschehens bewußt ist oder erst später zu Bewußtsein kommt, ist sekundär. Entscheidend ist vielmehr die Einmaligkeit und darum auch die Unwiederholbarkeit des Ereignisses. Ein Treffen beispielsweise können wir wiederholen, eine Begegnung nicht. Einen Dialog können wir fortsetzen, eine Begegnung nicht. Die Begegnung hat darum auch ihre begrenzte Zeit, zwar nicht mit der Uhr meßbar, aber doch Anfang und Ende.
     
  3. Vielleicht ereignet sich bei einem Treffen, etwa wie diesem hier, eine Begegnung. Aber – und damit hängt ein drittes Kriterium der Begegnung zusammen – eine Begegnung können wir nicht herstellen, nicht herbeiführen. Möglicherweise können wir sie vorbereiten, die Umstände und uns selbst. Aber wir können sie nicht erzwingen; sie stellt sich ein oder auch nicht.
    Dieses Kriterium möchte ich die Unverfügbarkeit einer Begegnung nennen. Sie stellt sich überraschend ein. Das muß nicht als Erschütterung geschehen, wie das Bollnow sieht, oder als Schicksals-Ereignis im Sinne Lochs. Das kann lautlos sein. Doch entscheidend ist, daß wir die Erfahrung haben, ein Geschenk empfangen zu haben, also etwas, das uns zugefallen ist. Diese Erfahrung kann sich auch erst im nachhinein einstellen.
    Gerade heute, in der Zeit, in der wir alles herstellen oder zumindest meinen, alles herstellen zu können, mag es uns schwerfallen, etwas Geschenkhaftes, Unverfügbares zu akzeptieren. Das betrifft im übrigen auch die Pädagogen. Schon an dieser Stelle müssen wir fragen, wie wir mit dem Phänomen der Unverfügbarkeit in einer Schule zurechtkommen sollen, in der wir uns auf das Planbare verlassen.
     
  4. Begriffe wie "Interaktion" und "Kommunikation" sind Ausdruck des Zeitgeistes der Machbarkeit. Mit ihnen glauben Soziologie und Psychologie den Umgang zwischen Menschen und mit Dingen der Welt hinreichend beschreiben zu können. Aber solche Termini reichen nicht aus, ein Phänomen wie Geschenkhaftes, Unverfügbares zu fassen. Dieses liegt jenseits des technischen Zugriffs moderner Wissenschaft. Und dennoch gibt es die Erfahrung von Unverfügbarkeit, von etwas, das einem zufällt, "unverdient", nicht geplant, unvorhergesehen.
    Die hier gemeinte Unverfügbarkeit bezieht sich nicht auf religiöse oder mystische Erfahrung. Sie ist vielmehr der Hinweis auf eine Möglichkeit des Menschen. In unserem Zusammenhang werden wir aufmerksam gemacht auf die entscheidende Qualität von Begegnung. Sie besteht in einem spezifischen Verhältnis der Menschen zueinander und zu den Dingen der Welt. Martin Buber hat hierzu Entscheidendes beigetragen. Wegen der Wichtigkeit der Sache muß ich ein wenig ausholen.
    Zunächst müssen wir wahrnehmen, wie beschaffen das Verhältnis zu Anderen und anderem im alltäglichen, normalen Umgang ist. Ich behaupte mich, ich gebrauche, genieße, betrachte, unterdrücke oder unterstütze den Anderen. Dabei mache ich ihn zum Objekt, zum Gegenstand des persönlichen Nutzens, der Wissenschaft oder des Wirtschaftens. Umgekehrt macht in derselben Weise der Andere mich ebenfalls zum Gegenstand. Dieser Umgang miteinander muß nichts moralisch Verwerfliches an sich haben. Er ist notwendig für das alltägliche Besorgen unseres Lebens. Wir treffen uns dabei auf einer funktionalen Ebene. Jeder funktioniert im Hinblick auf etwas, das es zu erledigen gilt; wir nehmen bestimmte Rollen ein – als Verkäufer und Kunde, als Schüler und Lehrer, als Mieter und Vermieter.
    Bedeutsam ist in unserem Zusammenhang, daß wir auch zur Welt, zu Dingen der Natur und der Kultur, eine ähnliche Haltung einnehmen: Den Berg sehen wir unter der Perspektive des Skifahrens, die Wiese als Futterweide usw. Oder die sogenannten Kulturgüter haben den Zweck, Bildung zu fördern, sie sind uns ästhetische Genußmittel oder Tourismus-Objekte.
    Dieses vergegenständlichte Verhältnis, das wir alltäglich eingehen, nennt Buber das Ich-Es-Verhältnis. Davon unterscheidet Buber eine andere Grunderfahrung des Menschen das Ich-Du-Verhältnis. Er nennt es "Beziehung".
    Mit den Menschen (und erweiternd füge ich hinzu: mit den Dingen der Welt), zu denen wir in Beziehung stehen, haben wir kein "Geschäft" in der Weise des Ich-Es-Verhältnisses im Sinn. Wir machen sie nicht zum Objekt. Ich sehe den Anderen als ihn selbst; und ich nehme keine Rolle ihm gegenüber ein, sondern bin ich-selbst. Nicht mehr zwei Individuen als Vereinzelte stehen sich entgegen; sondern ich meine den Anderen als Person, und er meint mich als Person. Dabei verschwimmt nicht der Einzelne im Unbestimmten, sondern wir werden erst ganz Ich und ganz Du durch die gegenseitige Annahme, die wir jeweils dem Anderen gewähren. Nicht ich dominiere, nicht der Andere dominiert, sondern bedeutsam ist das Wir oder wie Buber sagt: das Zwischen. Es handelt sich um eine Nähe, die die Konturen des Anderen erst ganz hervortreten läßt.
    In dieser Ich-Du-Beziehung bin ich für den und das Andere aufgeschlossen: ich gebe mich unverstellt und echt; ich lege jeden Schein, jede "Show" ab. Ich lasse den und das Andere sein. Ich bin in diesem Sinne ge-lassen. Ich stelle Vorurteile und Vorhaben zurück. Aber: es handelt sich dabei nicht um eine Idylle; es kann auch ein "liebender Kampf" im Sinne Jaspers sein.
    Die Unverfügbarkeit der Begegnung ist bedingt durch die Unverfügbarkeit der Ich-Du-Beziehung. Auch dieses Verhältnis läßt sich nicht erzwingen; es stellt sich geschenkhaft ein. Die Beziehung im Buber'schen Sinne beschreibt die Qualität des Verhältnisses, das eine Begegnung ermöglicht. Die Beziehung ist die Basis der Begegnung. Begegnung kann der Beginn einer dauerhaften Beziehung sein, aber Beziehung hat nicht den Charakter von Andersartigkeit und einmaliger Herausgehobenheit wie die Begegnung.
     
  5. Wir können die Beziehung im Buber'schen Sinne als entscheidendes Kriterium der Begegnung, als das vierte ansehen. Ich sehe noch ein fünftes Kriterium, das zudem Begegnung und Beziehung voneinander unterscheidet. Es ist die verändernde Wirkung, die von der Tatsache ausgehen kann, daß ich in Offenheit mit einem Menschen oder einer Sache umgehe und darin ein bislang Unbekanntes wahrnehme und dieses mir als das Eigene des Anderen erscheint. Darin liegt eine Herausforderung an mich. Sie mag mich verunsichern, sie kann mich selbst in Frage stellen. Diese Betroffenheit muß wohl nicht immer ein dramatischer Vorgang sein, eine Erschütterung im innersten Kern des Menschen, die eine Änderung seines Lebensweges verlangt, wie dies etwa Bollnow gesehen hat (S. 142).
    Die Betroffenheit kann auch eine stille sein, die mich zu kritischer Selbstbesinnung anregt, zur Bewußtheit meiner selbst und mir zeigt, wie ich und wer ich selbst bin. Vielleicht gelange ich zu neuen Einsichten über den Anderen, über mich, auch zu neuen Einstellungen. Wenn eine Auseinandersetzung in diesem Sinne einsetzt, dann geht wohl bereits eine erhebliche verändernde Wirkung von einer Begegnung aus.
     
  6. Schließlich muß ich zu einer strittigen Frage Stellung beziehen. Wem oder was können wir begegnen? Es spricht einiges dafür, Begegnung auf Menschen zu begrenzen und zu sagen, daß eine Begegnung nur mit einem Menschen geschehen kann. Vor allem ist dann die Zweiseitigkeit der Beziehung gegeben. Aber selbst hier kann Begegnung nur für den einen, aber nicht für beide geschehen oder nicht dasselbe bedeuten. Ich hatte als junger Student den alten Ludwig Binswanger aufgesucht, weil ich über seine phänomenologische Anthropologie eine Arbeit schrieb. Ich war beeindruckt von seiner warmen Menschlichkeit, von seiner Toleranz und Bescheidenheit, von der Hartnäckigkeit seines Denkens. Nicht minder war ich von seiner Frau beeindruckt, einer alten, weißhaarigen Dame, die mir zum Bild eines reifen Alterns geworden ist. Für mich handelt es sich bei jenem Besuch um eine Begegnung, kann mir aber nicht vorstellen, daß für Herrn und Frau Binswanger dasselbe in bezug auf mich gesagt werden konnte.
    Zum anderen verweist gerade Buber auf die Möglichkeit der Beziehung mit einem Naturding; er bringt das Beispiel mit einem Baum, der ihm in einem Augenblick völlig gegenwärtig geworden ist. Können wir nicht mit Recht sagen, daß wir etwa einer Landschaft begegnen, indem wir für sie, für ihre Neuartigkeit aufgeschlossen und davon betroffen sind?
    Noch näher als Naturhaftes liegt uns Menschliches, also gerade Kulturdinge, die ja neben ihrer objektiven Eigengestalt auf andere Menschen verweisen. Vielleicht dürfen wir auch hier von Begegnung sprechen, immer vorausgesetzt, daß wir den Dingen der Kultur in Gelassenheit gegenübertreten und nicht ästhetisch, wissenschaftlich, wirtschaftlich objektivierend.
     
  7. Ich versuche nun, meine Bestimmung von "Begegnung" zusammenzufassen. Ich will sie verstehen als einen Umgang mit Menschen und Dingen, der als vom Alltag herausgehoben und als unverfügbar erfahren wird und in dem mir aufgrund einer gelassenen, aufgeschlossenen Beziehung mit dem oder zum Anderen dessen Andersartigkeit vor Augen tritt, die mich zur Auseinandersetzung und zur Änderung meiner selbst anregt.
    Ich versuche, Begegnung weniger dramatisch zu sehen, weniger entrückt als die existenzphilosophische Position Bollnows oder Lochs, obgleich ich mit ihnen der Ansicht bin, daß es sich bei der Begegnung um eine existentielle Kategorie handelt. Ich meine, daß die hier beschriebene Begegnung einer allgemeinen realen Erfahrung entspricht. Unser gemeinsames Problem besteht darin, wie solche Begegnung in den Zusammenhang des Bildungsvorgangs gebracht und gar in die Organisationsform einer Schule eingebracht werden kann.

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Teil 2 Papyrus-Logo Nr. 1/90, pp. 81—85

III. Pädagogische Perspektiven der Begegnung

Was ist der Stand unser bisherigen Überlegungen? Wir mußten feststellen, daß die Diskussion über Begegnung vor etwa 30 Jahren eher verwirrend als hilfreich ist. Deshalb habe ich versucht, Begegnung präziser zu bestimmen, um damit einen Arbeitsbegriff für die weiteren Überlegungen zu haben.

Welche Bedeutung hat das beschriebene Ereignis der Begegnung für die Pädagogik und näherhin für eine sogenannte Begegnungsschule?

Unabhängig von diesen beiden Fragen möchte ich zunächst feststellen, daß ich eine große pädagogische Chance und Herausforderung darin sehe, sich im Ausland aufzuhalten, sich in einem neuen Lebensraum zu bewegen und hierin eine Schule zu gestalten. Eine solche Chance wird natürlich nur dann wahrgenommen, wenn die Schule keine pädagogische Provinz ist, kein bundesdeutsches Territorium innerhalb eines Auslands. Und auf die Herausforderung der Auslandssituation geht die Schule nur dann ein, wenn sie sich an ihrem allgemeinen Auftrag orientiert, nämlich Bildung zu vermitteln.

Auch Bildung ist heute ein verbrauchter, suspekter Begriff geworden. Und dennoch müssen wir auf ihn zurückgreifen, wenn auch mit neu verantworteten Inhalten gefüllt. Drei wesentliche Momente scheinen mir "Bildung" heute zu charakterisieren: Zum ersten geht es über alle Informationen hinaus um eine kritische, aneignende Auseinandersetzung mit den Wissensinhalten. Dazu ist zweitens die Frage nach Maßstäben und Qualität zu wecken; denn ohne Maßstäbe gibt es keine sinnvolle Kritik und Orientierung. Und drittens kann Bildung heute nicht mehr als Entfaltung des zurückgezogenen Individuums verstanden werden, sondern sie muß über dieses hinaus zur Verantwortung führen. Auseinandersetzung, Maßstabsfrage und Verantwortung sind also Kriterien von Bildung und somit Aufgaben jeder Schule.

Die Schule in einem Ausland ist mit der Chance und Herausforderung konfrontiert, daß das Fremde, Unbekannte, Andersartige sich dort augenfälliger aufdrängen als zuhause. Ihre besondere Bildungsaufgabe besteht nun gerade darin, eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Eigentümlichen des Gastlandes herbeizuführen. Dazu muß dieses – als primitivste Voraussetzung – in die Schulstuben überhaupt eingelassen oder doch thematisiert werden, sofern es ohnehin anwesend ist. Ein gutes Beispiel ist etwa jene Diskussion, die in einer Kairoer Klasse zwischen deutschen und ägyptischen Schülern über den Islam geführt worden ist und so dadurch die religionsbedingten Verhaltensweisen verständlicher geworden sind. Oder stört die Fremdartigkeit des Gastlandes etwa, weil der Lehrplan und das Lehrbuch davon nicht sprechen? Mit anderen Worten: Berücksichtigt das Curriculum die Auslandssituation?

Ich bin der Ansicht, daß die Formulierung einer Pädagogik der Auslandsschulen vordringlicher ist als ein Reden von "Begegnungsschulen". Das wäre eine Pädagogik, die die Besonderheit der Auslandssituation zum Anlaß für ein spezifisches Curriculum nimmt. Die Kopie des Lehrplanes eines deutschen Bundeslandes wird dieser Forderung ja gerade nicht gerecht.

In welchem Zusammenhang hiermit haben wir Begegnung zu sehen? Sicher genügt es nicht, wenn Schüler verschiedener Nationen zusammen in ein Schulzimmer gesperrt werden. Das ist erst ein Verwaltungsakt, aber noch keine Pädagogik. Ohne ein Curriculum, ohne eine Schulpädagogik, die auf die Auslandssituation eingehen, wird wohl auch die Rede von Begegnung sinnlos sein (vgl. Witte, S. 21). Noch prägnanter ausgedrückt: Es ist auch noch keine Begegnung, wenn Schüler verschiedener Nation "nett zueinander" sind. Und man mag es besonders "nett" finden, wenn wir mit Menschen der Dritten Welt zusammentreffen und zu diesen "nett" sind – auch das ist noch keine Begegnung. Ich muß erst vorher Menschen der Dritten Welt als Menschen niedriger Qualität angesehen haben, um ein normales, humanes Verhalten zu ihnen als etwas Besonderes bezeichnen zu können. Noch einmal: Normaler menschlicher Umgang, ganz gleich mit welchen, ist noch nicht Begegnung. Aber genau diese Verwechslung dürfte häufig geschehen.

Aber selbst wenn eine Auslandsschule ihren spezifischen Bildungsauftrag ernst nimmt, haben wir folgendes zu bedenken: Bildung als Angebot – nicht als Ergebnis – ist bis zu einem gewissen Grad planbar. Sofern es andererseits richtig ist, daß Begegnung ein ausgehobenes, unverfügbares Ereignis ist, bei dem es primär auf Beziehung ankommt, kann sie nicht in den Bildungsvorgang eingeplant werden. Und insofern ist Bollnow Recht zu geben, der von der Begegnung sagt, sie sei "keine eigentlich pädagogische Kategorie" (S. 131f). Denn planbarer Bildungsprozeß und unverfügbares Begegnungs-Ereignis widersprechen einander.

Andererseits müssen wir auch erkennen, daß Bildung in ihrem Ergebnis eine Anstrengung des Einzelnen ist. Schulisch gewendet heißt dies, daß der Schüler ein Gebildeter durch sich selbst wird, nicht durch den Lehrer, obgleich der Schüler die Vermittlung des guten Lehrers bedarf. Entscheidend bleibt, was der Einzelne selbst aus dem Angebot des Lehrers macht.

In diesem Zusammenhang erhält auch Begegnung eine Bedeutung für den Bildungsvorgang. Zwar sind Begegnungen weder vom Lehrer organisierbar noch vom Schüler herbeizuzwingen. Aber wo Begegnungen sich unverhofft ereignen, können sie im Sinne von Bildung außerordentlich fruchtbar und anregend wirken (vgl. auch Schäfer, S. 424—427). Das ist dort der Fall, wo Begegnung betroffen macht, zur Besinnung anregt, Auseinandersetzung fordert, das Eigentümliche des Anderen wahrnehmen und das Eigene im neuen Licht erscheinen läßt. Begegnung wird so Anstoß für Bildung; sie kann und muß pädagogisch fruchtbar gemacht werden.

Für den schulischen Bereich möchte ich den Gegenstand der Begegnung ebenfalls sehr weit fassen – aus den genannten grundsätzlichen Erwägungen und aus einem pragmatischen Grund. Denn wollten wir Begegnung auf Personen einschränken, dann würde auch unter diesem Aspekt die Begegnungsschule fragwürdig. Sie unterschiede sich kaum noch von jeder anderen Schule, in der sich auch Begegnungen zwischen Lehrer und Schüler und zwischen Kindern ereignen mögen. Aber die Begegnungsschule hat nun gerade die Auslandssituation als Spezifisches an sich, und dieses wird bestimmt durch die Andersartigkeit von Kultur und Mentalität. Diese gehören mit zum Gegenstandsbereich möglicher Begegnungen, sei es vermittelt durch Personen, sei es als Kulturdinge. Pädagogisch zwar eine Selbstverständlichkeit, aber vielleicht doch erwähnenswert ist, daß grundsätzlich alle Schüler, deutsche wie die des Gastlandes, in die Möglichkeit von Begegnungen einzubeziehen sind. Ja, sogar die Ortslehrkräfte.

Begegnungen sind nicht organisierbar. Aber deshalb liegen sie nicht außerhalb der pädagogischen Verantwortung. Begegnungen können schulisch behindert werden, oder sie können positiv vorbereitet werden. Hier liegt pädagogisch eine Chance und eine Existenzberechtigung für eine Begegnungsschule. Aber sie muß dies aktiv sein. Was heißt das? Sie muß die Voraussetzungen schaffen, derer die Begegnung bedarf.

Eine Schulpädagogik der Auslandsschule hat meiner Ansicht nach die Aufgabe, gerade diese Voraussetzungen von Begegnung zu formulieren. Ich kann hier nur einige Andeutungen machen:

  1. Bildung und Begegnung stehen in einem Wechselverhältnis. Begegnungen können sich fruchtbar auf die Bildung eines Menschen auswirken. Umgekehrt wird gerade derjenige offen für Begegnungen sein, der im Sinne von Bildung sensibilisiert und wach ist, Fragen stellt und bereit ist, sich selbst zu relativieren. Bildung ist also eine förderliche Voraussetzung von Begegnungen.
     
  2. Eine zentrale schulische Vorraussetzung dafür, daß Schüler bereit für Begegnung werden, ist sicherlich die Person des Lehrers. Nicht als Organisator und Macher ist er gefragt, sondern er selbst als Gebildeter. Ist er als solcher ein Vorbild? Besteht zwischen ihm und den Kindern ein "pädagogischer Bezug", ein "erzieherisches Verhältnis"? Welche "Auslese der wirkenden Welt" (Buber) trifft er? Ist er Vermittler im Sinne der Didaktik? Weiß er den "fruchtbaren Moment" (Copei) zu nutzen? (Vgl. Loch zu E.Weniger, S. 247f.)
     
  3. Das Curriculum einer Auslandsschule muß die Andersartigkeit der Kultur des Gastlandes wie des eigenen thematisieren. Dazu gehört zunächst die Information der Geschichte, Kultur und deren Produkte, soziale Strukturen, aber dann auch das Bewußtmachen der Unterschiede in Mentalität, Wahrnehmungs- und Denkweisen, in Wertvorstellungen usw. All dies kann nicht mehr vom Lehrer der Auslandsschule gefordert werden, ohne daß er den organisatorischen Freiraum hierfür erhält. Ein wesentliches Prinzip hierbei ist, daß die jeweils andere Kultur sinnlich erfahrbar gemacht wird. Der sinnliche Bezug zu einer Sache ist entscheidend für eine Beziehung zu ihr.
     
  4. Eine zentrale Voraussetzung für die Möglichkeit der Begegnung ist die Sprache. Sprache ist zunächst das bedeutsame Vehikel der Verständigung; wo wir uns nicht verständigen können, ist Begegnung nur schwer denkbar. Sprache schließt aber auch die andere Kultur auf, sofern sie schriftlich vorliegt. Und nicht zuletzt ist die Sprache selbst in ihrer Struktur, in den Redewendungen, Bildern, im Wortschatz usw. ein Schlüssel zur Mentalität der Sprachgemeinschaft. Ich meine nun ausdrücklich auch die Landessprache, nicht nur das Deutsch. Begegnungsschule scheint mir jedoch in ihrer Aufgabe verkürzt zu sein, wenn ihr Erfolg mit dem Erlernen der deutschen Sprache verknüpft würde. Sprachen – Deutsch und Landessprache – sind zwar zentrale Voraussetzung für Begegnung. Aber ihre Beherrschung macht noch nicht Begegnung aus (vgl. Diehl, S. 160, 163). Mit anderen Worten: Weder die Auslandsschule, die die Sprache sträflich vernachlässigt, noch jene, die sich mit ihrer Vermittlung begnügt, verdient die Bezeichnung einer Begegnungsschule.

Zusammengefaßt haben sich folgende pädagogische Perspektiven für die Begegnung gezeigt: Zunächst ergibt sich schon allein aus der Auslandssituation eine spezifische Bildungsaufgabe für die Auslandsschule, nämlich ein Fördern der Auseinandersetzung, der Maßstabsfrage und der Verantwortungsbereitschaft anhand der erfahrbaren Andersartigkeiten. Begegnung kann Bildung anregen; umgekehrt ist Bildung eine Voraussetzung von Begegnungsfähigkeit. Weitere Voraussetzungen hierfür sind die Personen des Lehrers und das Curriculum, die Begegnung ermöglichen, und vor allem die Vermittlung von Deutsch und der Landessprache.

IV. Schulische Hindernisse für Begegnung

Zweifellos ist der Anspruch sehr hoch, der sich aus der anthropologischen Skizze der Begegnung ergibt. Selbst die genannten pädagogischen Perspektiven zeigen eine wünschenswerte Möglichkeit auf und nicht die schulische Realität. Vielleicht sind auch die pädagogischen Ansprüche noch so hoch, daß es konsequent und ehrlich wäre, auf eine Schule, die das Etikett "Begegnung" trägt, zu verzichten; wir haben ja auch keine Wahrheits-, Friedens- oder Verantwortungs-Schule, obgleich Wahrhaftigkeit, Frieden und Verantwortung nicht weniger erstrebenswerte Ziele sind. Ich selbst halte Begegnung für wünschenswert und auch eine Schule, die diese fördert. Aber ob sie dazu in der Lage ist, weiß ich nicht. Ich kenne nur eine einzige sogenannte Begegnungsschule, die Deutsche Evangelische Oberschule in Kairo. Doch die Fragen, die sie in mir aufkommen läßt, finde ich auch von anderen und von anderswo bestärkt (vgl. Steinvorth).

Die schulischen Hindernisse, die sich nach meiner Erfahrung einer Begegnungs-Schule in den Weg stellen, möchte ich in einem Fragenkatalog aufreihen:

  • Sind die Väter und Paten der Begegnungsschule Pädagogen oder politische oder religiöse Ideologen? Verfolgen sie ein Interesse, das nichts mit Begegnung im aufgezeigten Sinn zu tun hat und sind sie daher bereit, die Augen vor den Realitäten zu verschließen?
  • Sind Begegnungsschulen das Produkt eines Verwaltungsaktes, ohne je pädagogisches Leben erhalten zu haben?
  • Verhindern die Schulverwalter nicht Begegnung beispielsweise dadurch, daß sie ein unproportioniertes Verhältnis von deutschen und anderen Schülern tatenlos hinnehmen?
  • Will das Gastland überhaupt Begegnung – dessen Schulverwaltung, die Eltern und Schüler? Müssen nicht in einem islamischen Land gerade Mädchen von nahem Kontakt mit Ausländern ferngehalten werden? Ist beispielsweise eine kritische Auseinandersetzung mit und eine mögliche Relativierung von traditionellen Wertmaßstäben erwünscht, oder ist die Skepsis gegenüber westlichem Einfluß größer?
  • Wäre eine Begegnungsschule sinnvoll, wenn Begegnung nur ein typisches westliches Anliegen wäre?
  • Erlauben Schulsystem und Lernbedingungen des Gastlandes, die Voraussetzung von Begegnung zu schaffen? Oder wird z.B. nur toter Stoff memoriert? Werden etwa ägyptische Schüler schulisch so überlastet, daß von Begegnung zu sprechen beinahe zynisch klingt?
  • Ist die Schule imstande und willens, einen befriedigenden Unterricht in der Landessprache zu bieten, oder lernen deutsche Schüler sie nur auf Straßenniveau?
  • Werden die entsandten Lehrer ausreichend auf die Auslandssituation vorbereitet? Sind sie fähig und bereit, das Gastland in den Unterricht einzubeziehen und das eigene darzustellen?
  • Geben Lehrer Hilfestellungen, wo Aggressionen und Schwierigkeiten aufgrund kultureller Unterschiede auftreten, oder bestrafen sie oder schauen sie weg?
  • Bauen Lehrer kindliche Vorurteile ab – "alle Ägypter sind doof" – oder fördern sie diese?
    Usw., usw.

Das klingt alles so skeptisch. Lassen Sie mich darum zum Abschluß einen Auslandslehrer, Reinhard Jung, zitieren, der meiner Ansicht nach die Haltung des Lehrers, mit der allein er Voraussetzungen für Begegnung schaffen kann, im Kern trifft: "Begegnung ist ... in erster Linie ein Ergebnis von harter Arbeit, und zwar vor allem an sich selbst. ... Wir kommen ... ins Ausland und nehmen vieles als fremd und damit bedrohlich wahr. Aus Erfahrung wissen wir, daß das Fremde an Bedrohlichkeit verliert, wenn wir es vergleichend in das System unserer Kenntnisse, Bewertungen und Gewohnheiten einordnen. Indem wir das versuchen, sind wir schon dabei, die Kanäle zu verstopfen. Jeder unterlassene Vergleich eröffnet dagegen eine Begegnungschance mehr. Wenn ich mir die Freiheit erarbeite, den anderen so zu erleben, wie er ist, ohne mich vergewissern zu müssen, ob er in mein 'System' paßt, verliere ich plötzlich pfundweise Vorbehalte, werde leichter, beweglicher, geduldiger und eher akzeptiert dort, wo ich Gast bin" (S. 92).

Literatur:
    • Birke, B., Leserbrief, in: Der deutsche Lehrer im Ausland 3/89.
    • Bollnow, O.F., Begegnung und Bildung, und: Vom Wesen geschichtlicher Begegnung, in: B. Gerner (Hg.), a.a.O.
    • Buber, M., Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1962.
    • Buber, M., Reden über Erziehung, Heidelberg 1986.
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Probleme binationaler Kinder an der DEO
von Ivesa Lübben

Papyrus-Logo Nr. 11—12/2002, pp. 33—40

Ein Kind aus einer binationalen Familie muss sich in zwei Kulturen zurecht finden. Die Schule kann ihm dabei helfen – oder ihm die Orientierung erschweren. An der Deutschen Evangelischen Oberschule äußerten wiederholt Eltern in binationalen Ehen Kritik daran, dass ihre Kinder allein nach der Staatsangehörigkeit des Vaters entweder dem arabischen oder dem deutschen Programm zugeordnet werden. Viele Eltern beklagten Schwierigkeiten ihrer Kinder im arabischen Programm. Diese Beschwerden veranlassten den Elternbeirat im Schuljahr 2002/03 zu einer Umfrage zur Situation binationaler Kinder an der Schule, deren Ergebnisse hier vorgestellt werden sollen.
Die Deutsche Evangelische Oberschule als Begegnungsschule

Die Deutsche Evangelische Oberschule in Kairo (DEO) ist nicht nur eine der ältesten deutschen Auslandsschulen – sie wurde 1873 gegründet –, sie ist auch mit fast 1.200 Schülern eine der größten. Und sie spielt in noch einer Hinsicht eine besondere Rolle unter den deutschen Auslandsschulen: Sie versteht sich als Begegnungsschule, in der deutschsprachige europäische und ägyptische Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Dadurch sollen auf besonders intensive Weise die Begegnung und der Dialog zwischen Deutschen und Ägyptern über den Weg der gemeinsamen Erziehung und Ausbildung von künftigen Generationen gefördert werden.

Die meisten anderen deutschen Auslandsschulen sind entweder sogenannte Botschaftsschulen, die vor allem den Kindern von deutschen Experten offen stehen (im Nahen Osten z.B. die Schulen in Abu Dhabi, Dubai oder Riad). Andere Schulen, wie die beiden im Libanon, sind als Landesschulen in das jeweilige einheimische Bildungswesen integriert, wobei besonderes Gewicht auf die Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur gelegt wird. Manche Auslandsschulen, wie z.B. die deutsche Schule in Athen, integrieren beide Aspekte. Diese Schulen haben in der Regel zwei getrennte Abteilungen, die oft wenig miteinander zu tun haben: eine deutsche, die nach deutschen Lehrplänen arbeitet und eine zweite von den jeweiligen Landesbehörden anerkannte Abteilung für die Kinder einheimischer Familien.

An der DEO als Begegnungsschule gibt es diese Trennung nicht. Ägyptische und deutsche Kinder besuchen gemeinsame Klassen, die jedoch teilweise in ein deutsches und ein ägyptisches Programm getrennt werden, um den besonderen Bedürfnissen deutscher und ägyptischer Kinder gerecht zu werden (Anm. 1). Das Deutsche Programm entspricht im vollen Umfang deutschen Curricula und ist von der Kultusministerkonferenz (KMK) anerkannt, die über den Ausschuss für das Auslandsschulwesen die oberste Dienstaufsicht in allen pädagogischen Fragen ausübt. Außerdem ist Arabisch für die deutschen Kinder von der 3. bis zur 7. Klasse Pflichtfach, um ihnen die Integration in die ägyptische Gesellschaft zu erleichtern. Die meisten deutschen Fächer werden vom ägyptischen Bildungsministerium anerkannt, so dass sie auch von den ägyptischen Kindern belegt werden. Ausnahmen sind Biblische Geschichte, Sachkunde, Geographie und Geschichte. An diesen Fächern nehmen nur die deutschen Kinder teil (deutsches Programm). Statt dessen haben die ägyptischen Kinder Arabisch, Religion und Heimatkunde nach ägyptischen Lehrplänen (arabisches Programm) (Anm. 2). Diese Fächer unterstehen der Dienstaufsicht des ägyptischen Erziehungsministeriums. Die Teilnahme am arabischen Programm ist verpflichtend für alle ägyptischen Kinder. Durch diese Teilung in zwei Programme lernen die deutschen Schüler dasselbe wie ihre Alterskollegen in Deutschland und können so problemlos bei einem eventuellen Umzug nach Deutschland in die entsprechenden Klassen umgeschult werden, während den Ägyptern trotz des Besuchs einer ausländischen Privatschule Grundlagen ihrer eigenen Sprache und Kultur vermittelt werden.

Während diese Struktur sowohl den Bedürfnissen der deutschen wie der ägyptischen Kinder entgegen kommt, wird sie problematisch für die binationalen Kinder. Das fängt schon an bei der Frage: Wer bist du? Während an anderen Auslandsschulen in Kairo (z.B. am American College, der British School oder dem Lycée Française) mit nur einem Curriculum die Frage nach der nationalen oder kulturellen Identität nur eine Nebenrolle spielt, führt die Aufteilung der Kinder in die Gruppen ägyptisch bzw. deutsch schon früh zu dem Bewusstsein von einer Gruppenidentität, die sich von einer anderen Identität absetzt. Die Tatsache der strukturellen Dichotomie des Wir und des Anderen tritt schon früh in das Bewusstsein der Kinder. Das muss nicht negativ sein, solange die Kinder gleichzeitig lernen, mit dem jeweils Anderen respektvoll und tolerant umzugehen.

Aber es gibt noch die dritte Gruppe von binationalen Kindern, die von den formalen Verträgen zwischen den Kultur- und Bildungsbehörden der beiden Länder, auf deren Basis die jetzige Schulstruktur beruht, nicht erwähnt wird und in keiner Statistik auftaucht. Dabei ist sie nach der Gruppe der ägyptischen und noch vor der Gruppe der deutschen Kinder die zweitgrößte an der DEO. Mit binationalen Kindern sind hier vor allem diejenigen mit einem ägyptischen und einem deutschen bzw. anderen europäisch-westlichem Elternteil (Anm. 3) gemeint. Für diese Kinder ist die Tatsache, dass es erstens zwei Gruppen an der Schule gibt und dass sie zweitens einer dieser Gruppen zugeordnet werden, ein großes Problem, das sie während ihrer ganzen Schulzeit begleitet. Denn binationale Kinder sind weder ganz deutsch noch ganz ägyptisch und doch beides. Dies kann sehr fruchtbar sein und zu einer kulturellen Bereicherung führen, wenn beide Identitäten harmonisch koexistieren und die Kinder ihre beiden Identitäten entsprechend der kulturellen Kompromisse innerhalb ihrer Familien entfalten können. Es wird aber zum Problem, wenn die eine Identität durch außerfamiliäre Zwänge plötzlich zum kulturellen Zwangskorsett auf Kosten der anderen wird.

Binationale Kinder an der DEO

An der DEO gibt es 239 Kinder, die neben der ägyptischen noch deutsche, österreichische, schweizer oder sonst eine europäisch-westliche Staatsangehörigkeit haben (Anm. 4). Etwas mehr als die Hälfte (55%) haben einen ägyptischen Vater und eine europäische, in den meisten Fällen deutschsprachige Mutter. Außerdem gibt es etwa 90 Kinder, die zwar nur eine deutsche bzw. europäisch-westliche Staatsangehörigkeit haben, in Wirklichkeit aber auch binational sind, sei es, weil sie eine ägyptische Mutter haben – diese kann nach dem ägyptischen Staatsangehörigkeitsgesetz die Staatsangehörigkeit nicht an ihre Kinder weitergeben – sei es, weil ihre Väter ägyptischer Abstammung sind, ihre Staatsangehörigkeit jedoch zugunsten der deutschen bzw. einer anderen Staatsangehörigkeit aufgegeben haben. Stellen binationale Kinder schon jetzt die zweitgrößte Gruppe an der DEO, so nimmt ihr Anteil im den jüngeren Jahrgängen weiter zu, während derjenige der deutschen Kinder zurück geht.

Das Grundproblem der binationalen Kinder an der DEO besteht darin, dass sie nach einem einzigen, rein formalen Kriterium dem arabischen oder deutschen Programm zugeordnet werden: danach ob der Vater die ägyptische Staatsangehörigkeit besitzt oder nicht. Die Staatsangehörigkeit der Mutter spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Da in Ägypten die Vererbung der Staatsangehörigkeit ein männliches Privileg ist, entscheidet also allein das patrilineare Abstammungsprinzip über den schulischen Werdegang des Kindes. Weder der Elternwille, noch andere Kriterien, die für die Herausbildung der subjektiven Identität viel wichtiger sein mögen, wie der kulturelle Hintergrund der Familie, die Sprachsozialisation und Sprachkenntnisse des Kindes, die Frage, wie lange die Familie schon in Ägypten lebt und wie die zukünftige Familienplanung aussieht, Fragen nach der sozialen Integration des Kindes, nach der Selbstdefinition, die Frage, wo die Eltern das Kind studieren lassen wollen etc. spielen keinerlei Rolle.

Bei dieser formalen Zuordnung des Kindes zu einer der beiden Gruppen kommt es immer wieder zu Festschreibungen von Identitäten, die oft stark vom Selbstbild abweichen. So passiert es, dass Kinder mit deutschen Müttern und ägyptischen Vätern dem arabischen Programm zugeordnet werden, selbst wenn sie überwiegend deutsch sozialisiert sind, während Kinder von deutschen Vätern und ägyptischen Müttern am deutschen Programm teilnehmen, selbst wenn ihre Muttersprache Arabisch ist. Selbst bei Kindern und Enkelkindern von binationalen Eltern entscheidet allein die Frage, ob der Vater neben anderen auch die ägyptische Staatsangehörigkeit hat oder nicht über die Zugehörigkeit zum deutschen oder zum arabischen Programm, letztlich auch über die Zugehörigkeit zur Gruppe der Deutschen oder der Ägypter. Diese formale Einteilung führt im Extremfall zu paradoxen Situationen: Kinder mit deutschen Müttern und binationalen Vätern – die selber wiederum eine deutsche Mutter und einen ägyptischen Vater haben – kommen ins arabische, nicht ins deutsche Programm, obwohl sie rein statistisch gesehen ¾-Deutsche und ¼-Ägypter sind. Dabei spielt es keine Rolle, wenn ihre Väter in Deutschland aufgewachsen, deutsch sozialisiert sind und sich in nichts von anderen in Ägypten lebenden Auslandsdeutschen unterscheiden. Wenn nun aber die Mutter dieses binationalen Vaters Ägypterin, der Vater deutsch ist, so verkehrt sich die Abstammungslinie. Die Kinder kommen ins deutsche Programm, selbst wenn sie eine ägyptische Mutter haben, sie also wieder statistisch gesehen ¾-Ägypter und ¼-Deutsche sind. Abgesehen davon, dass diese patrilinear begründete Zuordnung der Kinder im Widerspruch zu dem durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantierten Gleichheit von Mann und Frau steht, führt die sich daraus entwickelnde mögliche Diskrepanz zwischen kultureller Identität, sprachlicher Sozialisation und Familienplanung einerseits und formeller Zuordnung der Kinder zu einer der beiden Programme an der Schule immer wieder zu extremen Härtefällen, vor allem für binationale Kinder im arabischen Programm. Andererseits stehen ägyptische Mütter, selbst wenn sie von dem deutschen Vater ihrer Kinder getrennt leben, ihre Kinder in die ägyptische Gesellschaft voll integriert sind und sich als Ägypter fühlen, hier studieren und ihre Zukunft aufbauen wollen, vor dem Problem, dass ihre Kinder weiterhin als Deutsche gelten.

Auf den binationalen Kindern lastet ein ungeheurer Erwartungsdruck, da jede Seite von ihnen Muttersprachleistungen erwartet. Dieser Druck ist umso größer, wenn die Kinder neben den deutschen Fächern noch das arabische Programm zu bewältigen haben. Außerdem wird oft subtil und unterschwellig von der jeweiligen Gruppe (Deutsche bzw. Ägypter), der das binationale Kind zugeordnet wurde, erwartet, dass es sich auch mit ihr identifiziert. Das kann aber gerade dann, wenn westliche und orientalische Werte und Normen differieren, zu starken Identitätsproblemen führen. Binationalität kann dann von den Kindern nicht mehr als Bereicherung, sondern nur noch als Problem erfahren werden.

Binationale Kinder im arabischen Programm

Für die Umfrage lagen 130 Fragebögen von binationalen Kindern im arabischen Programm vor. Im Mittelpunkt standen der Zusammenhang zwischen Sprachsozialisation und schulischen Sprachproblemen binationaler Kinder. Denn das Hauptproblem der binationalen Kinder im arabischen Programm, das bestätigte die Auswertung der Fragebögen, liegt in der Diskrepanz zwischen realem Sprachvermögen und den in den arabischen Fächern verlangten sprachlichen Voraussetzungen. Jedes Jahr geben deutsch-ägyptische Familien, deren Kinder an den Anforderungen des Arabischunterrichts an der DEO scheitern, ihre Existenz in Ägypten auf, um nach Deutschland (zurück) zu gehen.

Die Auswertung ergab, dass in fast allen Familien die Mutter die Haupterziehungsperson ist. Nur sieben der Kinder, so die Angaben der Eltern, werden überwiegen von den Vätern erzogen. Die Mütter haben also bei der sprachlichen Primärsozialisation ein weitaus stärkeres Gewicht, was ja auch in dem Begriff der Muttersprache zum Ausdruck kommt. Aus diesem Grunde haben wir die Gruppe der Kinder im arabischen Programm noch einmal in zwei Untergruppen unterteilt: erstens die Gruppe der Kinder mit ägyptischen Vätern und deutschen bzw. europäischen Müttern, also Müttern ohne einen arabischen kulturellen und sprachlichen Hintergrund (Untergruppe 1) und zweitens die Gruppe der Kinder, bei denen beide Elternteile einen arabischen Hintergrund haben, weil sie selber binational sind oder aus anderen Gründen zwei Staatsangehörigkeiten besitzen (Untergruppe 2). Gerade durch den Vergleich zwischen den beiden Gruppen konnten die Probleme der Kinder von deutschen Müttern noch einmal akzentuiert werden.

In zwei Dritteln der binationalen Familien mit deutschen/europäischen Müttern (Untergruppe l) wird ausschließlich oder überwiegend Deutsch gesprochen. Die Muttersprache dieser Kinder ist also in diesen Fällen eindeutig Deutsch. Nur in 29% – also weniger als einem Drittel – aller Familien spielen das Arabische und das Deutsche eine gleichberechtigte Rolle. Nur diese Kinder können also im engeren Sinne als doppelte Muttersprachler betrachtet werden. Lediglich ein Viertel aller Eltern gab an, dass ihre Kinder Arabisch auf einem Muttersprachniveau sprächen. Dieses starke Übergewicht des Deutschen als Muttersprache mag befremdlich erscheinen, da man annehmen sollte, das arabische Umfeld habe einen stärkeren Einfluss auf die sprachliche Sozialisation der Kinder. Andererseits ist die spontane soziale Interaktion von Kindern auf Grund der konkreten Lebensbedingungen in der Metropole Kairo stark reglementiert und damit begrenzt. Es gibt so gut wie keinen öffentlichen Raum, in dem sich Kinder bewegen und mit anderen Kindern Kontakt aufnehmen (keine öffentlichen Spielplätze, Kinder spielen nicht auf der Straße). Nachbarschaftsbeziehungen in den meist großen Wohnblocks sind anonym. Das öffentliche Freizeitangebot für Kinder ist begrenzt. So bleiben vielen ausländischen Müttern mit ihren Kindern nur noch die Ausländergettos, (z.B. der Schweizer Club, CSA), wo auch wiederum überwiegend Deutsch bzw. Englisch gesprochen wird. Da außerdem das Angebot von arabischen Medienerzeugnissen (Kinderbücher, Filme, Kassetten) im Vergleich zu deutschsprachigen relativ begrenzt ist, wachsen die meisten Kinder überwiegend mit deutscher/europäischer Kinderkultur auf. Wenn sich dann Deutsch erst einmal als Muttersprache durchgesetzt hat, orientieren sich die Kinder wiederum überwiegend an deutschsprachigen Freunden. Da der Arabischunterricht im arabischen Programm aber ausschließlich auf Muttersprachler angelegt ist, und die ArabischlehrerInnen auf Grund der Fülle des Lehrstoffes kaum Zeit darauf verwenden können, die Sprachkompetenz der nicht-muttersprachlichen Kinder zu fördern – etwa analog dem deutschen Förder- und dem DAF-Unterricht für die ägyptischen Schüler an der DEO – muss davon ausgegangen werden, dass bei der Einschulung in die Grundschule höchstens ein Sechstel aller binationalen Kinder deutscher Mütter die sprachlichen Voraussetzungen haben, dem Arabischunterricht zu folgen.

Die Kinder hätten kein ausreichendes Sprachgefühl, um dem Arabischunterricht zu folgen, gaben viele Eltern bei der Umfrage an. Sie hätten Angst im Arabischunterricht, weil sie die Dinge nicht richtig verstehen oder die Hausaufgaben nicht richtig gemacht hätten. Die Sprachfähigkeit könne in der Regel nicht von den Müttern gefördert werden, da sie selber kein Hocharabisch sprächen. Den Kindern fehle eindeutig der Wortschatz. Dabei würde im Unterricht keine Rücksicht darauf genommen, ob die Kinder der Sprache folgen könnten oder nicht. Die ArabischlehrerInnen würden von Thema zu Thema hetzen. Dabei bliebe den Kindern keine Zeit zum Nachfragen, wenn sie ein Wort nicht verstanden hätten. Die Lehrerin würde so schnell reden, dass die Tochter nichts verstehe. Sie würde viele Worte benutzen, die sie überhaupt nicht kenne, lauten die sich ständig wiederholenden Elternkommentare (Anm. 5). In den höheren Klassen verbessert sich das Arabischniveau relativ, was vor allem auf den intensiven Nachhilfeunterricht zurückzuführen sein dürfte. Aber trotzdem bleibt bei den Kindern das Gefühl bestehen, ständig hinter den Ansprüchen zurück zu bleiben. Denn selbst wenn sie mit Unterstützung von Verwandten oder PrivatlehrerInnen versuchen, sich die Basis der arabischen Sprache zu erarbeiten und vorhandene Lücken zu schließen, erreichen sie doch vielfach nie den Anschluss, da ja parallel dazu auch der/die LehrerIn im Unterricht fortfährt, so dass viele Kinder trotz aller Bemühungen oft während der ganzen Schulzeit hinterher hinken. Viele Eltern weisen zumal darauf hin, dass im Arabischprogramm der DEO trotz der Doppelbelastung sehr viel mehr verlangt wird als in vergleichbaren Regierungsschulen.

Diese chronische und dem System der DEO inhärente Diskrepanz zwischen der realen Sprachkompetenz binationaler Kinder und den Anforderungen des Unterrichts führt zu einer ganzen Kette von Folgewirkungen mit tief greifenden Auswirkungen auf das Familienleben und das Selbstwertgefühl binationaler Kinder deutscher Mütter im arabischen Programm. Erstens: Die wenigsten Mütter sind in der Lage, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen. Um die schlechten Leistungen im Arabischen auszugleichen, bleibt nichts anderes als privater Nachhilfeunterricht. Die meisten binationalen Kinder haben schon in der Grundschule, die Hälfte bereits ab der ersten Klasse, privaten Nachhilfeunterricht – manche Kinder bis zu vier oder fünf Stunden in der Woche – was bei 35 Schulstunden plus Hausaufgaben in den deutschen Fächern eine kaum zu verantwortende Belastung für die Kinder darstellt. Es sei zum Vergleich daran erinnert, dass in Deutschland für den erwachsenen Arbeitnehmer inzwischen die 35-Stunden-Woche die Norm darstellt. Ein zusätzliches Problem besteht in der mangelnden Kommunikation zwischen Müttern und LehrerInnen. Da viele ArabischlehrerInnen an der DEO keine Fremdsprachen sprechen, ist die Kommunikation mit den Müttern erschwert. Diese verstehen oft nicht, wo die Lücken ihrer Kinder sind und können diese somit auch den NachhilfelehrerInnen nicht weiter vermitteln. Zweitens: Trotz privaten Nachhilfeunterrichts und trotz des ungleich größeren Zeitaufwandes für Hausaufgaben bleiben die Leistungen im Arabischen doch schlechter als die in deutschen Fächern: drei Viertel aller binationalen Kinder dieser Gruppe geben an, sie seien im Arabischen schlechter als im Deutschen. Dies führt zu Frustrationen, zu Demotivation und zu einer ablehnenden Haltung der Kinder gegenüber der arabischen Sprache und Kultur, obwohl ja gerade die Teilnahme der Kinder am Arabischen ihre arabisch-ägyptische Identität stärken sollte. Drittens: Der unverhältnismäßig hohe Zeitaufwand für Hausaufgaben und Nachhilfeunterricht für das Arabische führt dazu, dass zu wenig Zeit und keine Aufnahmekapazität mehr für die deutschen Fächer bleibt, so dass auch hier ein Absinken der Leistungen zu befürchten und laut Aussage vieler Eltern zu beobachten ist. Viertens: Die chronische objektive Überforderung führt bei vielen Kindern zu Versagensängsten und dem Absinken auch der subjektiven Lernbereitschaft. Fünftens: Die Kinder haben kaum noch Zeit für Hobbys, für Freunde oder für ihr Familienleben – für Aktivitäten also, die für die Formierung der kindlichen Persönlichkeit und für die Entwicklung sozialer Kompetenzen genauso wichtig sind wie die reine Wissensaneignung. Die Gefahr besteht, dass so einseitig leistungsorientierte Persönlichkeitsstrukturen geradezu vorprogrammiert werden. Sechstens: Immer wieder scheitern vor allem binationale Kinder an den Leistungsanforderungen des Doppelprogramms, weil das Arabischprogramm nicht auf ihre spezifischen Ausgangsvoraussetzungen abgestimmt ist. Dies gilt vor allem für Kinder mit zusätzlichen Leistungsschwächen (Anm. 6). In solchen Fällen bleibt den Eltern nur, das Kind auf eine andere ausländische Schule ohne arabisches Programm zu geben oder nach Deutschland umzusiedeln – was für viele Familien eine extreme soziale Härtesituation darstellt.

In diesem Zusammenhang scheint ein Vergleich mit denjenigen binationalen Kindern aufschlussreich, deren Mütter einen arabischen Hintergrund haben, weil sie selber binational sind, oder weil sie als Ägypterinnen mit binationalen Männern verheiratet sind. (Untergruppe 2). In dieser Gruppe wird in 87% aller Familien überwiegend Arabisch gesprochen, bzw. ist arabisch gleichberechtigte Familiensprache. Entsprechend gut ist auch das Arabischniveau der Kinder. Nach Angabe der Eltern sprechen zwei Drittel aller Kinder Arabisch auf Muttersprachniveau, und 27% mit Einschränkungen auf Muttersprachniveau, andererseits ist das Deutschniveau dieser Kinder geringer als in der Gruppe der Kinder von nur-deutschen Müttern, was aber wegen der vielfältigen Fördermaßnahmen im deutschen Programm der DEO weniger ins Gewicht fällt. Auch der Nachhilfebedarf – zumindest in der Grundschule – ist bei diesen Kindern sehr viel niedriger (30% gegenüber 80% der Kinder von Müttern mit nicht-arabischem Hintergrund).

Binationale Kinder im deutschen Programm

Auch wenn es anders als bei den Kindern ägyptischer Väter nicht aus ihrer Staatsangehörigkeit ersichtlich ist, gibt es auch im deutschen Programm ca. 90 binationale Kinder mit einem europäischen und einem ägyptischen bzw. ägyptisch-stämmigen Elternteil. Gerade die Kinder mit ägyptischen Müttern sind über die Mütter meistens relativ gut in die ägyptische Gesellschaft integriert, sprechen fast alle Arabisch als Muttersprache – wenn auch ihr Deutsch meistens besser ist als das Arabisch der binationalen Kinder mit ausländischen Müttern – und begreifen sich selber teilweise oder überwiegend als ÄgypterInnen. Viele von ihnen möchten in Ägypten studieren und hier ihre Zukunft aufbauen. In der Schule gelten sie jedoch als Nur-Deutsche (bzw. Österreicher, Schweizer etc.) und sind dem deutschen Programm zugeordnet. Dadurch haben sie nicht die Möglichkeit eines ihrem sprachlichen Niveau und ihren kulturellen und sozialen Bedürfnissen entsprechenden Arabischunterrichts.

Die meisten Kinder mit ägyptischen Müttern nehmen erfahrungsgemäß in den ersten beiden Jahren am regulären Arabischunterricht des arabischen Programms teil. Ab der 3. Klasse ist das wegen der teilweisen Überschneidungen zwischen dem arabischen und dem deutschen Programm nicht mehr möglich. Statt dessen nehmen sie dann wie der Rest der deutschen Kinder am Arabisch für Deutsche teil, das für Kinder des deutschen Programms von der 3. bis zur 7. Klasse obligatorisch ist. Die meisten Eltern binationaler Kinder halten jedoch diesen Arabischkurs für unzureichend. Die Kinder seien unterfordert. Zwar wird Arabisch für Deutsche in jeder Jahrgangsstufe in zwei Schwierigkeitsstufen angeboten: ein Kurs richtet sich an Kinder mit Vorkenntnissen, i.d.R. binationale Kinder mit arabischem Hintergrund, der zweite Kurs an Kinder ohne arabische Ausgangskenntnisse, i.d.R. an Nur-Deutsche. Es scheint jedoch, dass in den beiden Leistungsstufen ein relativ großer Prozentsatz der angesprochenen Zielgruppe unterfordert ist.

Ein besonderes Problem ergibt sich für die binationalen Kinder, die in den ersten beiden Schuljahren am regulären Arabischunterricht gemeinsam mit den ägyptischen Kindern teilgenommen haben. Für sie gibt es ab der 3. Klasse faktisch keinen Arabischunterricht mehr, der ihrem Sprachniveau, ihren bereits erworbenen Kenntnissen sowie ihren sozialen und kulturellen Bedürfnissen als Muttersprachler entsprechen würde. Wenn sie in der 3. Klasse in das Arabisch für Deutsche wechseln, können sie bereits lesen und schreiben und kennen erste Grundlagen der arabischen Grammatik, während der Kurs mit dem Alphabet wieder von vorne anfängt. Die Kinder würden sich langweilen, geben viele Eltern an (Anm. 7). Ein zusätzliches Problem ist, dass im Kurs Arabisch für Deutsche ägyptischer Dialekt, und zwar auch in Schriftform, unterrichtet wird, die doch erheblich von der Schreibweise des Modern Standard Arabic (modernes Hocharabisch) abweicht, so dass die Kinder zwar einerseits unterfordert sind, andererseits aber verwirrt werden, was sich insgesamt negativ auf ihre Motivation sowie ihre Schreib- und Lesefähigkeit auswirkt. Außerdem wird das Arabisch für Deutsche nur bis zur 7. Klasse angeboten. Die Möglichkeit, Arabisch als Fremdsprache zu wählen ist, anders als für die ägyptischen Kinder, die aus dem arabischen Programm in den Abiturzweig wechseln, ebenfalls nicht gegeben. Der Grundsatz der Begegnungsschule, die Kinder nicht von ihrer eigenen Kultur zu entfremden, wird für diese Gruppe der binationalen Kinder, die in vielen Fällen über ihre ägyptischen Mütter stärker in die ägyptische Gesellschaft integriert sind als die Gruppe der Kinder mit ägyptischen Vätern und deutschen Müttern, nicht eingelöst.

Sechs Eltern von binationalen Kindern im deutschen Programm gaben an, dass ihr Antrag auf Teilnahme ihres Kindes am regulären Arabischunterricht abgelehnt worden sei. So bleibt denjenigen Eltern, die ein Interesse daran haben, dass ihre Kinder gut Arabisch lernen, nur die Möglichkeit, sie selber zu unterrichten bzw. einen Privatlehrer zu engagieren.

Schlussfolgerungen

So positiv der Gedanke der Begegnung für rein-ägyptische und rein-deutsche Kinder sein mag, so sehr führt er in der an der DEO praktizierten Form bei den binationalen Kindern zu dem Gefühl des Hin- und Hergerissen-Seins. Gerade die binationalen Kinder, die prädestiniert wären, eine Brückenfunktion im interkulturellen Dialog einzunehmen, werden zum Problemfall. Wie oben ausgeführt werden sie mit dem Argument, sie sollten nicht ihrer Kultur entfremdet werden, nach rein formalen Kriterien einer der beiden Programme zugeordnet. Aber was ist ihre Kultur? Und wer bestimmt, was ihre Kultur ist? Oft entsprechen die formalen Zuordnungen der binationalen Kinder eben gerade nicht ihrer psychologischen und der im Familienverband gelebten Identität. So gibt es Kinder von ägyptischen Müttern, die während ihrer ganzen Schullaufbahn nichts von arabischer Geschichte gehört haben und faktisch in ihrer Muttersprache halbe Analphabeten bleiben. Andererseits werden manchen Kindern deutscher Mütter neun Jahre lang nicht nur die Grundlagen europäischer Geschichte und Sozialkunde vorenthalten. Gleichzeitig drohen sie ständig an den Anforderungen eines Doppelprogramms zu scheitern, dem sie nicht gewachsen sind – nicht weil es ihnen, wie so oft unterstellt, an Intelligenz mangelt, sondern weil das Programm auf der falschen Voraussetzung aufbaut, sie seien Muttersprachler.

In der Studie über binationale Kinder wurden einige Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der binationalen Kinder vorgeschlagen, wovon hier die wichtigsten aufgeführt seien: Einerseits sollte es im arabischen Programm einen schulinternen Förderunterricht analog zu den Fördermaßnahmen für ägyptische Kinder im deutschen Programm geben, der wie der Förderunterricht im deutschen Programm der Grundschule integraler Bestandteil des Unterrichts sein sollte. Da das Hauptproblem der binationalen Kinder in der mangelnden Sprachkompetenz und in typischen Syntaxfehlern von Nicht-Muttersprachlern liegt (Anm. 8), sollte sich dieser Förderunterricht nicht in der Wiederholung der Curricula des Arabischprogramms erschöpfen, sondern muss unter Einbeziehung von Methoden der Fremdsprachendidaktik systematisch die mündliche und schriftliche Sprachkompetenz der Kinder aufbauen und entwickeln. Auch darf die Zielgruppe eines solchen Förderunterrichts nicht auf besonders schwache und eventuell versetzungsgefährdete Schüler beschränkt bleiben, sondern sollte vor allem darauf ausgerichtet werden, das Sprachvolumen all derjenigen binationalen Kinder zu verbessern, für die Arabisch eben nicht Muttersprache ist. Es wäre in diesem Zusammenhang zu überlegen, ob man nicht analog zu der Teilung des Deutschunterrichts in DaM und DaF auch im Arabischunterricht eine Teilung in AaM (Arabisch als Muttersprache) und AaF (Arabisch als Fremdsprache) vornehmen könnte. Es ist positiv anzumerken, dass auf Grund der Studie über binationale Kinder an der DEO von der Schulleitung ein Förderunterricht für besonders schwache Kinder in der Grundschule eingerichtet wurde, der allerdings außerhalb des regulären Unterrichts stattfindet. Außerdem wurde für im Arabischen besonders schwache Kinder ab der fünften Klasse eine eigene Klasse eingerichtet. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Maßnahmen den in der Studie entwickelten und wiederholt vom Elternbeirat der Schule geforderten Kriterien genügen und inwieweit sich dadurch die Situation der binationalen Kindern real verbessert.

Prinzipiell sollte es jedoch in der Verantwortung der Erziehungsberechtigten von binationalen Kindern liegen – sowohl derjenigen mit Doppelstaatsangehörigkeit wie der von Kindern ohne die formelle ägyptische Staatsangehörigkeit – zu entscheiden, ob ihr Kind am deutschen oder arabischen Programm teilnimmt. Eltern sollten schon bei der Anmeldung über mögliche Vor- und Nachteile des arabischen und des deutschen Programms für ihr Kind aufgeklärt werden. Voraussetzung einer Entscheidung für das deutsche Programm sollte sein, dass die Kinder eindeutig deutsche Muttersprachler sind, da nur die sogenannten DaM-Kinder (Muttersprachler) später in den Abiturzweig übernommen werden können.

Das immer wieder angeführte Argument, binationale Kinder würden bei einer möglichen Abwahl des arabischen Programms ihrer Kultur entfremdet werden, kann man genauso gut umgekehrt geltend machen: Anders als ihre nur-deutschen Mitschüler können diese Kinder nicht an Fächern im deutschen Programm teilnehmen, die stark identitätsbildende Momente haben und Genese von Grundwerten europäischer Kultur, Gesellschaft und Politik vermitteln (Geographie, Geschichte, Religion), da sie sich mit den arabischen Fächern überschneiden. Genauso wie man befürchtet, dass binationale Kinder im deutschen Programm ihrer ägyptischen Kultur entfremdet werden, könnte man auch umgekehrt argumentieren, dass binationale Kinder durch die Beteiligung am arabischen Programm ihrer deutschen Kultur entfremdet werden. Auch aus diesem Grund sollte man die letzte Entscheidung über die kulturelle Identität binationaler Familien und damit verbunden die Frage, ob das Kind gerade diese identitätsstiftenden Fächer im deutschen oder arabischen Programm absolviert, den Erziehungsberechtigten überlassen, zumal für viele Binationale die DEO ein wichtiges Bindeglied zu Deutschland repräsentiert.

Mit der Forderung nach Wahlfreiheit sprachen die Eltern binationaler Kinder immer wieder den Wunsch nach einem qualifizierten Arabischunterricht im Rahmen des Deutschen Programms an. Ein solcher Arabischunterricht könnte – ähnlich dem deutschen DaF-Unterricht – die Sprachkompetenz der Kinder systematisch erhöhen, sie an ein hohes Sprachniveau ähnlich dem Muttersprachniveau heranführen und gleichzeitig landeskundliche Elemente integrieren (Anm. 9).

Anmerkungen:
    • Anm. 1 
      Der Begriff "deutsche Kinder" umfasst hier allein aus Gründen der sprachlichen Einfachheit auch österreichische, schweizer und andere europäische Kinder im deutschen Programm.
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    • Anm. 2 
      Das gilt bis zur 9. Klasse, dann endet die ägyptische Schulpflicht. Diejenigen, die danach auf den Abiturzweig wechseln, haben wie auch der Rest der deutschen Kinder alle deutschen Pflichtfächer. Dies führt zu Problemen, da sie in der Mittelstufe keine Geographie und Geschichte nach dem deutschen Lehrplan hatten und sich die Grundlagen im nachhinein aneignen müssen.
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    • Anm. 3 
      Es gibt auch binationale Kinder, deren beide Elternteile europäisch sind, oder Kinder, deren beide Eltern Ägypter sind, die aber, weil sie im Ausland geboren wurden, eine zweite Staatsangehörigkeit besitzen. Diese Kinder werden hier nicht berücksichtigt. Außerdem gibt es Kinder, die ein deutsches bzw. ägyptisches Elternteil und ein Elternteil haben, das selber binational ist. Inwieweit diese Kinder binational sind, hängt vor allem vom gelebten Familienalltag und der subjektiv empfundenen Identität ab.
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    • Anm. 4 
      Die Zahlen beruhen auf Angaben der Schulstatistik zu Beginn des Schuljahres 2001/2002.
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    • Anm. 5 
      Siehe dazu die vielfältigen persönlichen Anmerkungen der Eltern auf dem Fragebogen.
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    • Anm. 6 
      Vor allem Kinder mit zusätzlichen Leistungsschwächen (Legastheniker, Kinder mit ADS oder sonstigen Aufmerksamkeitsstörungen etc.) scheitern immer wieder an den Anforderungen der Doppelbelastungen im allgemeinen und den Anforderungen des arabischen Programms im besonderen.
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    • Anm. 7 
      Siehe Anmerkungen zu den Fragebögen.
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    • Anm. 8 
      Binationale Kinder haben immer wieder Probleme bei der Aussprache arabischer Buchstaben, die nicht im Deutschen vorkommen, wie dem gerollten r, den emphatischen Lauten oder dem Qaf. Oft übersetzen sie wortwörtlich aus dem Deutschen oder strukturieren Sätze nach deutschen Syntaxregeln.
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    • Anm. 9 
      Die komplette Ausarbeitung der Umfrage kann über die Autorin bezogen werden. Kontakte über E-Mail: luebben@soficom.com.eg.
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Germanistik an Kairos Universitäten – Fachkompetenz und Intoleranz
von T. El Hefny

Papyrus-Logo Nr. 10/89, pp. 35—38

Die Germanistik hebt sich m.E. von den meisten Fakultäten ab. Grund dafür: Sie verlangt mehr Einfühlungsgabe in das Thema des Studiums, ist weniger objektiv als der Stoff der anderen Fakultäten, enger als diese verbunden mit dem Heimatort. So behandelt z.B. die Medizin Krankheiten, die im allgemeinen in der ganzen Welt auftauchen; doch muß auch hier Rücksicht genommen werden auf die klimatischen und individuellen Faktoren. Viele Krankheiten sind bedingt durch Lebensgewohnheiten und -forderungen, wirtschaftlichen Stand usw. Die Technische Hochschule lehrt die modernsten technischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Produktivität und zur Erleichterung des Lebens, regt zu Forschungen und Weiterentwicklung an. Doch auch hier muß auf die Bedürfnisse des Landes und seiner Grundbedingungen Bezug genommen werden. Hauptsache des Studiums ist, pures Wissen zu erlangen und zu guten Resultaten zu streben.

Es herrscht also eine gewisse Gleichheit, gewissermaßen ein gemeinsamer Kernpunkt in diesen Fakultäten, während es bei dem Kulturfach der Germanistik um mehr als nur theoretisches Wissen geht, wie die Kenntnis der Geschichte, das Erlernen der kulturgeschichtlichen, zeitlich gebundenen Daten. Hier geht es außerdem um eine stärkere und vertiefte Anpassung nicht nur an die Natur der beheimateten Germanistik, um ihre Menschen und deren Charakter, um die Lebensgewohnheiten, kurz um eine Anpassung an das Menschliche, aus der Germanistik entstanden, um das Germanentum. Dem muß diese Fakultät gerecht werden.

Hier in Ägypten fehlen viele Vorkenntnisse der Studenten, sowohl im sichtbaren als auch im abstrakten (inneren) Bereich. Abgesehen von den Studenten, die in deutschsprachigen Ländern aufgewachsen sind oder dort gelebt haben, sind die Vorstellungen, die sich ein ägyptischer Student von dem Ursprung und Gehalt seines Studiums macht, sehr gering. Wer erfaßt, um an den Anfang zu kommen, das Leben der Barden der alten Germanen, die mit Tierfell bekleidet durch die Wälder jagend streiften, in denen die wilden Tiere der Vorzeit gelebt haben? Wer hat überhaupt eine klare Vorstellung von dunklen Wäldern (z.B. "Erlkönig"), von Feldbestellungen der alten Germanen – Grundzüge, aus denen sich der weitere Ablauf der germanischen Geschichte entwickelt hat? Wer versteht ihre Kämpfe und den ernsten Grund: Heldenehre (Hildebrandslied), erfaßt die sich entwickelnden tieferen Momente wie Ehre, Vertrauen, Treue, Liebe (man denke an die Ritterzeit mit ihren Idealen)? Nicht in allen Ländern der Welt finden wir die gleichen Grundlagen, die oft auch noch religiös gestutzt werden.

In der Schule ist wenig, eigentlich fast gar nichts davon gelehrt worden. Hier zeigt sich bereits eine andere Schwierigkeit: der Unterschied zwischen dem Unterrichtspensum der beiden Gruppen Muttersprache und Fremdsprache. Diejenigen, die aus dem Lehrgang der Fremdsprache kommen, haben es da besonders schwer. Sie sind wohl gut in der Grammatik (!) ausgebildet, haben leichte Erzählungen aus dem Alltagsleben ohne viel Problematik mitbekommen, aber den echten Sinn eines Germanentums haben sie nicht aufnehmen können. Diejenigen aus der Muttersprache sind da besser dran. Ihnen ist viel Lektüre vermittelt worden, sie haben sich Kritik und Urteilskraft erarbeitet, sind mit der literarischen und der journalistischen Tendenz in Verbindung getreten. Sollte man also nur diese zum Studium der Germanistik aufnehmen? Das wäre doch schade. Viele von den Fremdsprachenschülern waren wohl faul in der Schulzeit, aber jetzt ist auch bei ihnen ein größeres Verständnis, eine bewußte Aufnahmewilligkeit aufgekommen.

Unangebracht ist manchmal schon das Anfangsprogramm des Studiums. So wurde einer Studentin bereits im zweiten Monat ihres Studiums die Aufgabe gegeben, ein Referat über Lessing zu verfassen. Diese Studentin war weder über Lessing, noch überhaupt über den Aufbau eines Referates im Bilde. Sie wurde auf die Sekundär-Literatur hingewiesen, die sie in der Bibliothek zur Verfügung habe. Das führt zu einem oberflächlichen, äußeren Zusammensetzen eines Referates. Das eigentliche Wissen und Verstehen des Themas, sein Kern, wurde nicht erfaßt, ein richtiges Durcharbeiten ging verloren. Es mag sein, daß derartige Lehrmethoden darauf basieren, daß vier Jahre für das Studium zu kurz bemessen sind, um allem auf den Grund zu gehen (Humanismus "ad fontes!" = zu den Quellen). Auch finde ich, daß die Aufstellung des Studienprogramms nicht sehr günstig ist. Ohne eine feste Grundlage von den einzelnen Literaturepochen zu haben, ohne sie zeitlich einklassifizieren zu können, werden die Germanistik-Studenten mitten in verschiedene Zeiten hineingeworfen. Sie erarbeiten gleichzeitig mit der Romantik etwa die Moderne, wobei sicher eine Verbindung zwischen beiden herausgearbeitet werden kann – aber dafür fehlt den Studenten der richtige Überblick. Die Grundkenntnisse vom literarischen und kulturellen Ablauf, also Literatur- und Kulturgeschichte, müßten doch erst gefestigt werden. Könnte ein zeitliches Aufrollen des ganzen Themas nicht bessere Resultate bringen? Da ich annehme, daß es hier andere Meinungen und sicher auch Parallelen zu Universitäten anderer Länder gibt, die begründet sind, bin ich gern bereit, mich hier belehren zu lassen. Oder ist alles ausgefahrene Routine?

Feststellen konnte ich, daß der Realismus, verbunden mit der anfänglichen Gegenwartsliteratur, den Studenten am meisten verständlich ist, sowohl inhaltlich als auch in Form und Aufbau. Kurzgeschichten werden auch leichter aufgenommen. Die ganz moderne Literatur befremdet meist. Es gibt aber einige Studenten, die viel Modernes in Arabisch lesen und von daher die Bedeutung und auch die Form erfassen können.

Die wichtigsten Personen in diesem Studium sind die Professoren, die die Verantwortung für eine gute Ausbildung haben. Es ist gut, daß es neben ägyptischen Professoren auch deutsche gibt. Sie kommen sowohl aus der BRD als auch aus der DDR. Aufgrund dieser Verschiedenheit zeigen sich bereits nationale und persönliche Interessen: jeder Professor hat sein Spezialgebiet, auf dem er besonders kompetent ist. Im Ausland kann man sich die Universität wählen, an der ein spezieller Professor liest, sowie das Gebiet, für das man sich besonders interessiert. Hier in Ägypten ist das nicht der Fall. Der Student wird einer bestimmten Universität zugewiesen, es gibt wenig Möglichkeiten zu wählen. Nach einer bestimmten Zahl von Jahren wechseln die ausländischen Professoren.

Die deutschstämmigen Professoren bereichern in ihrem Wirken das Lehrprogramm der Germanistischen Fakultät, man sollte nur von ihnen erbitten, daß sie ihre eigenen, meist sehr fanatischen Grundsätze im Interesse eines so anderen Landes mäßigen. Ein Professor, eifriger Verteidiger der Grundsätze seines Landes, stellte hierauf bezogene Fragen in der Prüfung. Auch sonst wird der Student, besonders in der Abschlußzeit, oft sehr in seiner gedanklichen Freiheit eingeschränkt: er muß die Meinung des Professors vertreten. Das hat gewiß seine Grenzen: so lange der Student seine Behauptung logisch und richtig vertreten kann, sollte man ihm diese Freiheit geben, auch wenn der Professor anderen Sinnes ist. Da zeigen sich, besonders bei den Magisterarbeiten oder den Dissertationen, oft mißliche Verhältnisse, die dem Studenten sogar sein "Ausgezeichnet" gefährden. Hier sollte ein Professor mehr Toleranz üben und den Wert einer Arbeit nicht herabsetzen, nur weil sie seiner persönlichen Meinung widerspricht. Aber das gehört nun einmal zu den menschlichen Schwächen: die Notenjagd des Studenten und die erwünschte Selbstzufriedenheit des Verantwortlichen, auf das Resultat seines Wirkens stolz sein zu können.

Das sind meine Betrachtungen, die aber bereits am Anfang darauf hinweisen, daß sich auch in der Germanistik viele materialistische Faktoren eingeschlichen haben, die m.E. dem Idealismus, der sich in der Germanistik verwirklichen sollte, schaden. Reines Wissen, Verstehen, Anerkennen (oder aber auch Tadeln) sollten vorherrschen.

Germanistik als Fakultät ist in den ägyptischen Universitäten, soweit mit bekannt, im großen und ganzen gleich programmiert. Doch gibt es hier auch Unterschiede, die mit der Vorkenntnis der Studenten zusammenhängen. Von den drei Kairiner Universitäten Gizeh, Ain Schams und Azhar folgen die beiden erstgenannten gleichen Zielen. Die Azhar-Universität, im Rahmen ihrer Bindung an die große islamische Universität, verfolgt noch einen anderen Sinn: Sie will quasi eine Brücke zwischen der orientalischen und okzidentalen Kultur schlagen. So wird im Programm darauf geachtet, daß die Unterrichtsthemen, Ost (Orient) und West (Okzident) sich nähern. Als Magisterarbeit stand einmal Lessings "Nathan der Weise" (übrigens auch in den anderen Universitäten) auf dem Programm, wobei besonders die Ringparabel mit der toleranten Verbindung der drei großen Religionen im Vordergrund stand. Friedrich Rückert, der berühmte Übersetzer und Verfasser orientalischer Dichtungen, sowie Goethes Diwan sind häufige Themen. Dazu möchte ich noch erwähnen, daß die Azhar-Studenten ihre germanistischen Studien beginnen, ohne vorher Deutsch gelernt zu haben, und sie schreiben ein sehr sauberes Deutsch. Sicher wird es da auch Ausnahmen geben.

Natürlich bringt ein Studium der Germanistik an Universitäten in deutschsprachigen Ländern andere Resultate hervor, vielleicht mehr äußeres Wissen und Kenntnisse, denn dort ist es beheimatet. Trotzdem kann Ägypten auf die Germanistische Fakultät mit Stolz blicken und viele Erfolge verzeichnen, z.B. auch Dozenten in europäischen Ländern.

Ein weiterer Erfolg ist das Interesse, das bei den Studenten, wenn sie mit Eifer bei der Sache sind, geweckt wird und sie zur Weiterbildung anregt. Ich hatte einmal eine Studentin, mit der ich Goethes "Iphigenie" zweimal hintereinander lesen mußte, so begeistert war sie sowohl von der Sprache als auch von dem – im humanistischen Sinn – gehobenen Inhalt.

Es muß noch gesagt werden, daß der Germanistik in Ägypten auch Hilfe zuteil wird, so verteilt der DAAD lange oder kurze Stipendien in deutschsprachigen Ländern, und es besteht die Möglichkeit, ein Doppelstudium zu genießen, d.h. einen deutschen Betreuerprofessor in einem deutschen Land und gleichzeitig einen ägyptischen in der Heimat zu haben. Das trägt unbedingt viel zu einer großen Bereicherung bei. Und so wünsche ich der ägyptischen Germanistischen Fakultät nach Überwindung vieler kleiner Hindernisse weiterhin guten Erfolg.

PS. Warum es in der Germanistik an der Universität Kairo-Gizeh immer nur weibliche Studenten gibt – in der Azhar nur männliche – ist mir nicht ganz verständlich. Einmal hat sich ein einziger Student unter 13 weibliche gemischt, er blieb aber nur kurz und verschwand bald ganz.

Goethe vor den Pyramiden

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Ein Besuch beim Mubarak-Kohl-Projekt in 6th of October City
Einführung des Systems der dualen Berufsausbildung

von Dagmar Hergt mit Kurzinformation zur 6th of October University
und Ausführungen zum Mubarak-Kohl-Projekt von Peter M. Schmidt

Papyrus-Logo Nr. 1—2/97, pp. 12—20

Unser diesjähriger Kollegiumsausflug der DSB führte uns hinaus vor die Tore Kairos hinein in eine neue "City", die allerdings noch viel Wüstencharakter hat, da dort weder Bebauung noch Verkehr die atemberaubende Dichte Kairos aufweisen. Das Straßennetz ist angelegt, die Häuser sind meist nur 4—5stöckig, der Himmel zeigt sein volles Blau und das Auge kann oft noch über die weite Sandebene gleiten. Man bemüht sich um Begrünung, die natürlich weiterhin viel Zeit braucht, Geduld und regelmäßiger Pflege bedarf.

Ja, 6th of October City ist bisher eine Stadt in den Babyschuhen, aber parallel zur Entwicklung der privaten Industriebetriebe, die dort ständig expandieren oder neu entstehen, entwickeln sich die Wohnviertel und die Infrastruktur. Es gibt Schulen und seit einem Vierteljahr sogar eine nagelneue Universität: die 6th of October University.

Fährt man am großen Kreisel beim Hotel Forte Grand auf die Autobahn Richtung Fayoum, so kann man das Universitätsgebäude von weitem rechter Hand liegen sehen. Man erkennt es an seinem langgestreckten beigen Bau mit weithin leuchtend pink-violetten Facetten-Fensterrahmen. Dort in den Universitätsgebäuden hat das Mubarak-Kohl-Projekt in 6th of October City seine Büros.

Der Projektleiter, Herr Peter-Michael Schmidt, nahm uns sehr herzlich in Empfang und führte uns zunächst in den modern und komfortabel ausgestatteten Repräsenations-Hörsaal, wo wir in bequemen Polster-Klappsesseln Platz nahmen. Schon lang verblaßte Erinnerungen an Vorlesungen im Audimax wurden wieder wach (nur saßen wir dort härter). Wir kamen uns wirklich vor wie Luxus-Studenten, von allen Seiten freundlichst begrüßt und durch die Räume geführt, u.a. verschieden große Hörsäle (mit Holzbänken!), Chemielabor mit Experimentierplätzen für bis zu 40 Studenten, Sprachlabor u.a.

1. University of 6th of October City

Der Dekan der Ingenieurfakultät, Herr Ibrahim Shabaka, gab uns eine kurze Einführung zur 6th of October City Universität, einer der neuen privaten Universitäten des Landes. Sie ist im Besitz von zwei Investoren der Stadt und weiteren Aktieninhabern und Banken. Erst ab Oktober 1996 erhielt sie die Genehmigung, als Universität Studenten ausbilden zu dürfen, obwohl sie schon vor zwei Jahren (zunächst als "Higher Institute") gegründet wurde.

Alle Studenten müssen vor Beginn ihres Studiums ein Vorbereitungsjahr in den Grundlagenfächern ihres jeweiligen Studienganges durchlaufen. Zur Zeit werden folgende Studiengänge angeboten:

  • Medizin
  • Ingenieurwissenschaften
  • Computertechnik
  • Sprachen
  • Kommunikationswissenschaften
  • Sozialwissenschaften.

Die Gründung dieser Universität – und zwei weiterer privater Universitäten in 6th of October City – hängt zusammen mit den Kapazitätsproblemen der staatlichen Hochschulen des Landes und der gestiegenen Investitionsbereitschaft privater Träger im Bildungsbereich. Die Studiengebühren liegen zwischen 25.000 LE pro Jahr (für Medizin) und 6.000 LE (für Sprachen). Im Vergleich zu staatlichen Hochschulen ist diese private Universität recht großzügig ausgestattet. Außer Vorlesungsräumen, Bibliotheken, Werkstätten und Laboren unterhält die Universität zahlreiche Einrichtungen zur sozialen Betreuung der Studenten wie Restaurants, Sport- und Freizeitanlagen und bietet Studentenheime an. Sie hat neben dem Lehrangebot außerdem einige – z.T. noch im Aufbau befindliche – Forschungseinrichturigen. Sie erfüllt nicht nur die Aufgaben einer Universität, sondern hat ebenfalls die Funktion, den Standort 6th of October City für Familien aus Kairo attraktiver zu machen. Sie leistet somit auch einen Beitrag zur Ansiedlung von weiteren Familien.

2. Einführung des Systems der dualen Berufsausbildung in 6th of October City:
    Mubarak-Kohl-Projekt

Teamleiter Peter Schmidt gab uns eine informative und übersichtliche Präsentation dieses Ausbildungsprojekts, die er freundlicherweise im folgenden auch für PAPYRUS schriftlich zur Verfügung gestellt hat:

Auf der Grundlage von Regierungsabkommen zwischen der Republik Ägypten und der Bundesrepublik Deutschland wird in 6th of October City ein neues Berufsbildungssystem eingeführt. Das Ziel besteht darin, dem gestiegenen Bedarf der Industrie an technisch qualifizierten Fachkräften Rechnung zu tragen, nachdem in umfangreichen Untersuchungen festgestellt wurde, daß das bestehende dreijährige System beruflicher Vollzeitschulen (Technical Secondary Schools) die geforderten Qualifikationen – vor allem im praktischen Bereich – auch nicht annähernd leistet. Dabei steht die intensive Zusammenarbeit mit den privaten Betrieben im Vordergrund. Nach dem Vorbild der deutschen dualen Berufsausbildung führen Ausbildungsbetriebe und technische Schulen gemeinsam dreijährige berufliche Bildungsgänge durch. Die Durchführungsverantwortung liegt deshalb auch bei dem Unternehmerverband von 6th of October City (für den betrieblichen Teil) und beim Erziehungsministerium für den schulischen Teil. Die Partner werden unterstützt von einem Beraterteam der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ).

In 6th of October City haben sich seit Gründung dieser neuen Industriestadt etwa 400 Betriebe niedergelassen, von denen ca. 230 private Industriebetriebe sind. Diese sind z.T. mit modernen Produktionssystemen ausgestattet und haben dementsprechend einen großen Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Eine neue Studie zur Industriekultur und zum Qualifikationsbedarf belegt, daß die größten Defizite in den Bereichen Mechanik und Elektronik liegen, gefolgt von den Berufsfeldern Textil, Chemie- und Holztechnik.

Das Projekt zur Einführung des dualen Systems (bekannt geworden als "Mubarak-Kohl-Projekt") hat seine Arbeit im Frühjahr 1996 aufgenommen. Nach einer umfangreichen Planungsphase sind die ersten Werbeveranstaltungen in Giza angelaufen. Mit Zeitungsartikeln, Broschüren, Plakaten und Informationsveranstaltungen ist die Öffentlichkeit angesprochen worden, darunter insbesondere die Mittelschulen (Preparatory Schools) des Bezirks Giza, denn an deren Adadeya-Absolventen wendet sich das Projekt. Nur Bewerber mit guten Abschlüssen wurden akzeptiert. Von den 1.450 Bewerbern, die die Anforderungen erfüllten, wurden dann, nach einem gründlichen Testverfahren (Eignungstest für technische Berufe) 350 geeignete Schüler ausgewählt, wobei auch die Wohnortnähe zum Projekt eine Rolle spielte.

Gleichzeitig sind die Betriebe der 6th of October City auf ihre Eignung als Ausbildungsstätten hin geprüft worden. Mit ca. 80 ausgewählten Betrieben wurden Vorvereinbarungen getroffen, die schließlich zur Beteiligung von 52 Betrieben führten, die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellten. Nachdem mit den Ausbildungsbetrieben Aufgaben, Pflichten und Rechte vereinbart worden waren und jeder Betrieb Ausbildungsleiter und Ausbilder benannt hatte, sind schließlich die erfolgreichen Bewerber zu Beginn des Schuljahres im September in 244 neue Ausbildungsplätze vermittelt worden. Entsprechend der größten Nachfrage hat sich das Projekt in der ersten Phase deshalb auch auf die Ausbildungsberufe Industriemechanik, Industrieelektronik, und Kfz-Mechanik für Nutzfahrzeuge konzentriert. Zusammen mit einer Gruppe von 32 Lehrlingen, die schon im Sommer 1995 in einer Pilotklasse die Ausbildung aufgenommen hatten, werden also seit nunmehr gut zwei Monaten 276 Lehrlinge in drei Berufen in 6th of October City ausgebildet (zur Zeit sind 15 Mädchen darunter). Es ist geplant, in jedem Jahr mit mindestens einem weiteren Beruf und dem Ausbau der bestehenden Bildungsgänge um etwa die gleiche Anzahl Ausbildungsplätze das Projekt auszubauen, so daß innerhalb von ca. 5 Jahren eine ausreichende Versorgung der Industrieregion mit qualifizierten Fachkräften sichergestellt werden kann.

Für den schulischen Teil der Ausbildung ist ein großzügiger Schulneubau (ursprünglich geplant als allgemeinbildende Oberschule für Mädchen) vom Projekt übernommen worden. Diese Schule ("Mubarak-Kohl Technical Secondary School") wurde vom Projekt mit Möbeln, Laboren und Werkstätten ausgestattet. Mit einer durchschnittlichen Klassenfrequenz von 25 ergab sich damit ein Ausstattungsbedarf für 11 Klassen für das erste Ausbildungsjahr. Zur Zeit ist die Ausstattung von zwei Werkstätten für die Metallgrundausbildung und eine Maschinenwerkstatt abgeschlossen. Noch in diesem Jahr wird eine Werkstatt für Elektroinstallation bereitstehen. Weitere Labore für Elektronik, Hydraulik und Pneumatik werden folgen, so daß die Ausbildung gemäß Lehrplan theoretisch und praktisch durchgeführt werden kann.

Besonderer Wert ist auf die Auswahl von geeigneten Theorielehrern (Ingenieuren) und Werkstattlehrern (Technikern) gelegt worden, die seit Juli '96 an der Schule arbeiten und in zahlreichen Fortbildungsmaßnahmen sowohl in Ägypten als auch in Deutschland auf ihre anspruchsvolle Arbeit vorbereitet worden sind. Neben Pädagogik- und Didaktikkursen sind auch für alle Lehrer entsprechend ihrer Spezialisierung fachliche Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt worden. Auch neben ihrer jetzigen Unterrichtstätigkeit sind die Lehrer verpflichtet, an weiteren Schulungen, die das Projekt organisiert oder z.T. auch selbst durchführt, teilzunehmen. An jeweils einem Tag der Woche muß zudem jeder Lehrer unter Anleitung der Projektmitarbeiter seinen Unterricht gründlich planen und die notwendigen Materialien erarbeiten.

Das Beraterteam besteht aus zwei deutschen Experten und vier ägyptischen Fachkräften, die in einer eigens für die Einführung des dualen Systems gegründeten Einheit (Regional Unit for Dual System) arbeiten. Neben den beschriebenen Aufgaben besteht ein wesentlicher Teil der Arbeit darin, die Unterrichtsmaterialien für dieses neue System zu entwickeln.

Auch die Ausbildungsleiter und fachlichen Ausbilder der Betriebe sind – so wie die Lehrer – auf ihre neuen Aufgaben durch umfangreiche Schulungsmaßnahmen vorbereitet worden, wobei es nicht immer einfach war, die Eigentümer der Betriebe davon zu überzeugen, daß sie ihre Mitarbeiter für diese Kurse zeitweise freistellen müssen. Mittlerweile liegen für alle Betriebe erste betriebsinterne Ausbildungspläne vor, denen zufolge Ausbildungsphasen in verschiedenen Betriebswerkstätten ebenso vorgesehen sind wie Lern- und Arbeitsphasen in der Produktion. Für die Ausbildung im Betrieb, d.h. also für die Bereitstellung von Ausstattung, Personal und die gesamte Finanzierung der Ausbildung (mit Ausnahme des schulischen Teils) sind die Betriebe verantwortlich. Dieses ist mit dem Unternehmerverband vereinbart worden und in den Lehrverträgen festgeschrieben.

Mit Beginn des Schuljahres sind alle Lehrlinge zunächst für 6 Wochen in 5 verschiedenen, externen Ausbildungszentren, die zuvor auf ihre Eignung hin untersucht worden sind, in einem Kurs in den Grundlagen der Metallbearbeitung trainiert worden. Die Ausbildungsunterlagen dafür wurden vorn Projekt vorgegeben, um sicherzustellen, daß das geforderte Lehrgangsziel für alle gleichermaßen erreicht wird. Die Absicht war, die Lehrlinge nicht in ihre Ausbildungsbetriebe zu schicken, ohne daß sie wenigstens erste praktische Fertigkeiten erworben haben. In der Absicht, möglichst breite, systemische Wirkungen zu erzielen und ein Netzwerk aufzubauen, sind Zentren von verschiedenen Ministerien, Universitäten und Nicht-Regierungsorganisationen (wie Don Bosco) beteiligt, unterstützt und am Ende evaluiert worden.

Als Anfang November dann die Lehrlinge alle zum ersten Mal in ihre Ausbildungsbetriebe gehen konnten, war der Erfolg der ersten Schulungsmaßnahmen schon erkennbar; jedenfalls äußerten sich die Ausbildungsleiter sehr zufrieden über ihre "Azubis". Auch die Lehrlinge selbst haben mit Eifer und Stolz ihre neue Rolle übernommen. Und das nicht nur deshalb, weil sie von ihren Ausbildungsbetrieben jeden Monat LE 50 als kleines Lehrlingsgehalt bekommen. Sie empfinden sich als junge Mitarbeiter im Betrieb ernst genommen. Entsprechend dem Modell der dualen Berufsausbildung werden die Lehrlinge seitdem an 2 Tagen der Woche in der Schule theoretisch (1 Tag Allgemeinbildung, 1 Tag Technologie) und an 4 Tagen der Woche praktisch im Betrieb ausgebildet.

Für das erste Jahr nach der Ausbildung ist allen Lehrlingen ein Arbeitsplatz gemäß Ausbildungsvertrag sicher. Daß ihnen auch danach ein Arbeitsplatz in den Betrieben erhalten bleibt, ist – zumindest angesichts der erwarteten Leistungsfähigkeit des Projektes – ebenso sicher.

Das Projekt arbeitet zur Zeit an der Entwicklung weiterer Ausbildungsmaterialien, führt Lehrerfortbildungsmaßnahmen durch und unterstützt die Betriebe in der Durchführung ihrer Ausbildung durch regelmäßige Betriebsbesuche. Parallel dazu wird die Partnerorganisation zur systematischen Einführung des dualen Systems weiter ausgebaut. Die regionale Einheit für das duale System überwacht die Ausbildungsaktivitäten und regelt die Finanzierung, die in nicht unerheblichem Maße von den Betrieben getragen wird.

Am Projekt zur Einführung des dualen Systems der Berufsausbildung in 6th of October City arbeiten zur Zeit mit:

  • 244 Auszubildende, die jetzt im ersten Lehrjahr sind,
  • 32 Auszubildende, die jetzt im zweiten Lehrjahr sind,
  • 23 Theorielehrer für technische Fächer, 9 Lehrer für Allgemeinbildung, 8 Werkstattlehrer und 12 Mitarbeiter für Verwaltung, Schülerbetreuung etc. an der Mubarak-Kohl-Schule,
  • 52 Ausbildungsleiter in den Betrieben mit ca. 80 Technikern und Ingenieuren, die als Teilzeitausbilder die betriebliche Ausbildung durchführen,
  • der Verband der Investoren (Unternehmerverband) von 6th of October City,
  • 1 Leiter der regionalen Einheit für das duale System und 1 Ausbildungsexperte (als Teilzeitmitarbeiter der 6th of October Universität),
  • das deutsche Beraterteam mit dem deutschen Teamleiter, einem weiteren deutschen Berater und 4 lokalen Fachkräften.

Beide Seiten des Projekts – die ägyptische wie die deutsche – haben großes Interesse an einer unbedingt erfolgreichen Durchführung des auf 15 Jahre geplanten Unterfangens, was im übrigen durch die Namensgebung der beiden Politiker dokumentiert werden soll.

Nach drei Jahren ist eine Kontrollanalyse vorgesehen, die u.a. herausstellen soll, ob wirklich alle Seiten, vor allem die ägyptischen Betriebe, ihre Vertragsbedingungen erfüllt haben; nur dann soll das Projekt weitergeführt werden.

Der Einführung durch Herrn Schmidt schloß sich die Besichtigung der Mubarak-Kohl-Schule an, wo wir einige Klassen bei der Arbeit antrafen. 14—15jährige Jungen mit aufgeweckten Gesichtern übten sich an Schublehren und beschäftigten sich mit Berechnungen für Toleranzabweichungen bei Werkstücken. Stolz wurden uns die verschiedenen Maschinen und Meßgeräte für die Metallgrundausbildung vorgeführt, die als Schatz der Schule durch Vergitterung der Fenster gesichert werden müssen.

Die Schule bietet eine geordnete und angenehme Arbeitsatmosphäre für noch viele Schüler in den kommenden Jahren. Gespräche und ein Abschiedsfoto mit den Mitarbeitern der Schule und des Projekts beschlossen unseren Besuch im Schulgebäude.

Aufgeteilt in drei Gruppen besuchten wir danach ein Ausbildungszentrum und zwei Ausbildungsbetriebe, die hiermit nur genannt werden sollen – eine nähere Beschreibung würde hier zu weit führen:

  1. Das Heavy Machinery Training Centre als Beispiel für ein externes Zentrum zur Unterstützung des Systemaufbaus
  2. SUZUKI als Beispiel für einen Großbetrieb der Automobilindustrie
  3. GMC als Beispiel für einen Betrieb der Elektroindustrie (u.a. Kühlschränke, Waschmaschinen... )

Wir alle empfanden, daß hier ein absolut sinnvoller Erziehungsbeitrag für ägyptische Jugendliche geleistet wird. Statt mehr und mehr Thanaweyya-Absolventen ohne Berufschancen zu produzieren, werden hier die jungen Menschen gezielt hingeführt zu dem, was Ägypten dringend braucht: ausgebildete Handwerker, die ihre Arbeit in Theorie und Praxis wirklich gelernt und verstanden haben.

Geplant sind übrigens ebensolche Programme für sogenannte typische Frauenberufe, z. B. Krankenschwestern und Berufe in der Textilbranche.
Wir sind sehr gespannt auf eine hoffentlich positive Bilanz des Projekts in 3—5 Jahren.

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