Touren
    Inhalt:
    Felukkafahrt von Assuan nach Luxor
    Schritte in dunkler Nacht
    Von Dakhla nach Farafra – 112 Jahre "nachgewandert"
    Von Kairo nach Abu Simbel
    Mit Kamelen in die Wüste – Portrait eines Kölners: Dr. Carlo Bergmann
    Bahn-Trekking (von Genf nach Kairo)
    Fahrradtour nach... Afrika
    Pharaonen-Rallye – Ein Fluch der Pharaonen
    Cross-Sahara – der etwas andere Reisebericht

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Fahrradtour nach, in und durch Afrika
von Hartmut Fiebig
in 6 Folgen

Folge 1 Papyrus-Logo Nr. 3/90, pp. 61—63

Mit der Ankunft in Ägypten ist das Tor nach Afrika aufgestoßen. Fast auf den Tag genau drei Monate ist es nun her, daß ich vom Bodensee aus zu einer Fahrradtour durch Afrika, einem langjährigen Traum, aufbrach.

Kurz hinter Rosenheim in einem dieser kleinen bayerischen Dörfchen am Fuße der hier mächtig aufragenden Alpen bestaunt mich ungeniert ein sommersprossiger Stupps mit seinem alten Bonanzarad, wie ich genüßlich meine Brotzeit halte. Neugierig, wie seine abstehenden Ohren, fragt er mich mit seinem mir schwer verständlichen Dialekt nach dem woher und wohin. Auf die prompte Antwort "Ägypten!" reagiert er mit beifälligem Nicken in nordwestlicher Richtung und so füge ich erläuternd hinzu: "Das ist noch weiter als Österreich!" Doch sein Interesse gilt längst anderen Dingen. Mit dem geschenkten WWF-Aufkleber verziert er sein eigenes Stahlroß, um danach, auf mein freundliches Angebot hin, vollmundig an meiner Wustsemmel zu partizipieren.

Österreich, von Salzburg bis Wien, versinkt um mich in den kühlen, grauen Schleiern der trächtigen Wolkenherden, die beständig nach Osten ziehen, getrieben von einem unfreundlichen Westwind; und so fasse ich mir frierend am Wiener Westbahnhof ein Herz und rufe die Großmutter eines Freundes an. Eine halbe Stunde später sitze ich bei "Oma" im XIX. Bezirk in der warmen Stube und werde mit dampfenden Köstlichkeiten nach Strich und Faden verwöhnt.

Das Wetter hat sich gebessert, als ich am Seewinkelhof, dem WWF-Informationszentrum an der Langen Lacke eintreffe.

Emanuel, ein Wiener Crack-Ornithologe, verschafft mir den Genuß einer Privatführung durch das international bekannte Vogelschutzgebiet nahe dem Neusiedler See, und bald wird mir vor lauter "Rotschenkeln", "Grünschenkeln", und wie die anderen langbeinigen Wattvogelschönheiten noch heißen, ganz schwach zumute.

Zu Budapest, der wunderschönen Metropole einstiger Donaumonarchien, wo die Pracht und der Glanz vergangener Jahrhunderte unter der staubigen Patina der letzten 70 Jahre hervorscheint, finde ich ein Musikgeschäft mit erschwinglichen Gitarren, und so mache ich mich eine halbe Stunde vor Ladenschluß auf, die erforderliche Summe auf dem Schwarzmarkt zu tauschen. Nach zwei Versuchen, mich auf der Straße beim Wechseln übers Ohr zu hauen, ist die Gitarre vergessen, in mir wächst das Verlangen, von diesen hehren Brüdern einige interessante Tips für die eigene Trickkiste abzustauben, doch das Repertoire ist enttäuschend mager! Wichtige Voraussetzung für das Gelingen dieser Gaunerstückchen ist, dem Touristen einen Teil seiner Aufmerksamkeit zu nehmen. Der Wechsler hat bereits vor dem Handel zwei Geldpacken vorbereitet; der erste, mit der vereinbarten Summe, liegt auf seinem Portemonnaie, der andere, er gleicht dem Original äußerlich genau, enthält jedoch lediglich kleine, wertlose Scheine, wird unter der Börse gehalten. Dem Kunden wird die korrekte Summe vorgezählt – da greift ein Komplize, "der Polizist" in Zivil ins Geschehen ein und lenkt den Kunden für den Bruchteil einer Sekunde ab, der ausreicht, mit einer geschickten Wendung des Portemonnaies das falsche Päckchen unbemerkt nach oben zu drehen. Angesichts der drohenden "Gefahr" besiegelt man hastig die Transaktion und verschwindet auf Nimmerwiedersehen im Gewühle.

Karikatur: Auf dem Fahrrad

Jugoslawien: das Land, wo Gastwirte einem radfahrenden Studenten das Abendessen spendieren, wo die Polizei auf dem Autoput (für Radler verboten!) grüßend die Hand an den Mützenschirm legt, wo mir die ersten Minarette begegnen und wo die Schönheiten der Landschaft der Freundlichkeit der Bevölkerung fast ebenbürtig sind...

Bei Priština werde ich von einer Geschwindigkeitskontrolle energisch herausgewunken, doch stammelnd Besserung gelobend läßt man mich augenzwinkernd meiner Wege ziehen. Zu Skopje, der Hauptstadt des jugoslawischen Teils Makedoniens, erstehe ich doch eine Gitarre, am Zoll aber rutscht mir dann das Herz in die Hose, als der jugoslawische Zöllner mit strengem, prüfendem Blick das nagelneue Instrument einfordert – seine nächste Frage wird die nach der Umtauschbescheinigung sein, die ich jedoch nicht besitze. Doch es kommt anders: der Beamte schiebt die Mütze in den Nacken, schlägt die Beine übereinander und beginnt, vorsichtig erst, einige Akkorde zu zupfen. Ich erkenne sofort "Hotel California", und so stehen wir beide im Licht der untergehenden Sonne an der Abfertigung, er malträtiert das Instrument, und ich schmettere, was das Zeug hält. Es folgt "Stand by me", und auch das aufkommende Geschimpfe der wartenden Reisenden in unserem Rücken kann uns nicht davon abhalten, den Gig mit einem Beatles-Klassiker würdevoll zu beenden – das ist Völkerverständigung! Beswingt passiere ich auch die griechischen Zollformalitäten.

Griechenland zeigt uns ein neues, sein schönstes Gesicht: der touristisch "unterentwickelte" Norden überrascht mich mit herzlicher Gastfreundschaft und malerischen Dörfchen in urtümlicher Landschaft. Lediglich meine alte Abneigung gegenüber Thessaloniki erfährt eine weitere Bestärkung: zwei Tage warte ich hier auf Post von zuhause, in einer Stadt, die zur Hälfte aus Tankstellen, Reparaturwerkstätten und Autohäusern zu bestehen scheint und die im übrigen den wenig erbaulichen Eindruck hinterläßt, die von einem bizarren Wald aus Fernsehantennen bestandenen Gebäude harrten noch ihrer Fertigstellung ...

"Die Straße von der griechisch-türkischen Grenze nach Istanbul ist ein echter Hammer", warnte mich ein deutsches Radlerpärchen, das mir kurz vor dem Schlagbaum begegnete.

Ein PKW folgt dem anderen, zumeist mit deutschem Kennzeichen, es sind die Gastarbeiterfamilien, die mit dem Ferienende nach Deutschland zurückkehren. Und obwohl sie bei ihren halsbrecherischen Überholmanövern wie Geschosse an mir vorüberzischen, fürchte ich in erster Linie den Schwerverkehr, die Busse und LKWs. Ihre dichten Dieselschwaden legen die Straße unter einen schmutzig-grauen Schleier und schnüren mir den Hals zu, doch mein Körper verlangt nach nichts sehnlicher als nach Sauerstoff bei der Schwerstarbeit, die er in seinem Kampf gegen Steigungen und den stürmischen Gegenwind zu leisten hat. Wie eine mächtige, unsichtbare Faust packt und schüttelt mich die Druckwelle jeden Gegenverkehrs und preßt mich unerbittlich, gerade bin ich wieder in Fahrt, zum Stillstand zurück. Ein unheilvolles Pfeifen vermag mich noch eben rechtzeitig zu warnen, panisch drücke ich mich an den äußersten Fahrbahnrand, dann taumle ich in dem Sog eines überholenden LKWs, und bei dem Versuch gegenzusteuern, krache ich ein zweites Mal auf das 20 cm tiefere Baubett aus Kies- und Glassplittern. Zittern und fluchend vor ohnmächtiger Wut hebe ich das Rad wieder auf die Straße, verbissen stemme ich mich in meiner Verzweiflung erneut in die Pedalen, der Wind pfeift schadenfroh mit doppelter Stärke durch die Speichen. Die humorvollen unter den Lastwagenfahrern – und die Türken besitzen bekanntlich eine sehr lustige Volksseele – lassen ihre apokalyptischen Hörner – Josuas Posaunen müssen Engelszungen dagegen sein – erst erschallen, wenn sie direkt hinter mir oder noch besser: unmittelbar neben mir sind. Mit abrupten Sätzen und panischen Schlenkern belohne ich diese Nummern. Ich bin ein einziges Nervenbündel, ein schmutziges, von einem schleimigen Film aus Ruß, Staub und Schweiß überzogenes, dazu! Ich wünsche sämtlichen Kraftfahrern Achsenbruch und Totalschaden am Chassis, allein: vergeblich! Einziger Lichtblick: die Scharen von Weißstörchen, die parallel zur Straße mit mir in Richtung Afrika ziehen.

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Folge 2 Papyrus-Logo Nr. 4/90, pp. 77—79

Jetzt gilt's: zum Frühstück will ich am Bosporus sein, noch üppige 90 km der Qual liegen vor mir, als ich um 3 Uhr früh in den Sattel steige. Ich erreiche rechtzeitig die Vorstädte Istanbuls, um mich einzureihen in die allmorgendliche Massenprozession der Pendler Richtung Stadtmitte und dem Schmutz ihrer Fahrzeuge.

Die Vorsehung mag meine Schritte gelenkt haben, denn im unübersehbaren Gewimmel der Sträßchen und Gäßchen öffnet sich mir plötzlich die marmorne Pforte zur paradiesisch kühlen Vorhalle eines türkischen Bades, eines Hammam. Ich erblicke lediglich mit einem Handtuch bekleidete, um einen kleinen Springbrunnen sitzende Männer, teetrinkend und redend im einschläfernd sanften Licht der durchbrochenen Deckenkuppel – ein Bild der Ruhe. Freundlich wird mir von der Herrenrunde bedeutet, ich möge doch eintreten, und ein geflissentlicher Alter führt mich in die Umkleidekabine. Als ich das Atrium wieder betrete, umhüllen auch mich die schlichten Leinentücher. Ein fleischiger Bulle erhebt sich behende und fragt in unverfänglichem Ton: "Massage?" Meine Zustimmung ist arglos und promt. Etwas hilflos folge ich der massigen Gestalt über die kalten Marmorfliesen durch die Fluchten und wärmer werdenden Hallen, die sich, dem Gesetz jahrhundertelanger Erfahrung folgend, aneinanderreihen, ins Herz des Bades, einem runden, nebelverhangenen Bau, in dessen Hitze triefende Leiber auf Marmorbänken hängen, im eigenen Saft schmorend. Auch ich bin noch nicht ganz reif und soll erst – so wird mir bedeutet, eine Viertelstunde aufweichen, bis dann die Massage ihren Lauf nimmt. Wer ist Herr und wer ist Diener? Gefügiges Wachs bin ich unter den breiten Händen des Masseurs, die jetzt bestätigen, was ich vorher bereits ahnte: geschmeidige Muskeln spielen unter der fetten Haut, wenn die mächtigen Pranken quatschend über die Schmiere aus Schweiß, Ruß und Dreck gleiten, die sich auf meinem Körper verteilt. Kundig läßt er jeden einzelnen meiner Wirbel knacken, indem er sein beachtliches Lebendgewicht mittels der Hände auf die Wirbelsäule preßt, daß mir schier die Luft wegbleibt. Ich leiste keinen Widerstand mehr gegen sein Trommeln und Recken, Schlagen und Zerren, Pressen und Klatschen, Kneten und Walken. Die Spannung der letzten Tage – besonders der abschließenden, nächtlichen Gewalttour – wird mir regelrecht aus dem Körper getrieben. Die bestechende Technik dieser formidablen Massage besteht darin, den Körper in der feuchten Hitze anzulösen, ihn dann sorgfältig in seine einzelnen Glieder zu zerlegen, um ihn schließlich, besser dann, einem Baukasten gleich, aufs Neue zusammenzufügen.

Anschließend werde ich in den kühleren Vorraum geführt und in einem der zahlreichen Kabuffs auf die Bodenkacheln gedrückt. Kaskaden klaren Wassers, lauwarm zuerst, doch dann immer kühler werdend, schickt er Meister über die erhitzte, aufgeschwemmte Haut. Donnernd schlagen die rauhen Lederhandschuhe aufeinander, daß es im kahlen, hohen Raum nur so schallt. Auftakt zu einem Rubbelfortissimo, dem ich vibrierend unterliege. In dicken, braunen Flocken lösen sich Schmutz, Fett und Haut vom Körper, ich werde richtiggehend geschält, und es schimmert wieder appetitlich rosa, wo ich vorher stolz falschen Teint präsentierte. Das Grobe, so sollte man meinen, sei nun runter, doch beißende Kernseife vermag eine weitere Schicht zu lösen...

Kunstvoll werde ich dann abschließend in einem Berg Handtücher verpackt, endgültig ein willenloses Paket. Doch als ich am Springbrunnen abgesetzt worden bin, merke ich in mir eine geläuterte Lebensfreude aufsteigen, die zart den Handtüchern entsprießt, und ich vermag schon wieder mit Humor zu rekonstruieren, was da vorhin über mich hereingebrochen ist. War mir vorhin die Haut vom Leibe gerissen worden, so wird mir jetzt noch das Fell über die Ohren gezogen, doch mein Wille ist gebrochen und ohne Widerspruch gebe ich das reichlich geforderte Bakschisch ... ich bin im Orient!!!

Karikatur: Im Krankenstuhl

50 km hinter Istanbul werde ich doch noch zum Opfer der katastrophalen türkischen Verkehrsverhältnisse: nach der Kollision mit einem LKW werde ich bewußtlos ins Krankenhaus eingeliefert, wo ich mit Gehirnerschütterung, schweren Schürfwunden und Prellungen zwei Wochen gepflegt werde. Zwar vermag ich mich an den genauen Unfallhergang nicht zu erinnern, da an entsprechender Stelle mein Gedächtnis eine gnädige Lücke zeigt, doch erfordert es keine überdurchschnittlichen Fähigkeiten bei meinem reichen Erfahrungsschatz an Beinahe-Zusammenstößen auf türkischen Straßen, das Geschehen realistisch zu rekonstruieren, und so danke ich Gott, nicht ein unschöner Matschfleck an der E 5 zwischen Instanbul und Ankara geworden zu sein, ja, ich habe immenses "Glück" gehabt!

Meine Reiselust hat durch den Unfall lediglich einen vorübergehenden Dämpfer erlitten, doch die Quetschungen und Blutergüsse in beiden Knien zwingen mich, nach vier Tagen der Qual 60 km vor Ankara zur Aufgabe: es geht noch nicht! Resigniert lasse ich mich auf einen Tomatenlaster verladen, der mich bis nach Adana an der Südküste mitzunehmen bereit ist. Die Fahrt in der engen Fahrerkabine wird zur längsten Nacht meiner bisherigen Reise: die angewinkelten Knie schmerzen, in meinem Bauch tobt eine furchtbare Amöbenschlacht, ich habe Fieber, vom Zug im Fahrerhaus habe ich einen steifen Hals und meinen Rücken peinigen seit langem wieder Verspannungen. Heulen möchte ich, anstatt dessen möchte der Fahrer wachgehalten werden und erwartet heitere Konversation...

Mit dem Bummelzug gelange ich schließlich nach Iskenderun, wo ich auf dem beschaulichen Campingplatz für eine Woche meine Zelte aufschlage. Episodisch nur wird in dieser Zeit von anderen Touristen meine friedliche Koexistenz mit dem Campingplatz-Personal gestört, mit dem ich allabendlich palavernd den Çai genieße.

Ein Bus libanesischer Schulkinder, der nach einem Monat Urlaub vom Töten in die bürgerkriegszerstörte Heimat zurückkehrt, eine persische Teppichhändler-Familie, die mich zum Abendessen einlädt, ein österreichischer Motorradfahrer, mit dem ich Reiseerlebnisse und -erfahrungen austausche, und einer der knallroten Rotel-Busse mit Schlafanhänger erscheinen als Zaungäste dieser Idylle.

Andächtig lausche ich den Problemen, Zwistigkeiten und Sticheleien der "Mumien-Expreß"-Touristen, im stillen die Vorzüge der Einzelreise preisend. Die manchmal von mir als fehlend empfundene Reisegesellschaft wird hier freilich im Übermaß geboten. Doch einzeln genommen sind sie alle schon sehr lieb. Brav erzähle ich meine rührenden Reiseerlebnisse und -pläne, worauf ich mit deutscher Wurst und Erdnußkeksen beschenkt werde. Gott vergelt's! Auch wird mir hier lieberweise eine sichere Kuriergelegenheit für einen Teil meiner Tagebücher ins ferne Deutschland angeboten.

Ich mache eine ärgerliche Entdeckung: meine Kamera ist gestohlen worden! Das entbindet mich zwar bis auf weiteres von der mitunter lästigen Pflicht des Fotografierens, denn mein zweites Gehäuse hatte ich defekt mit Mexl & Wexl, zwei urigen bayerischen Fahrradfreaks, von Istanbul auf die Heimreise geschickt, doch bin ich traurig über den verlorenen Film, auf dem ich, wie ich meine, die schönsten Bilder der bisherigen Reise festhielt. Die Einkreisung des möglichen Täters fällt schwer, habe ich doch seit dem Tag der Lastwagenfahrt kein Bild mehr geschossen. Mein Verdacht fällt auf den Fahrer, der meinen körperlichen Zustand genutzt haben könnte, unbemerkt... das ist das Furchtbare: man verdächtigt zwangsläufig eine Menge Leute und lediglich einer ist's gewesen. Außerdem: wenn es jemandem möglich war, den Photo unbemerkt zu entwenden, habe ich einfach nicht scharf genug aufgepaßt!

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Folge 3 Papyrus-Logo Nr. 5—6/90, pp. 94—96

Mein zweiter Startversuch nach dieser Woche der Rekonvaleszenz verläuft hoffnungsvoller, in Aleppo hole ich noch mal meine "Rotel-Rotte" ein und komme – unter Schmerzen allerdings – bis nach Damaskus.

Die Altstadt überwältigt mich, völlig unvorbereitet wie ich bin, zieht sie mich für vier Tage in ihren Bann. Immer wieder streife ich ungläubig forschend durch das scheinbar unüberschaubare Gewirr der Gassen und Gäßchen, Torbögen und Plätze, das sich aus der harmonischen Masse der weißen Lehmmauern in meinen Augen langsam zu individuellen, charakteristischen, wenngleich namenlosen, Orten formt. So dicht sind die Häuserzeilen aneinander gebaut, daß die Gitter der gegenüberliegenden Gebäude einander zu stützen scheinen und den Himmel über den staubigen Gassen zu einem handbreiten blauen Streifen zusammenpressen.

Nahe der Omayaden-Moschee gestattet die ehrwürdige Stadt einen flüchtigen, erhaschten Blick nur in ihre vieltausendjährige Geschichte, wo schlanke Säulen mit reich verzierten Kapitellen gleich zarten Pflanzen aus den Fugen des steinernen Häusermeeres sprießen.

Im jordanischen Petra, dem antiken Zentrum des versunkenen Nabatäerreiches, geht die Pracht der Natur mit den Zeugnissen menschlicher Zivilisation eine sinneberauschende Synthese ein, die einen in ihrer Erhabenheit der Farben, Formen und Elemente ganz still werden läßt. Noch heute erscheint es rätselhaft, wie dieses Volk in so lebensfeindlicher Umgebung zu dieser kulturellen Blüte gelangte. Die Nabatäer muß ausgezeichnet haben, was unserer Zivilisation abgeht, woran sie krankt und was sie zu zerstören droht: in einzigartiger Weise verstanden sie es, die spärlichen Ressourcen der Natur, im besonderen das wenige Trinkwasser, in sparsamer und schonender Weise zu nutzen. Angesichts der kristallklaren, türkisblauen Fluten des Roten Meeres bei Aqaba erscheinen die erregten Farbspiele des Sandsteins von Petra nunmehr wie die bunten Blüten eines surrealistischen Traumes, verzaubert und entrückt.

Nuweiba! Hier betrete ich seit rund sechs Jahren das erste Mal wieder ägyptischen Boden – ein Heimkommen in das Land meiner schönsten Kindheitserinnerungen...

Doch gegenüber damals sind die – meist negativen – Veränderungen auf dem einstmals paradiesischen Sinai offensichtlich, und ich bin unsäglich traurig: geht hier ein weiteres Stück einmaliger Naturschönheit durch Menschenhand unwiederbringlich verloren?

Die filigranen Steinkorallen zertrampelt von achtlosen Touristenhorden, abgebrochen von rücksichtslosen Souvenirsammlern, bedroht von der zunehmenden Wasserverschmutzung durch Abwässer und Rückstände aus der Erdölprospektion; der Fischreichtum kurzsichtig dezimiert durch unfaire Harpunenjagd; die einsamen Strände verbaut durch Feriendörfer und Hotelkomplexe und begraben unter den Massen des Plastikmülls; die schweigende Erhabenheit der Bergwüste entweiht durch lärmende Touristengruppen und ihre Abfälle; das ehemals stolze Beduinenvolk erniedrigt zu Dienstboten der finanzkräftigen Urlauber? All diese Symptome treten im Sinai bereits auf. Noch überwiegen die einsamen Strände und Riffe, kann man sich als Fisch unter Fischen durch die zauberhaften Korallengärten bewegen, staunend und bestaunt. Doch die Entwicklung der letzten Jahre scheint den Weg für die Zukunft vorzuzeichnen...

Ich möchte allein sein! Im weichen Licht des Nachmittags beginne ich mit dem Aufstieg, und gute drei Stunden später stehe ich auf dem Katharinenberg, dem Dach des Sinai – und der Welt, so will es mir scheinen. Die unter mir ausgebreitete Gebirgslandschaft des Sinai schwelgt im wollüstigen Chaos. Angesichts dieser Orgie von Farben, Formen und Strukturen, dem Kampf des erregenden Rots des erleuchteten Bergrückens gegen die aufsteigende Kühle des süßlichen Gifts der Dunkelheit, die im Schatten der Täler kauert und sich mit dem Glühen der Sonne als bläulicher Dunst auszubreiten beginnt, die Reflektion des Lichts unter sich erstickend, empfinde ich stärker als je zuvor die Helligkeit der Wüste. Unter mir verschwimmt die Welt im dunklen Nebel der Vergessenheit, lediglich die Spitze des Mosesberges mit seiner Kapelle ragt aus diesem Meer der Trauer und Sünde, von einem einzelnen göttlichen Strahl der untergehenden Sonne in die Ewigkeit des Lichts entrückt – dann zerbricht auch diese Illusion, ich bin allein – allein mit Gott. Als am nächsten Morgen drei deutsche Touristen den Gipfel stürmen, ist für mich die Zeit gekommen, ich flüchte in die stillen Wadis unterhalb des Gipfels.

"Henry Moore was here!" vermeine ich den wunderschönen, rundgeschliffenen Formen des Rosengranits in einem dieser Täler entnehmen zu können, eine ganze Landschaft, welch würdiges Gegenstück zu dem Lebenswerk des englischen Künstlers.

Karikatur: Erschöpft

Es ist soweit: der stärker werdende Wunsch, endlich Kairo zu erreichen, läßt sich nicht mehr verdrängen! So hole ich mein Rad von Basata wieder auf die Straße, danke Sherif für seine großzügige Gastfreundschaft und gehe die letzten 400 km nach Kairo, dem ersten großen Zwischenspiel meiner Reise an.

Im Sektor C überholt mich ein begeistert johlender Truppentransporter der MFO, der mir, gemeinsam mit der Besatzung des folgenden Checkpoints dort einen triumphierenden Empfang bereitet. Geduldig wie ein Kamel lasse ich mich mit jedem der Jungs aus Kolumbien samt Fahrrad ablichten, aufgeregt wie die 7. Klasse einer Mädchenschule stellen sie mir ihre interessierten Fragen zu der Tour alle gleichzeitig – ehrfürchtiges Raunen und anerkennendes Schulterklopfen der harten Männer sind die rührende Reaktion auf meine Antworten. Unsere Unterhaltung gipfelt schließlich in der Fachsimpelei über die erstklassigen kolumbianischen Radprofis. Dann werden für mich ungeheure Träume wahr: die Speisekammern des Postens werden für mich umgeschichtet und ein beträchtlicher Teil ihrer selbst wandert in meine Taschen. Ich schwelge in Apfelsinen, Bananen, Pflaumen, Trauben, Joghurt und: schließlich werden mir noch ein halbes Kilo echten kolumbianischen Kaffees sowie köstliche Kaffeebonbons zugesteckt. Derart reich beehrt und beschenkt gehe ich mit meiner Kraft die noch beträchtliche Distanz vor mir an.

Vom Fluch des Pharaos und von Mandelentzündung heimgesucht wird die geplante Reise in die Nostalgie zur Qual, doch als ich schließlich durch die Kairoer Innenstadt fahre, ist all dies vergessen: Sie steht noch, die "Siegreiche" – ich bin wieder daheim!

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Punkt Punkt

 

Folge 4 Papyrus-Logo Nr. 11—12/90, pp. 89—94

Einen Moment zögere ich, dann fällt der Schlüssel klirrend durch den Briefschlitz – nach über einem Monat Pause in Kairo bin ich wieder unterwegs! Die Wochen hier waren angefüllt mit dem Wiedersehen alter Freunde und Bekannter, natürlich besuchte ich neben all den anderen Sehenswürdigkeiten den Sphinx und die Pyramiden von Gizeh, ich unternahm ausführliche Streifzüge in den Altstadtvierteln und Bazargassen der 15 Millionen-Einwohner-Stadt, die trotz des Verkehrs, des Lärms, des Schmutzes und der Armut ihren unwiderstehlichen Reiz mir gegenüber schamlos ausgespielt hat, denn später als ursprünglich geplant lasse ich die Metropole Ägyptens in meinem Rücken, dem Lauf des Nils Richtung Süden, ins Innere Afrikas, zu folgen.

Nach den Wochen des Vagabundenlebens auf den Straßen Südeuropas und des Nahen Ostens war es eine Wonne, die rührende Fürsorge Wilma Dambecks zu spüren, einer guten Freundin meiner Eltern aus vergangenen Tagen, die mich wie ihren eigenen Sohn bei sich aufnahm! Welch ein heimeliges Gefühl, für Tage, ja Wochen, im selben Bett zu schlafen!

Doch obgleich ich die kulturellen wie kulinarischen Angebote der Weltstadt genießerisch auskostete, mich gleichsam die Fesseln des Komforts eines seßhaften Lebens zu umgarnen begannen – meine Reiselust ist ungebrochen!

Am westlichen Ufer sehe ich die Silhouette der Pyramiden von Gizeh langsam vorüberziehen, die sich – so will es mir scheinen – beschämt ihrer Entwürdigung, in den Schatten neuer Wolkenkratzer kauern, welche ihr jahrtausendealtes Recht, den Lauf des Nils, sein Steigen und Fallen – gleichbedeutend mit Leben und Sterben in Ägypten – als stumme Zeugen der Zeit zu betrachten, durch ihre aufragende Größe lästerlich herausfordern.

Mit dem Verlassen der staubigen Smog-Glocke des Großraumes Kairo atme ich befreit auf! Schöner kann Radfahren kaum sein, treibt mich doch ein stetiger Nordwind über die hügellose, schnurgerade Teerstraße, daß die ländliche Szenerie der Lehmdörfer, der Palmenhaine, Wasserbüffel und Esel förmlich an mir vorüberfliegt.

Mein Rad ist hochbepackt, denn entgegen aller guten Vorsätze lassen wir die Fleischtöpfe Kairos mit erhöhtem Ballast hinter uns. Jenen weiter zu verringern hätte bedeutet, Gitarre und Zelt zurückzulassen, ein Schritt, zu dem ich mich schließlich doch nicht durchringen mochte, wäre doch die fehlende Klampfe bei den musikvernarrten Arabern und Afrikanern für mich ohne Zweifel gleichbedeutend mit einem merklichen Profilverlust, das fehlende Zelt eine massive Einschränkung meiner Freiheit und des Komforts (paradoxerweise muß letzteres ersteres nicht ausschließen!). Ansonsten hab ich inzwischen gelernt, Verluste von Teilen meiner Ausrüstung durch Diebstahl, Verlieren oder Defekt als einen Vorgang der natürlichen Selektion zu betrachten, durch den die gesamtökologische Beziehung zu meiner Umwelt eine überaus erfrischende Dynamik erfährt, ein Vorgang, der meine Improvisier- und Anpassungsfähigkeit in unvorhergesehenen Situationen auf das Wertvollste fördert und der letztendlich den eindeutigen Nachweis führt, wie viele, im Grunde doch völlig überflüssige Dinge man selbst noch auf dem Fahrrad mitzuschleppen imstande ist ...

Karikatur: An den Pyramiden

Von zwei radfahrenden Fellachenjungen, Abdallah (dt. Diener Gottes) und Ahmed, hinter dem Ort es-Saff in bewegender Weise von der Straße weg zur Übernachtung ins Haus ihrer Familie eingeladen, ziehe ich in einer buntgemischten Karawane der von den Feldern heimkehrenden Bauern mit Kamelen, Ziegen, Eseln und Wasserbüffeln in das Lehmhüttendorf ein.

Argwöhnisch wird darauf geachtet, daß jede der beiden Gastgeberparteien ihren Teil vom Gast und damit von seinem Ansehen erhält. Die Kunde meiner Anwesenheit im Dorf verbreitet sich schnell und bis 1 Uhr 15 morgens defiliert die Männerwelt des Dorfes durch das Wohn- und Schlafzimmer der Familie Abu Risq, den radfahrenden Chawaga (dt. Fremder) zu begucken.

Es ist kalt am darauffolgenden Morgen, der Atem wird zu blassem Rauch, als wir im sauberen Innenhof des Lehmhauses ums Feuer sitzen, über dem Abd-al-Mohsen, gemäß seinem Ansehen und Stand mit Gewissenhaftigkeit und fast feierlichen Gesten die Durra (dt. Mais) röstet. Das eigentliche Frühstück schließt sich mit heißer, gezuckerter Büffelmilch, Ful (Bohnen), Ta'ameya (in Fett gebackenem Bohnen-Tofu), Eiern und Brot unmittelbar daran an und findet mit dem allgegenwärtigen Shai, dem äußerst starken und reichlich gezuckerten arabischen Tee) ein würdiges Ende. Mit solch gesunder Basis radle ich zuversichtlich auf der neuen Teerstraße in die Wüste hinaus. Der Übergang vom Fruchtland zur Ödnis ist wie mit dem Messer gezogen, und dieser abrupte Wechsel folgt jener Linie, bis zu welcher der Nil seit Ewigkeiten Jahr für Jahr während der Überflutung den fruchtbaren Nilschlamm absetzte, bis die Errichtung des Hochdamms von Assuan diesen natürlichen Rhythmus zerstörte.

So schmal wird der grüne Streifen zwischen Fluß und Wüste hier am östlichen Ufer, daß selbst die braunen Würfel der kleinen Bauernhäuser am Rande der Wüste stehen, um nicht einen Quadratmeter des wertvollen Kulturlandes zu vergeuden.

Aus dem Dunst des Flußtales grüßen mich die alles überragenden Masten und die weißen Segel der Felukken, jener riesigen Transportkähne, die auch heute noch einen mächtigen Teil des Flußhandels zwischen Ober- und Unterägypten abwickeln, und versichern mich der beständigen Begleitung des Stromes jenseits der sandigen Hügel zu meiner Rechten. Die Nacht verbringe ich in einem kleinen, einsamen Gasthaus am Rande der Wüstenstraße, mit dessen Besitzer Shehata, einem konservativen, einfachen Mann aus einem kleinen Dorf, keine 5 km von hier, ich eine tiefgreifende Diskussion über Sünde, Sex und Blutrache führe. Auf meine Frage, ob Blutrache denn überhaupt noch existiere, erzählt er mir, erst vor einem halben Jahr seien ihr in seinem Dorf vier Männer zum Opfer gefallen, nachdem ein Bauer im Streit um Grund und Boden erschlagen worden war. Mein Schlaf später wird immer wieder durch Shehates infernalisches Schnarchen und seine periodischen Raucherhustenanfälle gestört, deren hörbar erkleckliche Prospektion er ungeniert auf dem Boden plaziert. Außerdem trage ich Quälgeister mit mir herum, die nachts munter werden und mich durch das Jucken ihrer Bisse schier zum Wahnsinn treiben. Flöhe, soviel weiß ich bereits sicher aus meinen einschlägigen Reiseerfahrungen, sind es jedenfalls nicht!

Shehata verzehrt zum Frühstück zwei Biskuits, setzt sich dann vor's Haus in die wärmende Sonne, stopft sich eine Wasserpfeife und zieht eine ominöse Streichholzschachtel aus der Tasche. Dies, so bedeutet er mir ernst, auf unser gestriges Gespräch bezugnehmend, sei auch "haram", also Sünde im Sinne des Koran, um dann mit Seelenruhe das Haschisch unter den Tabak zu mischen und sich das erste Pfeifchen an diesem noch jungen Morgen zu genehmigen.

In Minia wechsle ich auf die westliche Nilseite über, vertiefe in einer ausschweifenden Exkursion meine Kenntnisse über die exzellente und preiswerte ägyptische Küche (Kosheri, Linsen, Reis und Nudeln mit gerösteten Zwiebeln sowie Ros bi laban, eine Art Milchreis), um mich solcherart am Leib gestärkt, nach Beni Hassan aufzumachen, den Geist an den rund 4.000 Jahre alten Malereien der dortigen pharaonischen Nekropole zu erfreuen. Die Frische der Farben, die Lebendigkeit der Darstellungen sowie die Detailtreue der Künstler freilich lassen einen das Entstehungsdatum vor einigen Dekaden denn vor 40 Jahrhunderten vermuten. Es ist regelrecht spannend, an den überdimensionalen Comic-Seiten dieser Altägyptensaga entlangzugehen, und auch wenn man den hieroglyphischen Begleittext nicht zu entziffern vermag, erzählen einem die Bildergeschichten vieles über die Landwirtschaft, das hochentwickelte Handwerk, die vielfältigen Jagdtechniken, den hehren Kampfsport und die pompösen Zeremonien um den Gottkönig/Pharao im alten Ägypten.

Nach dem Besuch des Gräberfeldes bleibe ich schwatzend in dem urigen Laden des Elektrikers Abdallah hängen. Shai trinkend, Libb (Kürbiskerne) und Fulsudani (Erdnüsse) knabbernd, konferieren wir mit den Oberhäuptern zweier umliegender Dörfer und darüber hinaus mit recht wechselhaftem Publikum über gewichtige Dinge, denn als ich unvorsichtig äußere, Bruder zweier noch unverheirateter, blonder Schwestern zu sein, versucht man eifrig, mich in einen Brauthandel zu ziehen. Es wird laut und lustig, ich selbst freue mich, langsam den Sprachwitz des Arabischen zu erfassen.

Der Schlafsack ist feucht und schwer vom Tau der Kanäle und des nahen Stromes. Fröstelnd stemme ich mich bei Sonnenaufgang in die Pedale. Nach heftigem Preisgerangel werde ich schließlich doch samt Fahrrad für den Einheimischentarif auf das östliche Ufer nach Tell-el-Amarna übergesetzt.

Tell-el-Amarna, so heißt die in Trümmern liegende Hauptstadt des Ketzerkönigs Echnaton und der drei nachfolgenden Herrscher (unter ihnen der jugendlich verstorbene Tut-anch-Amun, der viele tausend Jahre später ein unglaubliches Comeback feiern sollte), welcher radikal mit dem Vielgötterkult des Alten Ägyptens brach und Amun-Ra, den Sonnengott, zur alleinigen Gottheit erhob. Der geballte Zorn der reaktionären Priesterkaste fegte die frevlerischen Kultrevoluzzer vom Thron der Macht, die es gewagt hatten, die heiligen Stätten im ganzen Land auf das Unglaublichste zu schänden.

Amarna ist mit seinen kümmerlichen Lehmmauerresten für den von kolossalen Granitbauten verdorbenen Ägyptentouristen wenig aufschlußreich. Allein, bei meinem Gang über das Schuttfeld werde ich in anderer Sache fündig: Als ich Hatem und Ahmed, die beiden hatten sich im Dorf dienstfertig meiner Suche nach den Altertümern angeschlossen und waren seitdem nicht von meiner Seite gewichen, von den Plagegeistern berichtete, die mir seit einigen Tagen den wohlverdienten Schlaf streitig machten, meinen sie übereinstimmend, meiner Beschreibung nach könne es sich lediglich um Al Baqq – die Wanze handeln. Als ich jedoch in der folgenden Nacht erneut einen Fang tätige und diesen aufmerksam mit einer Abbildung in der Gesundheitsfibel vergleiche, bevor ich ihn voll Genugtuung mit einem Knacken zwischen den Fingernägeln zerquetsche, tippe ich eher auf Kleiderläuse.

Bei meiner Rückkehr zur Baladi-Fähre (Baladi: dt. Volks-, Einheimischen-) findet der Preiskampf in einer zweiten Runde vor dem Publikum von 150 Schulkindern, die lärmend mit uns die 12 m lange Schaluppe bevölkern, eine würdige Fortsetzung, denn der Kapitän ist offensichtlich nicht gewillt, die vorhergegangene Schlappe ohne Revanche einzustecken. Der Geräuschpegel der Auseinandersetzung steigt merklich an, und um beiden Parteien ein Verlassen der Arena ohne Gesichtsverlust zu ermöglichen, bestehe ich zwar auf dem Bezahlen des normalen Preises, unterstreiche aber meine Hochachtung vor der verantwortungsvollen Tätigkeit des Kapitäns, das alte, tuckernde Bötchen unter dieser extremen Beladung sicher über den Nil zu steuern, mit einem würdigen Bakschisch. Als wir schließlich doch noch in die Nähe des gegenüberliegenden Ufers kommen, drängt sich alles an die Reeling, so daß die Nußschale bedenkliche Schlagseite bekommt und das Wasser hereinschlägt.

Die Sonne rutscht bereits als roter Ball hinter den Zaun der schwarzen Palmenreihen, da schließt kurz vor Manfalut ein Radrennfahrer in zünftiger Radlerkluft und italienischem Markenrad zu mir auf. Ich bin – bildlich gesprochen – ziemlich überfahren und noch bevor ich mich von der Überraschung erholt habe, bringt mich Nassei, Steward bei Egypt Air und Nummer drei des ägyptischen Radsports, im Jugendzentrum der Stadt unter. Ich bin ehrlich begeistert angesichts der Tatsache, mich in sieben leeren Doppelbetten ausbreiten zu können!

Wie Lauffeuer eilen mir die aufgeregten Agnabi- und Chawaga-Rufe der Kinder entlang der Kanalufer voraus, und neugierig wenden sich die Wäsche und Geschirr waschenden Mädchen an den Wasserstellen nach mir um; Frauen, die in aufgehängten Ledersäcken die Wasserbüffelmilch zu Butter schütteln, halten staunend mit der Arbeit inne. Aufmunternde und witzig-freche Bemerkungen werfen mir die Männer zu, die in den Kaffeehäusern Tee trinkend, spielend und Wasserpfeife rauchend den Nachmittag verbringen.

Landschaft

Als ein seit 4.000 Jahren unverändertes Bild ziehen Bauern mit dem Ochsenpflug über die Felder und kleine Mädchen mit lustig abstehenden Zöpfen und bunten Kleidern stehen als hundertfaches Abziehbild der kleinen Hexe am Straßenrand. Sie winken mir begeistert zu, als wäre ich der Kaiser von China.

Rinder, die Augen verbunden, trotten, mächtige Wasserräder antreibend geduldig im staubigen, endlosen Rund. Ein Bauer sitzt, als Schattenriß seiner selbst, arbeitend vor dem leuchtend grünen Schrein des von der Nachmittagssonne durchschienenen Kleefeldes. Vorbei an den mächtigen Blechen mit in der Sonne gehenden Aisch-Schams (Sonnenbrot) geht meine Fahrt durch die endlose Kette der Dörfer unaufhaltsam nach Süden. Rot-schwarzweiß explodieren die Federballen der Wiedehopfe, wenn sie bei meinem lautlosen Herannahen erschrocken vom staubigen Straßenrand in die gleißende Sonne auffliegen. Die weißen Flocken der Kuhreiher durchsetzen das satte Grün der üppigen Felder, über denen ein makelloser Nachmittagshimmel sein blaues Tuch spannt. All diese Eindrücke und Bilder wachsen zu einem komplexen Gemälde vom üppig schwelgenden Fest der Farben Ägyptens zusammen, eine Orgie, die berauscht, fasziniert, fesselt.

Nach der Mammutetappe von 185 km erreiche ich am fortgeschrittenen Abend Abydos, von einer Menge johlender und bakschischfordernder Kinder umringt, die mich schließlich zu Hamadi eskortiert, dem liebenswerten Sohn des Bürgermeisters. Auf sein bereitwilliges Angebot hin werde ich die kommende Nacht das erste Mal im Vorgarten einer bürgermeisterlichen Residenz mein Haupt betten.

Zuvor jedoch, um meine Pflichten als guter Gast inzwischen wohl wissend, ergreife ich widerspruchslos meine Klampfe. Ich bin nach dem langen Tag so hundemüde, daß ich über dem Gitarrenspiel fast einschlafe. Dennoch ist Mohamed, Englischlehrer der örtlichen Mittelstufenschule so beeindruckt, daß er mich bittet, zusammen mit Hamadi seinen morgigen Unterricht zu besuchen.

30 dunkle Augenpaare fühle ich aufmerksam auf mich geheftet, mucksmäuschenstill ist es, als ich den Jugendlichen in Arabisch von meiner Reise erzähle. Doch als ich zum Abschluß noch einige Lieder zum Besten gebe, schwillt der Geräuschpegel begeistert an.

Hamadi zeigt mir das andere Abydos, das dem Normaltouristen ansonsten verschlossen bleibt, denn es ist ausgesprochen unerwünscht, daß sich die zahlreich einfindenden Touristenscharen außerhalb des prächtigen Tempels im Dorf umtun. Begeistert bin ich von dem bunten, quirligen Wochenmarkt, auf dem die Bauern der umliegenden Dörfer die reichen Früchte ihrer Feldarbeit darbieten.

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Punkt Punkt

 

Folge 5 Papyrus-Logo Nr. 1—2/91, pp. 105—109

Immer öfter steht die Landschaft bis zum Hals im grünen Meer des 4—5 Meter hochaufragenden Zuckerrohrs und vielerorten ist die Erntearbeit in vollem Gange, werden die Waggons der Schmalspurbahn kunstvoll mit den grünen Stangen beladen. Süßlicher Kamelduft schwängert die Luft um die Zuckerfabrik Nag-Hamadi, der dem Gestank der Autoabgase entschieden vorzuziehen ist...

Auch Kamele transportieren das Zuckerrohr. Die Tiere sind so hoch bepackt, daß lediglich Hals, Kopf und Beine unter der grünen Last hervorlugen, welche wegen des merkwürdigen Ganges der Dromedare hin und her wippt, und es sieht so aus, als tanzten sie nach einem lustigen Rhythmus mit grünen Baströcken Hula-Hupp.

Die kommende Nacht verbringe ich in dem neuentstehenden Familiensitz einer oberägyptischen Großgrundbesitzerfamilie, die mich in einem Akt der Barmherzigkeit bei Einbruch der Dunkelheit ohne große Umstände von der Straße weg in ihr Reich entführte, das in seiner Gesamtheit mehr als 50 Häuser der umliegenden Dörfer, ausgedehnte Zuckerrohrpflanzungen, Obstgärten und weitere Anbauflächen umfaßt. Offensichtliches Zeichen dieses Wohlstandes sind die Motorräder der jüngeren unter den anwesenden Männern.

Die Bodenkachelung der feudalen Residenz (drei ausladende Geschosse und heiße Dusche (!)) ist noch nicht fertiggestellt, und so sitzen wir im Empfangszimmer, um einen raumgestalterisch interessanten Sandhaufen. Ich soll mich wie zuhause fühlen, ermuntert mich Rashad, die untere Etage sei ja nur für Gäste gedacht und fügt dann entschuldigend "nur eine Kleinigkeit" hinzu, als mir ein dampfender Teller mit köstlichem Entenfleisch und frischen Kartoffeln vorgesetzt wird, den ich unter den wohlwollenden Blicken meiner großzügigen Gastgeber mit sichtlichem und hörbarem Genuß leere.

Ich merke der männlichen Familiendelegation – vom 20-jährigen Jüngling bis zum würdig ergrauten Greis – eine unerklärliche Spannung an: Natürlich! Wieder einmal meine Gitarre! Die Höflichkeit untersagte es, mich vor der Stärkung um die musikalische Unterhaltung zu bitten, und so saßen sie da, einer neben dem anderen, wie Kinder vor der Weihnachtsbescherung, Neugier und Vorfreude nur schlecht verbergend.

Im Verlauf des fortschreitenden Abends erhalte ich von 12-jährigen Lehrern eine Nachhilfestunde im Zuckerrohressen, während derer ich etwas um das Geheimnis der Geschicklichkeit und atemberaubenden Geschwindigkeit zu ahnen beginne, mit der schon die kleinsten Kinder mittels der Zähne das Rohr von der harten, grünen Schale befreien, um an den weißen, faserigen Kern zu gelangen, dem man dann durch Auskauen den zuckrigen Saft entzieht. Meine bisherigen Versuche endeten meist frühzeitig mit schmerzenden Kiefern und klebrig verschmiertem Gesicht und Händen in hohem Maße unbefriedigend.

Nach einem üppigen ägyptischen Bauernfrühstück in der ruhigen Gesellschaft Rashads ziehe ich mit den Jüngeren in einen der herrlichen Obstgärten, und so breche ich erst gegen Mittag auf, mit dem gut gemeinten Geschenk von 10 kg Yussuf Efendi (Mandarinen) hoffnungslos überladen. Das Argument, das Obst sei auf meinem vollbepackten Rad nicht mehr unterzubringen, wird mit einer Schnur und ägyptischer Phantasie und Geschicklichkeit flugs entkräftet, die Last in bewegender (im wahrsten Sinne des Wortes!) Form außenbords vertäut.

Die Veränderungen der Architektur zwischen Dendera und Luxor sind offensichtlich: Zunehmend mehrstöckig werden in die Mauern der Häuser Fuchar, mächtige Tonkrüge, eingearbeitet, wohl zu Isolationszwecken, so meine Vermutung. Öfter als bisher schmücken die bunt-illustrierten, naiven Darstellungen von Pilgerreise und Kaaba, dem würfelförmigen Heiligtum von Mekka, die Häuserfronten der Hajjis. Auch die Grabmäler der Sheikhs werden hier – mit zahlreichen bunten Fähnchen – auffälliger geschmückt und genießen größere religiöse Verehrung als ich dies weiter nördlich beobachten konnte. Zweimal sehe ich Exemplare der mächtigen Nilwarane über der Türschwelle zu Wohnhäusern befestigt, und die Kinder bestätigen mir auf meine Frage die Vermutung, daß sie, ähnlich der stilisierten Hand der Fatima (Tochter des Propheten Mohamed) als Amulett Glück verheißen und den "Bösen Blick" abwenden sollen. Die Ausmaße des Touristenrummels in Luxor sind bereits abschreckend, und verzweifelt flüchte ich in die ruhige Atmosphäre des wunderschönen Museums der Stadt. Die begrenzte Anzahl der Exponate wandelt sich durch ihre sorgfältige Auswahl und eine gute Beleuchtung in einen Vorteil, dem man Muße verdankt, jedem der Stücke einen angemessenen Teil seiner Aufmerksamkeit zu schenken. Meine heimlichen Favoriten sind die zwei identischen, übermächtigen Echnaton-Köpfe, die, aus warmem Sandstein gearbeitet, mit der Überzeichnung der Charakteristika des Ketzerkönigs bereits karikaturhafte Züge tragen. "Das ist doch Mick Jagger", ruft ein aufgeregter Brite neben mir aus, und in der Tat, eine gewisse Ähnlichkeit der ausgeprägten Kinnpartie und vor allem des riesigen Mundes sind nicht zu bestreiten.

Zehn Tage und 1.000 km Niltal liegen hinter mir, als ich im schönsten Licht den ersten Nilkatarakt erreiche. Wenn die sinkende Sonne über die dunklen Dünen des westlichen Ufers streicht und das rote Schimmern des Sandes mit dem tiefdunklen, beinahe schwarzen Blau des Nils und dem frischen Grün des zum Ufersaum geschrumpften Pflanzengürtels zur absoluten Maxime der Farbgebung wird, durchzogen von den weißen Segeln der Felukken, wie von meditativen Gedanken, still und groß, dann, und nur dann, wird das Geheimnis des Zaubers ersichtlich, der diese Stadt für mich zu einem der schönsten Flecken auf dieser Erde erhebt!

Meine Odyssee auf der Suche nach einer preiswerten Unterkunft führt mich schließlich ins Mullah-Hotel, das inklusive Frühstück 4,10 ägyptische Pfund kosten soll. Die Qualität seiner pauschalen Mahlzeiten habe ich bereits bei meinem Aufenthalt in Luxor mit knurrendem Magen registriert, und so feilsche ich mit Anwar, dem manager-on duty, um die Entlassung aus der allgemeinen Frühstückspflicht, verbunden mit einer Tarifreduzierung auf 3 Pfund – wir sind schließlich im Orient, wo um alles und jedes gefeilscht wird; und: Wo bleibt ansonsten das Vergnügen bei einer solchen Reise? Die Auseinandersetzung hält, was sie verspricht, in Anwar habe ich einen geschickt lavierenden, ebenbürtigen Counterpart gefunden, und so kostet es mich eine halbe Stunde schweißtreibender Schwatzerei, Schmeichelns, Drohens und Witzereißens, kurz, die Aufbietung meiner gesamten Arabischkenntnisse vor der Kulisse des halben Hotelpersonals, das den Unterhaltungswert der Vorstellung offensichtlich zu schätzen weiß, bis ich Anwar, das nubische Schlitzohr, endlich weichgeklopft habe...

Aus dem gegenseitigem Respekt entwickelt sich eine echte Zuneigung, und als Ausdruck seiner ehrlichen Anerkennung verspricht er mir mit einem vieldeutigen Augenzwinkern, mich zu einer neuseeländischen Touristin ins Zimmer zu stecken. Diese, von meinem Einzug rüde aus dem Schlaf gerissen, äußert arglos ihre Verwirrung darüber, daß im moslemischen Ägypten ein fremder Mann bei einer Frau einquartiert wird ... oh, unschuldiges Gemüt. Ich erwidere harmlos die vorsichtige Vermutung, dies ließe sich eigentlich nur mit der Überbelegung des Hotels erklären ... eigentlich ... um mich dann hastig, weiteren Fragen ausweichend, unter die Dusche zu flüchten.

Mit vollbepacktem Rad tingele ich in der arabischen Rush-hour durch die überfüllten Gassen des Souks, die letzten Lebensmittelbunkerungen für die morgige Schiffsreise über den Assuanstausee in den Sudan vorzunehmen. Im dichtesten Gewimmel werde ich von Swen, einem holländischen Islamwissenschaftsstudenten angesprochen, der mich bereits in Luxor erspäht hatte. Wie sich schließlich herausstellt, studiert er in Amsterdam bei Manfred Woidich, einem alten Bekannten meiner Eltern, die arabische Sprache. Stunden stehen wir palavernd mitten im Souk, bis ich mich endlich losreiße, denn heute Nacht möchte ich noch fast bis zum Hafen am Hochdamm hinausfahren. Vergeblich ringe ich um Schlaf, die Aufregung angesichts der morgigen Einschiffung nach dem Sudan ist einfach zu groß. Im Morgengrauen falle ich doch noch in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich hochschrecke, als die Sonne bereits am Himmel steht, und hastig packe ich meine Dinge zusammen.

Bei meiner Ankunft am Zoll stapeln sich bereits Berge von Kisten, Ballen, Koffern, Teppichen, Säcken, Matten und kunstvoll geschmückten Bündeln, zwischen denen geduldig abenteuerlich verkleidete Gestalten hocken, jede von ihnen eine eigene Beschreibung wert. Als Europäer habe ich mich nicht in dieses Gewimmel hinter der Absperrung zu stellen, so wird mir von dem Zollbeamten bedeutet, und ich bin ganz froh darüber, denn mit dem beladenen Rad wäre ich dort schlicht zur Bewegungslosigkeit verdammt. Auch an der Zollkontrolle winkt man mich unbehelligt durch, lediglich der Immigration-Officer rechnet offensichtlich mit der Schmierfreudigkeit europäischer Orientreisender. Er bedeutet mir mit finsterem Gesichtsausdruck, ich habe zu warten, doch aus seinen Reaktionen wird ersichtlich, daß hinter alledem keine Paßkontrolle, sondern eine Erwartung steht, und so bleibe ich ungerührt, naiv den Ahnungslosen vortäuschend, geduldig eine Viertelstunde, eine halbe Stunde penetrant freundlich direkt neben dem Schalter stehen, während ein beträchtlicher Strom von Sudanesen unbehelligt die Kontrolle passiert und mein Reisepaß unbearbeitet seiner Auslösung harrt. Der Beamte erkennt schließlich ganz richtig, daß mit mir nicht ins Geschäft zu kommen sei, stellt mir, als Vorwand für die Wartezeit noch eine fadenscheinige Frage zu meiner Registration und stempelt schließlich den Paß. Meine freundliche Danksagung und der Abschiedsgruß bleiben leider unbeantwortet.

Karikatur: Auf dem Nil

Eine halbe Stunde vor (!) offizieller Abfahrtszeit lichten wir die Anker und fahren hinaus auf den Nasser- oder Nuba-Lake, der einem riesigen, unter Wasser gesetzten Sandkasten gleicht, aus dem die Spitzen einiger Sandburgen gerade noch hervorlugen, denn die umliegende Wüste taucht ohne jeden Pflanzensaum in den See ein. Gegen Abend wird die Stimmung noch surrealistischer. Es regt sich kein Windhauch, und die matt schimmernde Bleiplatte des Sees wird nur von unserem Wellenschlag verbogen, die fernen Erhebungen des dunklen Ufers wandeln sich zum schwarzen Oxydrand – welch stille Erhabenheit!

Dem völlig aufgelösten Hajji Said-en-Nur aus Khartoum helfe ich mit meiner Bestimmung der Qibla, der Gebetsrichtung nach Mekka, aus einer argen Patsche, denn die Bewegungen und Kursänderungen des Schiffes haben den Armen völlig die Orientierung verlieren lassen. Obwohl ich ungläubiger Europäer bin, traut er mir doch eine fachliche Kompetenz zu, denn flugs darauf verrichtet der ehrwürdige, weißbärtige Greis sein Maghrib-Gebet, das vierte des Tages.

Nach dem Sonnenuntergang ruft der Muezzin über die Bordlautsprecher die Gläubigen zum Abendgebet (Al Misal) aufs Oberdeck der in Hamburg auf Kiel gelegten "Sinai", und in zwei langen Reihen beugen sich die in weiße Burnusse gehüllten Nubier vor Allah-al Maujud, dem Allgegenwärtigen, wie einer der 99 im Koran erwähnten Namen Gottes lautet. Ein letzter Blick auf den vollen Mond, der über die Stille des Sees wacht, und glücklich vergrabe ich mich vor der vom Sternenhimmel niederfallenden Kälte in meinem Schlafsack.

Die frühe Morgensonne verleiht den Felsentempeln von Abu Simbel mit ihren harten Schatten ausgeprägte Plastizität. Besonders der Tempel Ramses' II. mit den Kolossalstatuen des Herrschers ist ein ungeheuerlicher Bau, vor dem sich die ersten Touristen wie Ameisen ausnehmen. Die deutsche Firma Hoch-Tief rettete in einer beispiellosen, von der UNESCO finanzierten Aktion den Tempel von Abu Simbel, indem sie die gewaltigen Steinmassen fein säuberlich zerschnitt, numerierte und oberhalb des zukünftigen Wasserspiegels des Stausees in zwei künstliche Berge wieder einfügte.

Je mehr wir uns nach Süden bewegen, desto lehmiger wird das Wasser, dessen Schwebstoffe sich auf der beruhigten Reise durch den Stausee nach und nach am Grund absetzen. In wenigen Stunden, so versichert mir Ahmed, mein neuer sudanesischer Freund aus Nyala, einer bedeutenden Stadt in der westlichsten Provinz des Sudan, werden wir in Wadi Halfa einlaufen – das afrikanische Abenteuer beginnt!!

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Punkt Punkt

 

Folge 6 Papyrus-Logo Nr. 9—10/91, pp. 39—43

Das Schiff drosselt die Fahrt bis das Geräusch der Dieselturbinen schließlich ganz erstirbt. "Wadi Halfa", erläutert mir Ahmed. "Der Hafen von Wadi Halfa", verbessert er sich hastig, als er mein fassungsloses Gesicht sieht. Drei zerschlissene Zelte, ein paar Sammeltaxis im Wüstensand; zerstreute Gestalten am Seeufer, einige Fischerkähne, zwei Schmutzgeier, die lautlos in der erwärmten Luft kreisen – dies der einzige Halt für das Auge, dessen Blick sich in der afrikanischen Weite von Himmel, Wasser und Wüste zu verlieren droht.

Die Ausschiffung läßt sich sehr geruhsam an, und es wird drückend heiß hier auf dem Achterdeck ohne die angenehme Fahrtbrise, in der prallen nubischen Mittagssonne. Doch mein Weg zur Gangway wird verlegt von den Bergen der Koffer, Schachteln, Kisten, Körbe, kurz, all jener Dinge, die vorher den Kai des Hafens von Assuan in ein malerisches Durcheinander verwandelt hatten.

Die Paßformalitäten erweisen sich als ausgesprochen unkompliziert, ein zuvorkommender sudanesischer Zollbeamter fertigt mich bereits im Gewühle auf dem Schiff ab. Offensichtlich hat der Mann Order von oben, mich vor dem Gros der anderen Passagiere vom Schiff zu lotsen, denn er besteht zwar höflich, aber nachdrücklich auf diesem Vorhaben.

Zehn Minuten versuchen wir schwitzend, das vollbepackte Rad über den Filz aus Leibern und Gepäck zu wuchten, bevor wir erschöpft aufgeben. Mich überfällt gnädig eine wohlige Trägheit. Mit wirklicher Muße und größtem Interesse folge ich dem phantasievoll betriebenen Ringen der Reisenden um Zentimetervorteile auf die Zollsperre zu, die die Erlösung von Lärm, Enge und Hitze verspricht.

Der mächtige Ra'as, irgendwo da draußen, läßt nicht locker – er entsendet einen weiteren Untergebenen zu meiner "Befreiung", der jedoch ebenso wie sein Vorgänger die Aussichtslosigkeit seiner Mission zu erkennen hat und unverrichteter Dinge wieder verschwindet.
Dann schließlich räumen zwei kräftige Polizisten als letztes Aufgebot mit Macht den Weg frei ...

Auf dem Ponton endlich bekomme ich den großen Unbekannten, Chef des lokalen Security-Office und Patron meiner aufmerksamen Protegierung, zu Gesicht. Der Mann im modisch geschnittenen Anzug und sportlicher Sonnenbrille sticht aus der Menge der orientalisch gekleideten sofort heraus. Mit einem "Herzlich Willkommen" händigt er mir dreißig sudanesische Pfunde aus und entschuldigt sich dann auf Deutsch für meine späte Auslösung. Das Geld, so fügt er erläuternd hinzu, sollte zur Übernachtung und für einige Mahlzeiten ausreichen, bis am morgigen Tag die Bank öffne.
"Deutsch", erzählt er mir auf meine ungläubige Frage, "habe ich am Goethe-Institut in Khartoum gelernt."

Langsam schiebe ich mein Rad den Laufsteg hinunter, ich bin an Land, ich bin – jetzt richtig, so fühle ich – in Afrika!

Die wenigen sandigen Kilometer nach Wadi Halfa Town (!) lassen mich etwas von der Beschwernis der vor mir liegenden Etappen erahnen ...

Wadi Halfa Town – hinter diesem Namen verbirgt sich ein verschlafenes Örtchen von vielleicht 60 sauber verputzten Lehmhäusern, einer Bahnstation, dem nördlichen Kopf des sudanesischen Eisenbahnnetzes, und ca. 3 Bäumen (ca. deshalb, weil ich großzügig buschartige Gewächse in dieser Erhebung mit berücksichtige). Der Ort wird zwei Mal pro Woche mit der Ankunft der Schiffe von Ägypten aus seiner Beschaulichkeit gerissen, überfallen von einer Horde Reisender, gleich der biblischen Heuschreckenplage, bevor dann am folgenden Nachmittag, wenn sich mit der Abfahrt des Zuges nach Khartoum der Staub wieder gelegt hat, die Ruhe der Wüste zurückkehrt.

Nur schwarze Kinder in verwahrlosten Kleidern, langbeinig und dürr, spielen vor der trostlosen Kulisse der braunen, staubigen Stadt in den sandigen Straßen Fußball, unwillkürlich die erschütternden Bilder der Hungerkatastrophen der Sahelländer in mir wachrufend.

Ja, 'Abdu Ibrahim ist prinzipiell bereit, mich auf seinem Mercedes-Laster die 200 km durch die Wüste bis nach Abri mitzunehmen, einem größeren Dorf im Niltal nördlich des III. Kataraktes. Denn nach allen Informationen, die ich in vielen Unterhaltungen auf dem Schiff und nun auch hier in der Stadt gesammelt habe, ist es nicht möglich, mit dem Fahrrad bis dort zu gelangen. Freilich gilt es fortwährend, bei diesen Aussagen die Spreu vom Weizen zu trennen, denn mit viel Verständnis ist bei den Niltalbewohnern für das Vorhaben, per Fahrrad das Land zu durchqueren, nicht zu rechnen, wo die Reise mit einem Fahrzeug doch viel komfortabler ist. In ihren Augen ist die Wüste gleichbedeutend mit Tod und Verderbnis, der Nil hingegen die alleinige Ader des Lebens. Mit dem Fahrrad durch die Wüste, verwundertes Kopfschütteln, erregte Ausrufe: "... die gefährlichen Tiere... Wölfe!" Nein, meine Faszination, die religiösen Empfindungen angesichts dieser Weite, Stille und Einsamkeit, die mich berührt und, so verspüre ich, selbst ein wenig zu entrücken vermag, können sie, die mit ihrem Boden verwachsen sind, für die ein glückliches und erfülltes Leben ohne die Gemeinschaft der Großfamilie und umgeben von vielen Freunden undenkbar ist, wahrlich nicht nachempfinden!

Eine Story taucht jedoch immer wieder auf, in den verschiedensten Varianten und zum Teil mit wilden Ausschmückungen, so daß ich nicht umhin kann, ihr eine wahre Begebenheit zu Grunde zu legen: Vor drei bis fünf Jahren versuchte ein Europäer oder Engländer, dieses Wüstenstück mit dem Fahrrad zu bewältigen, wurde aber von "Wölfen" (wohl verwilderte Hunde oder Schakale) angefallen und getötet.

So höre ich mich nach einem Lastwagen um, der nilaufwärts fährt und kam so zu 'Abdu Ibrahim.

Gemäß der Tradition geht dem eigentlichen Feilschen um den Tarif der Passage eine belanglose Plauderei mit 'Abdu voraus. Gleich zum Geschäft zu kommen würde als eine grobe Unhöflichkeit empfunden.

Das Gespräch gibt mir die Gelegenheit, 'Abdu Ibrahim eingehend zu beobachten. Die hellgrüne Galabiya, das lange traditionelle Baumwollgewand der arabischen Männer, umfließt den drahtigen Körper des kleinen Mannes, dessen Bewegungen durch eine fast katzenhafte Geschmeidigkeit bestechen. Das hellhäutige, markante Gesicht mit der ausgeprägten Nase verrät mir, daß er wohl eher beduinischer Abstammung ist und nicht ein wirklicher Nubier wie seine tiefschwarzen Beifahrer, mit denen er sich immer wieder auf Ratuna, der Stammessprache dieses negroiden Volkes, über den Handel beratschlagt. Fremd und vollkommen unverständlich ist für mich der Disput. Nur das häufige Klicken mit der Zunge, so habe ich inzwischen schon erfahren, bedeutet offenbar ein entschiedenes Nein. Dann wendet sich 'Abdu wieder mir zu. Sein flinker, forschender Blick wandert über mein Gesicht und scheint ergründen zu wollen, wieviel zu zahlen ich wohl imstande bin und bereit wäre.

Nach seiner anfänglichen, völlig überhöhten Forderung von 150 sudanesischen Pfund einige ich mich nach längerem Hin und Her mit ihm auf 45 Pfund und eine Fotografie seines LKWs, die ich noch zu machen habe.

Wenn dies auch nicht der Einheimischen Preis sein mag, so kommt er diesem wohl doch recht nahe, d.h., er übersteigt ihn nicht mehr als 50%, und mit diesem Ergebnis bin ich wahrlich zufrieden. Um zwei Uhr mittags ist hier morgen Abfahrt, schärft mir 'Abdu nochmals ein. Über uns ein entflammter Abendhimmel; Cirrus-Wolken, in verschiedenen Höhen übereinandergetrieben, vermitteln die Transparenz eines riesigen Aquarells, während in meinem Rücken ein gelber Mond über die noch schwach illuminierten roten Bergrücken klettert. Mit einem festen Handschlag wird der Handel besiegelt, vor dieser großartigen Kulisse erhält die Geste eine ernsthafte Feierlichkeit, die hehren Ideale und Figuren eines Karl May – Kara ben Namsi beschwörend ...

Im unvollendeten Neubau des Buheira-Hotels schlage ich mein Zelt auf.

Gestern hatten Ahmed und ich uns im Gewühle im Hafen aus den Augen verloren. Vergeblich streife ich jetzt auf der Suche nach ihm durch die Menschengruppen, die sich mit ihrem Gepäck vor dem Bahnhofsgebäude einfach im Sand niedergelassen haben und in der Mittagshitze gleichmütig auf die Abfahrt des Zuges nach Khartoum warten.

Mit zusammengekniffenen Augen stapfe ich über den gleißenden Sand zurück zum Hotel, da kommt Ahmed rufend hinterher gelaufen, atemlos holt er mich ein. Für einen Moment stehen wir uns wortlos gegenüber, dann sagen wir Lebewohl, Allah Ma'ak, Gott möge mit dir sein, und Insch'allah, so Gott will, auf ein Wiedersehen in Nyala, seiner Heimatstadt.

Aus der staubigen, flimmernden Hitze der Straße kommend umfängt mich beim Eintritt in die ruhige Eingangshalle des Hotels eine schattige Kühle. Auf Kissen verbringt hier eine Runde nubischer Männer Kautabak kauend und schwatzend die lähmenden Stunden des Tages. "Tasiff es-Saut?" werde ich, mich dazugesellend, von einem der Männer einladend gefragt, der mir auffordernd seinen Beutel mit dem feingeschnittenen Tabak hinhält.

Vorsichtig entnehme ich eine Prise und plaziere diese – so wie ich mir das vorher bei den Alten abgeguckt habe – mit dem Zeigefinger sorgsam zwischen Unterlippe und Schneidezähnen. Bitteres Brennen treibt mir den Speichel in den Mund, dann betäubt ein seltsam warmes Kribbeln die Unterlippe und steigt spürbar in Richtung Schläfen. Die Bilder von Alt-Halfa an der Wand beginnen schwankend zu zerlaufen, als wäre ich Zeuge, wie die verlassene Stadt nochmals in den steigenden Fluten des aufgestauten Nils versinkt, das Schicksal mit 2/3 dessen teilend, was einst die Heimat des nubischen Volkes war. Tausende von Menschen wurden damals Ende der sechziger Jahre umgesiedelt, in Gebiete, die zum Teil Hunderte von Kilometern entfernt des eigentlichen Stammlandes liegen.

Aber auch unzählbare Spuren und Überreste der Jahrtausende währenden Besiedlung durch Menschen im Niltal zwischen drittem und erstem Katarakt verschwanden – wohl für immer unter einer wachsenden Decke aus Wasser und Schlamm. Die hastig organisierten Forschungsexpeditionen zur Erfassung der Kunstschätze und Altertümer aus vorgeschichtlicher, pharaonischer und koptischer Zeit machten, obwohl längst nicht vollständig, ständig neue sensationelle Funde, um dann hilflos mit ansehen zu müssen, wie das soeben Entdeckte unwiederbringlich ertrank.

Von 'Abdu Ibrahim und seinem Marsides-Laster zur vereinbarten 14. Stunde noch keine Spur. So setze ich mich in den Schatten eines Lehmhauses, um zu verfolgen, wie vor mir ein Bass, ein zum Bus umgebauter LKW, mit unglaublichen Mengen von Gepäck beladen wird.

Mein anfängliches unbescholtenes Interesse wandelt sich zu gespannter Neugier und gipfelt in staunender Fassungslosigkeit: als die Verpackungskünstler gegen halb vier ihr Werk vollenden, hat das Fahrzeug mehr als das Doppelte seiner ursprünglichen Höhe. Auf diesem kunstvoll verschnürten Gebirge sitzt dann noch eine johlende Menge Extrapassagiere – ein Bild für die Götter, fürwahr, wenn eines dieser buntbemalten Gefährte mit hals- bzw. achsenbrecherischem Tempo, bedrohlich schwankend über die staubigen Pisten brettert!

Um halb fünf lege ich das Tagebuch beiseite, sämtliche Nachtragungen sind getätigt.

Die Sonne wirft bereits lange, bizarre Schatten, Schaubilder skurriler Exponentialfunktionen von Menschen und Gebäuden, da, endlich das gequälte Heulen eines Lastwagenmotors, das meine Ahnung Lügen straft, man sei ohne mich aufgebrochen. "Wir waren noch eben tanken", äußert mir 'Abdu knapp, mehr erläuternd denn entschuldigend. Hilfreiche Hände reichen Rad und Gepäck auf die Ladung, bevor auch ich in luftige Höhen emporklettere.

Die Sonne prallt Funken stiebend auf den schwarzen, harten Horizont, als der Wagen ächzend und schwankend anfährt.

Oh süße Last! Wir thronen fürstlich auf 10 t Zucker, 200 Sack à 50 kg. "Wir", das ist eine buntgemischte Reisegesellschaft von zehn Personen – da ist z.B. Shandi, der Sechzigjährige, der, wie er mir verschmitzt grinsend erzählt, das Geburtsdatum in seinen Papieren um einige Jahre getürkt hat, um noch länger das Privileg geruhsamer Nebeneinkünfte eines Administrativbeamtendaseins in Anspruch nehmen zu können, der zuvor als Fahrer arbeitete und mir in einem Atemzug zwanzig Automarken und ihre Herkunftsländer aufzuzählen weiß, um schließlich mit seinem schwärmerisch verzogenen, zahnlosen Mund zu einer Lobeshymne auf die Qualität der deutschen Automobile anzusetzen.

Karte Europa-Afrika

Überhaupt hat Shandi, wie viele Araber der älteren Generation, die ich außer ihm traf, eine ausgesprochen positive Meinung von Deutschland im allgemeinen und von Adolf Hitler im besonderen. Denn jener ist, wie mir eifrig erläutert wird, im II. Weltkrieg der verhaßten englischen Kolonialmacht zu Leibe gerückt, hat Amis und Russen eines auf die Mütze gegeben und darüber hinaus Millionen von Juden ermordet. Jetzt, so fährt er zunehmend erhitzt fort, nach der Wiedervereinigung, die für ihn bereits eine unumstößliche Tatsache ist, steige Deutschland zur Nr. 1 in der Welt auf – eine begeisterte Handbewegung illustriert seine Rede, mir stockt der Atem – und der Fall der Supermächte Amerika und Sowjetunion sei unaufhaltsam und besiegelt. Bei solcherart tiefempfundener Anteilnahme am Schicksal meines Heimatlandes wird mir weich in den Knien – allerdings weniger aus Rührung, denn aus Schauder.

Mit uns hier oben, in der inzwischen eiskalt gewordenen Wüstennacht, sitzen auch 'Ali, Jamaica, Ahmed und Anwar, die Hilfsboys von 'Abdu Ibrahim, dem Fahrer, die wie die Wiesel über den Lastwagen klettern, Ladung festzurren, Gepäck verstauen, Benzin nachtanken, Werkzeuge anreichen, im tiefen Sand die Luftlandebleche vor die Reifen legen, um ein weiteres Fortkommen überhaupt zu ermöglichen, die also, alle erdenklichen Hilfsarbeiten am und um das Auto verrichten. So bedeutet ein LKW im größten und einem der ärmsten Länder Afrikas Arbeit und Brot, eine bescheidene, aber gesicherte Existenz für fünf Menschen und deren Familien, keine Selbstverständlichkeit, in einem Staat, der seit Jahren von einem grausamen Bürgerkrieg zerrissen ist, und der darüber hinaus immer wieder von fürchterlichen Hungerkatastrophen heimgesucht wird.

Ahmed, seit er meine Gitarre erblickte, dem Instrument rettungslos verfallen, und Anwar, sein älterer Bruder, sind zwei schielende Originale, die sich auch schon mal einen guten Scherz auf Kosten der Ajnabis erlauben ...

Reifenpanne und defekter Kühler haben die Fahrt in qualvolle Länge gezogen, als wir am folgenden Nachmittag aus der brütenden Sand- und Kieswüste zwischen imposanten Bergkegeln zum Nil vorstoßen, der sich als träges lehmfarbenes Band durch einen schmalen, grünen Ufersaum schiebt.

(Eine Fortsetzung der Reportage wurde in diesem Heft noch angekündigt, doch ist sie offenbar ausgeblieben –Anm. KFN)

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Punkt Punkt Punkt

   

Pharaonen-Rallye – Ein Fluch der Pharaonen
von Elke Marold

Papyrus-Logo Nr. 12/87, pp. 49—50

Der Rallyesport hat seit einigen Jahren Ägypten als geeignetes Terrain entdeckt. Zum 6. Mal startete am 18. Oktober 1987 die Pharaonenrallye an den Pyramiden zu ihrer 1. Etappe der 4.500 km langen Motorengeländekampfstrecke durch Ägyptens Wüsten und Straßen. Da dröhnten und jaulten die gepeitschten Motoren und versetzten die Pyramiden an den Nürburgring. Ein Galabiya-Mann wurde kurzfristig und unfreiwillig Motorradrallyebeifahrer, als er in respektablem Abstand von einem gerade gestarteten Biker (Rallye-Jargon) die Straße überqueren wollte. Wer rechnet hier auch schon von Null auf Hundert in Sekunden? Er kam mit dem Schrecken davon und die anderen hatten gut lachen.

Nach dieser Nerven- und Materialprobe gaben die ersten schon auf, obwohl die Schlacht gerade erst begonnen hatte. Weitere und weitaus längere Etappen sollten in möglichst kurzer Zeit noch bewältigt werden. Das gesamte Rennen erstreckte sich über 11 Etappen, die über die Oasen der Westlichen Wüste bis nach Abu Simbel und am Roten Meer entlang zurück nach Kairo führten und so romantische Namen trugen wie "Vergessene Berge", "Tiefe Schluchten" und "Gazellen des Sudan". Was für die Fahrer bei Tempo 160 von Wüstenromantik noch übrig bleibt, verschwindet hinter aufgewirbelten Sandfahnen. Selbst der nächtliche Sternenhimmel zieht keinen Geländefreak vom Teller. Er liegt unter seinem heißgeliebten Renner, schraubt und hämmert. Und am nächsten Morgen heißt es dann wieder: "Gib Gas, das macht Spaß." In dem Erfahrungsbericht eines Teilnehmers aus dem Vorjahr liest sich das dann so: "Ein Wahnsinnsverkehr in dieser gottverlassenen Gegend ... Wir sind mit unserem Schnitt weit hinterher, langsam schließen die Irrläufer wieder auf und überholen – wie die Gestörten – einige bleiben prompt liegen, wir dieseln wieder vorbei, andere buddeln sich im nächst erreichbaren Sandloch fest, überholen uns wieder im Tiefflug bis zum nächsten Sandloch."

Veranstalter ist der Franzose Fenouil, Rallye-Paris-Dakkar-erfahren, der diesen Geländestreß alljährlich in Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Automobilklub inszeniert. Billig ist dieser Spaß am Streß nicht: Pro Mann müssen bei Anmeldung Ffrs 19.500 "geblecht" werden, was sich oftmals im Nachhinein als allzu wahr erweist. Davon bestreitet der Veranstalter Flüge, Autoüberführung und -bergung, sowie Unterkunft und Verpflegung der Teilnehmer. Die Ausstattungs- und Umbaukosten der heißen Renner sind dabei nicht berücksichtigt. Die Wenigsten traten mit Serienfahrzeugen (Wertung in der Marathonklasse) oder nur leicht verstärkten Serienfahrzeugen (Wertung in der verbesserten Klasse) an. Die meisten Petrols, Rovers und Ladas etc. hatten allenfalls das Chassis noch mit ihren serienmäßigen Brüdern gemeinsam oder waren schon total auf Maschine, Räder und Fahrersitz reduziert (Wertung als Prototypen).

Bei den Motorrädern mußte schon im letzten Jahr die Bewertung nach Damen und Herren differenziert werden. Im letzten Jahr war die Allgäuerin Patricia Schek noch die einzige weibliche Bikerin, jetzt konnte sie sich mit vier weiteren schnellen Mädchen messen und siegte. Auch ihr Vater Herbert Schek gewann auf dem Motorrad: Er erhielt den 1. Platz in der Klassifizierung "very old man" (er ist 55 Jahre alt!).

Sieger in der Gesamtwertung aller Autos wurden der Finne Vatanen und der Schweizer Berglund auf einem Peugeot 205 Prototyp, den 2. Platz konnten die Südtiroler Seppi und Baumgartner auf einem Mercedes G mit 560er Motor (Prototyp) erringen. Sie wurden allerdings nicht von der Firma Mercedes, sondern von einer Speditionsfirma gesponsert.

Bei den Motorrädern siegte in der Gesamtwertung der Italiener de Petri auf einer Caviga Prototyp, auf den 2. Platz in der Marathonwertung und den 13. Platz in der Gesamtwertung kam ein Neuling des Rallyesports, der Deutsche Michael Budich, auf einer BMW.

Daß es nicht immer nur auf Drehmoment und PS ankommt, zeigte der Ägypter Riad Baddar, der zum wiederholten Male Etappensieger wurde, weil er ausgezeichnete Geländekenntnis besitzt.

Was winkt dem Ersten außer viel Ehr? Die Siegerprämie betrug Ffrs 30.000 – zweifellos ein Pyrrhussieg, wenn man an den Kostenaufwand denkt. Für alle also ist das Rallyefahren ein Verlustgeschäft. Einige traf es jedoch besonders hart: Sie mußten schwerverletzt ausgeflogen werden. Aber weit mehr haben mit ihren Wagen kopfgestanden, wie die vielen eingedrückten und zerborstenen Autodächer auf dem Parkplatz vor dem Siag-Hotel nach dem Ziellauf zeigten.

Im letzten Jahr hatten zwei Rallyefahrer– mit den ägyptischen Verkehrsgepflogenheiten nicht vertraut – zwei Ägypter zu Tode gefahren. Gib Gas, das macht Spaß? Die Ausfallquote ist jedesmal hoch. Im letzten Jahr sprach man von 50%, in diesem Jahr werden es noch mehr gewesen sein. Nach dem großen Rennen sah man jedenfalls mehr erschöpfte und enttäuschte Gesichter als strahlende. Die Material- und Nervenschlacht hatte den Spaß am Gas wohl weitgehend aufgefressen.

Aber schon locken die nächsten Veranstalter rennsüchtige Geländeabenteurer in die ägyptische Wüste zur 2. Internationalen AvD Liberty Rallye Raid Germany-Egypt-Sudan im Frühjahr 1988. Noch lebt die Wüste! Ja, sie wird immer belebter. Wird der Mordsverkehr in der gottverlassenen Gegend bald an der Tagesordnung sein?

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Punkt Punkt Punkt

   

Cross-Sahara – der etwas andere Reisebericht
gesehen durch die Motorradbrille eines Reiseleiters
von Jürgen Greif

Papyrus-Logo Nr. 5—6/92, pp. 11—21

Es ist schon 17.00 Uhr. Ich sitze, aufgeregt mit meiner Zigarettenschachtel spielend, im Hotelcafé und warte auf meine Kunden. Draußen auf der Pyramid Road rollt, dröhnend und hupend, die Blechlawine Kairos vorbei. Rush Hour! Das Flugzeug sollte um 14.00 Uhr landen, Visa und Zoll dauern ca. eine Stunde, das Taxi noch mal eine Stunde und – sie sind immer noch nicht da. Meine Kunden sind Leute, die eine Motorradtour durch Ägypten gebucht haben – inclusive everything.

Ich mache den Reiseleiter und weiß bis jetzt nur ihre Namen, und dieses: Es ist ihr Urlaub, den sie mir anvertrauen. Ich werde mich bemühen, es allen recht zu machen – was bekanntlich schwer bzw. unmöglich ist. Mein Freund Buddy, er fährt das Begleitfahrzeug, kommt soeben mit dem Taxi an. Er mußte noch allerhand besorgen, u.a. Kettenspray und Taschenlampenbatterien. Wir sind schon über eine Woche hier und haben die Tour vorbereitet: Begleitfahrzeug gecheckt und damit beim Zoll gewesen, nervige Stunden, bei aller Liebe zu Ägypten, aber da wird's zuviel. Wir haben die Motorräder auf Vordermann gebracht, Lebensmittel, Wasser, Schläuche, Reifen, Medikamente, Werkzeug, Präsos, Geschirrtücher und eine neue Bratpfanne besorgt, Gasflaschen aufgefüllt, Benzin getankt, Ölkanister geschweißt und gefüllt, Klopapier und Antimoskitospray gekauft, die Zelte – oje, in der Nase gepopelt, Klappspaten, Feuerholz, Ersatzteile und neue Petrolampen organisiert, das Visum verlängert und Geld geholt, die Permission für die Tour erkauft (Bakschisch), Hotel, Transfer usw. usw.... Ja, richtige Maloche. Jetzt bin ich müde und abgeschlafft, dabei geht's erst los. "Wo bleibt der Schrottbock von Taxi, Sackrasackra!!" fluche ich, mir Luft machend, in Richtung Buddy.

"Mafisch Spray!", stöhnt Buddy, putzt sich dabei die Abgase von und aus der Nase. "Malesch!", sagt er noch hinterher. Er hat's wichtig mit dem Arabischlernen, doch: kein Spray – so isses nun mal. So darf ich heute abend die Tankstellen abklappern. Buddy, auch aufgeregt, ist das erste Mal dabei. Am meisten interessiert ihn die Freundin von einem der Jungs.

Na endlich das Taxi. Fünf deutsche Touristen steigen aus. Verwundert dreinschauende, leicht von Kairo, dem ersten Nasenrümpfen, dem Verkehr und den Arabern überforderte Zivilisationsmenschen. Sie sind auf mich bestimmt so neugierig wie ich auf sie. Wir beobachten sie heimlich durchs Fenster. Jeder denkt laut vor sich hin, was das wohl für Typen sind. Buddy pfeift durch die Zähne, aha, sie gefällt ihm.

Da hat einer meine vor "Wüstenpatina" glänzende XT entdeckt. Sofort steh'n alle drumherum. Ich will lieber nicht wissen, was die jetzt so denken. Es wird Zeit für uns sich vorzustellen. Also raus und Hände geschüttelt, in die Augen geschaut, nach dem Namen gefragt, auf DU geeinigt. Helfen, das Gepäck zu tragen, Buddy reißt sich um den Beautycase. Ich höre, während des Eincheckens, die Englischkenntnisse ab. It's good.

Wir verabreden uns im Café auf das Welcomecola. Ich nerve meiner Tourablauf- und Erklärungsrede entgegen, während Buddy, sichtlich gelöst, sich neben mich flegelt. Ich frage ihn nach seinem Eindruck. "Ich bin zuversichtlich!" sagt er verschmitzt. Ich hoffe, er meint damit das allgemeine Gelingen der Tour. Während des Zusammensitzens wird abgetastet, Konversation: Ich rede viel, und die anderen staunen viel. Ich frage nach dem Motorrad, nach bisherigen Touren und nochmals nach den Namen. Man taut langsam auf, macht Witze und versucht, sich wichtig zu machen. Es gibt viele Fragen zu beantworten, für Helga habe ich Schlangen und Skorpione aus dem Weg geräumt, Stefan wollte genau wissen, wieviel Wasser wir brauchen. Ich hab' es fachmännisch erklärt, und Heinz fragt nach dem kulturellen Erbe blah, blah.

Nach zwei Stunden sind alle zufrieden und haben richtig Bock auf die Tour. Ich hab's geschafft für heute.

Am anderen Tag, Kairo – Sigthseeing. Wie alle Touris, abhaken von Tuti im Museum und Kanonen vor der Mohamed Ali-Moschee. Doch das Schmankerl für meine Yuppies ist Alt-Kairo. In diese Gegend kann man sich eigentlich nur verirren, oder man wird dorthin geführt, von mir. Ich nenne das "Eichen", einführen und abhärten. Einführen in Orient und Afrika, abhärten der Geschmacks- und anderen Nerven. Die braucht ein herkömmlicher Mitteleuropäer in der Gegend. Gassen, eng und schattig. Es ist laut, Radios, Marktschreier und der Muezzin, lautes Geschrei und hupende Autos, die kaum Platz zum Fahren haben. Überall Dreck, Abfall und Schei... nein Kot, Kloakenpfützen. Der Dreck, schon mehr Kompost, krabbelt an den Wänden der Häuser hoch. Die Häuser sind alt, heruntergekommen und schief. In jedem Eingang stinkt's nach Pisse, Tschuldigung, Urin. Es reiht sich Geschäft an Geschäft, eines kurioser als das andere. Da wird Fleisch verkauft – offen mit viel Fliegen, Radios werden repariert, es wird rasiert und frisiert, Obst und Gemüse, Rattenfallen, Wasserpfeifen, Möbel und Teppiche, Fahrräder, Lebensmittel aller Art, Süßigkeiten und Bossklamotten stehen zum Verkauf, und in Garküchen brutzelt und kocht es. Ich lade (umsonst) zum Probieren ein. Es gibt hier alles, nur keinen Kettenspray. Frauen in Schwarz tragen alles auf dem Kopf. Eselskarren und eine Schafherde zwängen sich durch die Enge. Gedränge. Kinder spielen mit Büchsen und Autoreifen, Alte sitzen auf Stühlen und sabbern Wasserpfeifen rauchend vor sich hin.

Hunde mit offenen Geschwüren und voller dicker Zecken wühlen scheu und hungrig im Morast dieser Gasse. Ich zeige auf die Fellachenfrau inmitten ihrer Hühner, Enten, Gänse und Tauben. Ein blauer, hüfthoher Plastikbottich droht, ohne äußeren Einfluß, davonzuwackeln. Ich lasse Helga reinschauen, sie wird blaß, würgt und dreht sich ab. Den anderen geht's, nach dem Reinschauen, auch nicht gerade blendend. In dem Bottich, blutverschmiert, zappeln sich drei Hühner mit durchgeschnittenen Hälsen den Rest Leben aus dem zukünftigen "Chicken"-Leib.

Ich zeige das alte Haremsgebäude und das ehemalige Stadttor Bab El Suwela, grüße einen alten Bekannten, den Teebudenchef und rede mit ihm arabisch, um Eindruck zu schinden. Die Leute sind erschlagen, fix und foxi, von den Eindrücken erdrückt, sozusagen. Wir setzen uns, um Tee zu trinken.

"Freundlich sind sie ja, die Ägypter!" stellt Stefan fest. Ein alter Mann bringt Helga einen Stuhl und setzt sich lächelnd neben sie. Vielleicht um das Gesehene zu entschuldigen, fange ich an zu erzählen:

Egal wohin man kommt, alle sind freundlich und nett. Sie machen Platz, bringen Stühle und bieten Foul (Bohneneintopf) und Wasserpfeife an. Überall in diesen Gassen, in der Stadt und auf dem Land, den Oasen, bei Militär und Zoll, überall sind sie freundlich, hilfsbereit und redselig. Ständig hört man das berühmte: "Hello Mister, welcome to Cairo!" Es ist ein Phänomen, daß in einer Stadt mit einer Infrastruktur für 4 Millionen 12—15 Millionen Einwohner in zum Teil für uns unwürdigsten Verhältnissen leben, jedermann, nicht unbedingt jede Frau, Tag und Nacht überall hingehen kann, ohne auch nur im geringsten behelligt zu werden. Im Gegenteil: Freundlich wird man gefragt, manchmal auch vollgelabert, und es findet sich immer einer, der den Weg zeigt oder sonstwie weiterhilft. "Wo bitte, finde ich das noch in irgendeiner Metropole dieser Welt?" frage ich meine Kunden. New York, London, Paris oder Rom. In Frankfurt ist es am Tage schon gefährlich, und freundlich zu Ausländern zu sein, ist sowieso nicht angesagt in Deutschland. Aber hier wird man als Ausländer sogar beschützt. Beschützt vor frech bettelnden Kindern, keinen Neos, beschützt von einem alten Mann, keinem frustrierten Polizisten, der versucht, die Bande wegzujagen. Es ist mehr Spaß von dem Alten und den Kindern. Alle, die herumstehen und sitzen, haben was zum Lachen. À propo Lachen – hier kann man noch richtig lachen, ständig mit jedem über jeden Furz, wie man so sagt. Alle sind gut drauf, es gibt keine schnöde und doofe Discocoolness oder hochnäsige Arroganz. Die Leute können auch über sich selbst lachen und herumalbern wie kleine Kinder.

Oder im Stau stehend, mit dem Taxi, brauche ich Feuer. Mein Fahrer hat keines, so ist es das Selbstverständlichste, daß der Nebenmann im anderen Auto Feuer gibt und auch gleich, mit seinen drei Worten englisch: "Welcome to Cairo!" ruft. Die Fahrer unterhalten sich ein wenig, plötzlich gibt's was zu lachen. Der, der den Witz machte, hält die Hand hin und der andere schlägt, immer noch lachend, hinein. Bei uns machte man das früher, mit Schenkelklatschen, ist aber out bzw. verpönt.

Oder ich bin mit dem Moped unterwegs in Kairo, und alles steht, nur ich versuche zu fahren. Links und rechts rum, zwischen Eselskarren und Fußgängern, keiner, der mault oder schimpft, alle machen irgendwie Platz, man muß nur höflich gestikulieren. Zwischen den Autos durch, bis mein Ochsenauge zwei Zentimeter vor dem Rückspiegel eines Autos hält. Es ist nicht das Ende der Fahrt – nein – der Spiegel wird von einer freundlichen Autofahrerhand (das gibt's hier noch) eingeklappt. Dankend an den Helm getippt, und weiter geht's bis zum nächsten Spiegel.

Manchem, der schon in Kairo war oder ankommt, wird der Verkehr chaotisch vorkommen, besonders wenn man's vom klimatisierten, hohen Omnibussitz, aus verdunkelten Scheiben, mit StVO-Kopf oberflächlich betrachtet. Aber es flutscht immer, jeder beachtet jeden, der vor ihm fährt. Fußgänger sind, scheinbar, Freiwild; es wird immer gebremst, wenn einer mit gehetztem Blick über die Straße flüchtet. Hupend und gestikulierend, miteinander redend, manchmal auch schreiend, wenig rücksichtsvoll, selten aggressiv, geht's immer weiter. Es gibt kein Auto ohne Delle und Kratzer oder mit intaktem Rücklicht – ein Tribut an die immense Verkehrsdichte. Dafür kompensiert diese Verkehrsdichte jede Art von Vehikel: Eselskarren, Kutschen, stehengebliebene Omnibusse, Taxi mit maximum Speed 30 km/h, Fahrräder, Mopeds, Fußgänger, spielende Kinder, Handkarren, Schaf- und Kamelherden. Alles bewegt sich und kommt irgendwie voran.

Die andere Seite der Verkehrsmünze ist der Smog. Es gibt Tage, da sieht man die Zitadelle von einem Kilometer Entfernung nur schemenhaft durch die gelbgraue Luft. Nach kürzester Zeit auf dem Moped ist die Nase, samt Nasenmann, schwarz und dreckig. Von der Zitadelle aus sieht man an einem solchen Tag Kairo nur als eine gelbliche, von der Sonne schleimig bestrahlte Dreckluftsuppe, in der massenweise Häuser, Hütten, Ruinen, Antennen und Hochhäuser schwimmen. Natürlich ohne Grünzeug, dafür gut gewürzt mit Gerüchen und Gestank. Die Luft, die in den Straßen steht, ist voll von Abgasen, Kloakenmief, süßlich widerlichem Kadaverdampf und Staub. Viel Staub.

Es stinkt aber nicht nur, es riecht oft auch gut, angenehm nach Gewürzen, Essen, Weihrauch, Tabak, Leder, Holz, Feuer, frischen Früchten, Gebratenem und Gebackenem, Süßigkeiten und Parfüms. Es riecht immer intensiv. Jeder Meter dieser Stadt, dieser Gassen riecht anders, mal zum Nachschnuppern gut und mal zum Wüürg... schlecht. Diese Mischung von Gestank und Geruch ist für mich der "Duft des Orients". Er prägt sich ein, die Nase merkt ihn sich. Kommt man öfters hierher, jeder Afrikafahrer wird es mir bestätigen, und schnuppert diesen Duft am Flugplatz in Kairo oder im Hafen von Alexandria, so ist das für mich ein Willkommensgruß, ausgeatmet aus dem Schlund der Städte.

Ich brauche was zum Trinken, nach dem Vortrag. Die Leute sind ruhig geworden. Helgas Nachbar, der alte Mann, rotzt, nein kodert, lautstark vor sich hin und spuckt im hohen Bogen in den Straßenstaub. Für ihn ist es das Normalste in seiner Welt, für meine Leute ist es die Grenze ihrer Welt.

Trotzdem, der Minztee in der dreckigen Bude schmeckte allen gut. Sogar Heinz war zufrieden.

"Also, noch einmal, zum Mitschreiben.
Kompressionspunkt suchen, Dekohebel ziehen, über OT treten, Dekohebel loslassen und volle Pulle, ohne Gas, durchtreten!" beschwöre ich mit ernstem Blick die um mich versammelten Kunden. Dann muß ich's doch jedem Einzelnen nochmals erklären, es scheint nicht einfach zu sein, einen Einzylinder zum Blubbern zu bringen. Es ist Motorradübergabe. Komisch, wer zuhause eine BMW fährt, sitzt fast immer auf dem Soziusplatz, ich rede mit Heinz, überrede ihn, sich eine normale Endurositzposition anzugewöhnen.

Zaghafte Runden auf dem Sandboden des Campsite. Alle "fußeln" um die Ecke. Jetzt gilt's den Leuten die StVO aus dem Kopf zu reden. Den Mund rede ich mir fusselig, es hilft nichts. Ich glaube, ich weiß warum: Es ist des deutschen Motorradfahrers Heiligstes. Aber später hilft mir das Verkehrschaos. Meine Gruppe vermißt den zweiten Rückspiegel und die Blinker. Ich versichere: "In Ägypten orientiert man sich nur nach vorne und richtiges Blinken sieht man nur im Fernsehen." Ungläubige Blicke und ein Naja-Achselzucken. "Dafür geht die Hupe super!", prahle ich stolz und führ's vor.

Unterwegs. Im Rückspiegel folgt mir eine Schar XTs. Schön anzuschauen. Jetzt fängt die Tour erst an. In Sakkara, an der ältesten Pyramide Ägyptens, angekommen, hat jeder was zu erzählen. Klaus hat beinahe den Esel mitgenommen, um dies zu verhindern, hätte er fast den Reifen abgefackelt. Stefan wurde von dem LKW so geschnitten, daß er, mit einem Adrenalinstoß im Body, auf der Bankette eiern mußte. Heinz rutschte sanft in Alis Garküchenwagen, der ihn, ohne seine Vorfahrt zu beachten, über die Straße schob. Helga hatte es als Sozia leichter: "Ich habe einfach zur Seite geschaut!", sagt sie unschuldig.

So hat jeder seine Lektion des ägyptischen Bikedriving gelernt. 30 km Sakkararoad und ... StVO ade, Zuckhand und Holzauge ist angesagt.

Mittags geht's ins Gelände. Wüste, der größte Enduropark der Welt. Wir nehmen nur 30 km davon in Anspruch. Rallye Pharao-Piste, den meisten reicht's danach.
Geländepraxis und Fahrdisziplin werden besprochen. Heinz erkläre ich nochmals ausführlich die Notwendigkeit der Vorderradbelastung in den Kurven.
Klaus nimmt mich zur Seite, fragt mich, mit kameradschaftlichem Unterton: "Glaubst Du, wir packen das, Helga und ich?" "Klaaar Mensch, ich bin doch dabei!", sag' ich und klopf ihm dabei kräftig auf die Protektorenschulter. Abfahrt, ich spüre den Druck in der Magengrube der Leute. Ich rede mit ihnen, lächle viel und verbreite Zuversicht.

Karikatur: Auf dem Motorrad

Am Anfang machte es allen richtig Laune, bis, tja bis zu dem Steilanstieg aus lockerem Sand. Wir haben es genau besprochen, theoretisch bei Cola und Café, jetzt aber stehe ich allein hier oben. Ehrlich, ich grinse mir einen ab unterm Helm. Heinz hat abgewürgt, hängt mehr als er steht am Berg und versucht, in glühender Hitze, zumindest empfindet er es so, seine – Scheißkarre – anzutreten. Peter hat virtuos abgedreht, um unten, tief Luft zu holen und erneut zu starten. Stefan würde gern umdrehen, sein Moped aber nicht, vorne gebremst, versucht es rückwärts runterzukommen, und nach kurzem Kräftemessen legen sich beide, ganz langsam, in den Sand. Klaus und Helga stehen, wie angewachsen, unten und beobachten das Treiben. Ich sitze oben, rauche und beobachte die Reaktionen der Fahrer. Hier habe ich schon viel gesehen und gehört: Viel Schweiß, stumme Resignationen und viele derbe Flüche. Einmal hat sogar einer seinen Helm weggeworfen. Heute geht's etwas besser. Sie kommen alle alleine hoch. Es wird gelacht und geschwatzt, Heinz trinkt seine nagelneue Feldflasche leer.

Der Rest der Strecke ist schweißtreibend. Das Paar hält sich gut. Ich rufe, nein schreie, wegen des lauten Geknatters natürlich, jedem Tips zu, fahre vor, gestikuliere wie ein Wilder, und versteh'n tut's keiner. Nur Heinz begreift mich prima, ein mürrischer Blick von mir, und er rutscht nach vorne, schuldbewußt grinsend.

Klaus und Helga liegen im Sand, die XT heult auf wie ein getretener Hund, Klaus robbt zum Killschalter – endlich Ruhe, es ist nichts Schlimmes passiert. Mein erster Gedanke bei einem Sturz gilt, ich schäme mich auch dafür, meinem Motorrad. In diesem Fall dem Luftfilter. Buddy hatte sie gereinigt und eingesetzt, hoffentlich hatte er nicht gepfuscht. "Verdammt tiefer Sand hier und noch vorne gebremst!", stöhnt Klaus, Helga sitzt im Sand und lacht. Die beiden müssen eine Colarunde ausgeben, so steht's geschrieben. Die Pyramiden tauchen auf, gigantisch schön und groß. Die XTs werden in Positur geschoben und die Yashicas, Canons und Konikas kommen zum Einsatz. "Och, Schei .... !", jammert Peter und zeigt auf sein Vorderrad. "Platten!", sagt er noch, obwohl es schon alle bestaunen. Ja, so was ist zuhause, auf der Schwarzwaldhochstraße, selten. "Der Felsbrocken lag genau auf meiner Top-Ideallinie!", erzählt er mir, während ich die mitgeführten Schläuche auspacke. Ich gebe einen Kurzlehrgang im Schlauchwechseln. Alle sind von meiner Fähigkeit als Tourleader überzeugt, zumindest was das Schlauchwechseln anbelangt.

Erster gemeinsamer Abend auf der Campsite. Wir kochen Spaghetti. Sehr einfach eigentlich, aber Helga möchte die Zwiebeln in Ringen geschnitten und Peter hat sie kleingehackt. Heinz verbrannte sich seine Fingerhaare beim Gasherdinbetriebnehmen. Klaus vergaß, seine öligen Pfoten zu waschen, das Spaghettiwasser hat jetzt leichte Regenbogenfarben. Es mundet trotzdem super. Nach der Mahlzeit trinken wir Nescafé, Tee und Duty free-Whisky, und Heinz hat beim Knobeln verloren, er spült ab.

Es beginnt die Zeit der Geschichten, wahr oder einfach nur rundgemacht, Hauptsache lustig und unterhaltend. Tja, mein Tisch hat schon einiges mitanhören müssen. Bis in die Nacht werden Geschichten erzählt, und die Palmen biegen sich – im Wind, der von der Wüste herüberweht.

Rumpel, Pumpel. Ich reiße die Augen auf, sehe mich in den Straßengraben fahren, bin sofort hellwach und zaubere meine Fuhre wieder auf den Desert Highway. Ich muß eingedöst sein. "Es ist aber auch platt hier draußen!", denke ich mir. Parkplatzwüste von Horizont zu Horizont. Es ist mir langweilig, und der Hintern tut mir auch weh, ich strecke die Beine aus und fahr ein bißchen im Steh'n.

Ein Blick in den Rückspiegel, keiner da – wo sind die bloß? Umdrehen. Jetzt fängt mein Hirn an zu arbeiten, alle Möglichkeiten kramt es aus dem Erfahrungskistchen. Plattfuß, Sturz, fotografieren, Pinkelpause, egal, ich muß zurück. Da steh'n sie auch schon, weiter links sehe ich Klaus, mit etwas Weißem in der Hand, in die Wüste rennen. Verzweifelte Suche nach dem "Busch" ist seinem Gerenne anzumerken. Plötzlich hält er an, läßt die Hosen runter, setzt sich hin, es ist ihm alles egal, und – er hätte auf drei Meter in die berühmte Flasche getroffen. Die Leute sehen betreten weg. "Tja, Leute, so kann's jedem von uns mal geh'n, hoffentlich bleibt's beim normalen Dünnpfiff!", töne ich in die schweigende Runde. Stefan teilt Zigaretten aus, wir hängen die Helme an die Spiegel und qualmen. Klaus kommt zurück. Schweißperlen auf der Stirn und mit leidendem Blick. "Kannste weiterfahren oder willste im Unimog liejen?", fragt ihn Helga besorgt und streichelt dabei seinen verlängerten Rücken. Ich überrede Klaus, sich in das bereits angekommene Begleitfahrzeug zu legen, Helga soll das Motorrad fahren. So umgekrempelt fahren wir weiter. Abends im Dünencamp mache ich mit Helga Wadenwickel gegen das Fieber und empfehle Immodium – Chemie pur. Helga meint, ihre Müslimittel aus dem Reformhaus würden helfen. Heinz muß ich ein Pflaster geben, er hat sich beim Zeltaufbauen verletzt. Roland macht das Essen. Die Yamaha-Esel müssen versorgt werden, ich gebe ihnen Benzin zu trinken und 20—40 für die Gelenke.

Klaus stöhnt, er habe Magenkrümmen. "Kannst du mir das Immodium geben?", bittet mich Helga nach dem Abendessen. Ich hol das Zeug und schaue nach ihm. Wadenwickel, Tee und Klopapier sind die einzigen Dinge auf dieser Welt, die ihn noch interessieren. Stefan hat ihm, in allernächster Nähe zum Zelt, ein Loch gebuddelt und die Klopapierrolle über den Spaten gestülpt.

Später setzen wir uns vor den Wüstenfernseher: das Lagerfeuer. Alle schauen hinein und ich erzähle eine Geschichte von meiner Reise: "Damals im Sudan... !" So sitzen wir bis spät in die Nacht hinein zwischen den Dünen, erzählen und trinken Sternenkaffee (großer Napf, schwarz mit viel Zucker) bis das Feuer erlischt und sich einer nach dem anderen in seine Penntüte verkriecht. Ich gehe auch, lege mich hin und schaue in die Sterne. Für mich gibt's nichts besseres zum Schlafen als ein Platz im "Desert Inn": einen warmen Schlafsack, ein lauer Wind ums Gesicht, die absolute Stille und eine Million Sterne. In solchen Momenten bin ich froh, daß es mich als Reiseleiter in die Sahara verschlagen hat.

Karikatur: Abflug

Die große Freiheit ist angesagt worden. Mit dem Bike in die Dünen düsen auf Teifi komm raus. Zuvor hab' ich genau erklärt und sogar vorgemacht, wie man's nicht machen soll, wenn der Motorblock auf dem Sand aufsitzt und vom Hinterrad nur noch die Hälfte zu sehen ist. Oder, daß man nicht einfach über einen Dünenrand heizen soll, weil's steil und weit runter geht. Schlüsselbeine sind nun mal dünn. Alle haben genickt und die Jagd begann.

Ich war der Fuchs und die anderen die Jäger. Ich dachte, ich wäre ein schlauer Fuchs, ein Wüstenfuchs. Weil ich weiß, wie die Dünenkämme liegen, bräuchte ich nicht so zu schauen. Zudem hatte ich richtigen Bock auf heizen. "Neiiiin!" schrie ich und kniff die Pobacken zusammen. Es folgte der Versuch eines Vorderradwheelies, er mißlang mir kläglich, und ich fraß den Sand zu den Ohren hinein. Da war's, das Sandloch, vor dem ich alle warnte. Mein erster Gedanke war – jetzt fliegen alle auf mein Moped und auf mich! Zuerst mal, nichts wie weg; nein doch nicht, das Bike muß weg! Auch nicht, dauert zu lange. Also die Düne hochgerappelt und befürchtet, daß genau in dem Moment, wenn ich oben ankomme, mir einer mit seinem Motorrad den Helm küßt. Trotzdem hochgerappelt und allen abwinken können, damit sie vorbeifahren. Alle haben's kapiert, nur Heinz steckte weiter hinten im Tiefsand, buddelte und gestikulierte irgend etwas. Ich wieder runter zum Bike, den Sand aus Augen, Nase und Ohr gepopelt. Gerade als ich beim Aufstellen war, hörte ich einen Einzylinderhubschrauber anfliegen, ich drückte mich instinktiv über meine XT, spürte einen Rumpler, meine XT schüttelte sich und neben mir landete breitseits der XT-Hubschrauber im Sand. Der Pilot, Heinz, flog etwas weiter. Alles ok, er hatte nur etwas Sand durch die Ohren zu sich genommen und meine XT hat nun kein Rücklicht mehr. Heinz war der Champ, er hatte mich als erster eingeholt.
Die Jagd war zu Ende. Ich freute mich auf den Abend und auf die heiße Quelle, in der ich mir den Sand aus den Ohren und anderen Ritzen waschen konnte.

Ein Geplappere und Geplansche wie im Kinderbadebecken dringt von der Quelle an mein Ohr. Ich hatte mich nach dem Abendessen auf eben dieses gelegt und über die Tour nachgedacht. Die Leute sind in guter Stimmung. Man ist sich näher gekommen. Die wundersame Landschaft, Berge, Schluchten, die Weiße Wüste, das Treiben in den Oasen, das Dünenmeer und unsere Ausflüge links und rechts der Straße taten ein übriges dazu. Alle sind gut drauf, auch Heinz. Es ist schwer, ihn so zu akzeptieren wie er ist, aber alle zeigen Verständnis und Wohlwollen. Es ist nicht immer einfach, eine Gruppe unter einen Helm zu bekommen. Manchmal greife ich mir den einen oder anderen zu einem "persönlichen" Gespräch, unter Männern oder von Mann zu Frau, um Probleme aus dem Weg zu räumen, ehe sie überhand nehmen.

Das Tourbarometer muß an dieser Quelle stimmen, dann stimmt die ganze Tour. Bis jetzt flutschte es ganz gut. Unsere Geländeritte waren nur Ausflüge als Training für die große Überquerung, bis dahin sollten alle fit sein. "Fit im Sandele und Dreckle!", wie Buddy sich auszudrücken pflegt. Das Zusammenhalten der Gruppe ist dann eine Notwendigkeit für alle Eventualitäten einer Motorradwüstentour.
Die Stimmung der Leute steckte mich an. Ich packe meine Badetasche und schlendere, gut gelaunt, durch den Palmenhain zur Quelle.

Es ist nur ein aus dem Lehmboden, gegrabenes Loch, ca. 4 x 4 m und 1,5 m tief. In der Mitte ist im Wasser eine Art Stuhl gemauert, aus dem heißes Wasser ohne Pumpe aus dem Innern der Erde sprudelt. Die Quelle ist umsäumt von Dattelpalmen, um uns herum liegen vom Wind meisterlich geformt, die Sicheldünen von El Kasr. Purpurrot bis dunkelblau färbt sich der Himmel. Die Dünen nehmen ockerfarbene Töne an. Palmen werden zur schwarzen Silhouette. Der nördliche Horizont, ganz nah, ist die Abrißkante des Hochplateaus. Ein gewaltiger, schroffer Gebirgszug behütet, lange Schatten werfend, diesen Flecken Wüste. Es ist Abend geworden und das prächtige und berühmte, einzigartige Farbenspiel zwischen Himmel und Erde beginnt, das sich bei so manchem Wüstenfahrer tief und fest, wie eine Krankheit, im Hinterkopf und der Magengegend, für immer eingenistet hat. Wenn die Krankheit ausbricht, irgendwo zuhause, bekommt man ein sehnsüchtig-wehleidiges Herz und einen melancholischen Blick. Jeder, der diese Krankheit hat, schätze sich glücklich, er unterscheidet sich merklich von den anderen, hiergebliebenen Zeitgenossen. Das einzige mir bekannte Heilmittel ist: Wieder herkommen, wieder und immer wieder und noch einmal.

Die Gruppe ist ruhig geworden und bestaunt die Farbenpracht am Himmel. Keiner fotografiert. Man nimmt mit dem Kopf, mit dem Körper wahr. Kein Dia könnte diese Stimmung wiedergeben. Es fehlte der Duft der Wüste, die Wärme der Luft und das Geräusch des Windes in den Palmen.

Ich steige in die natürliche Badewanne. "Das glaubt dir keiner im Club!", höre ich Heinz schwafeln. Warmes Wasser umspült meine müden Knochen, um mich herum zeigt sich die Wüste von ihrer besten Seite.

Von ihrer allerbesten Seite zeigt sich Helga, was mit lautem Beifall beklatscht wird. Sogar Klaus grölt mit. Sie lächelt, dankt sich selbst für die gute Idee, uns dieses anzutun – sie läßt uns einen Blick auf ihr großes, rundes, prallgefülltes Kaffeetablett werfen. Das ist die wirkliche "Krönung", im warmen Wasser einer Oase zu sitzen, rauchen und Kaffee trinken. So sollte man im Leben mindestens 1.001 Nacht verbringen.

Der Planet "Osram" brennt mir ein Loch in den Pelz. Es ist so heiß. Keine Ahnung, wieviel Grad, das Wasser in der Feldflasche kocht... (Quatsch). Dazu noch den Schlamassel, alle steh'n rum und schau'n mich ratlos an. Dabei hatte es heute morgen so schön angefangen.
Leichter, kühler Wind aus Nordost und strahlende Sonne, von uns "Osram" genannt. Die Mopeds waren für diese Tor-Tour extra umgeritzelt, extra gecheckt und extra gestreichelt worden. Man hatte Wasser, Orangen, Traubenzucker, Schläuche, Werkzeug und Luftpumpe untereinander aufgeteilt. Ich hatte Kompaß, Karte, Brot und heimlich etwas Verbandsmaterial eingepackt.

Helga fuhr in Buddys Unimog mit, der strahlte. Wir, die Mopedler, wollten eine alte Karawanenpiste fahren und uns erst abends mit dem Unimog treffen. Etwas mulmig ist es mir immer, wenn ich diese Strecke fahre, kein Unimog, der hinter uns herfährt, um alle und alles einzusammeln und weit und breit niemand, auf süddeutsch keine Sau, nur wir. Ich denke mir oft aus, wie's wäre, wenn, und habe mir für jede erdenkliche Störung einen "Rettungsplan" ausgedacht, und dabei immer gehofft, ihn nie zu brauchen. Den Jungs hatte ich am Vorabend alles erklärt und die alternative Teerstraße angeboten. Doch die Aussicht, über 150 km nur Dünen zu fahren, war eine zu große Verlockung, der auch ich immer wieder unterliege. Doch jetzt ist's mir heiß. Die XT knistert und brodelt so verdächtig, ich glaube, das Öl kocht. Kein kühler Wind, die Luft steht, alles flimmert um uns herum.

Die ersten Kilometer waren für Heinz und Peter arg schweißlich. Es gab Feschfesch (feinster Staub) für alle und keine Ausweichmöglichkeiten. Wenn man da durchpflügt, fühlt man wie es die Stiefel von den Fußrasten spült und das XT-Esele sein letztes gibt. Ab und zu kommt fester Untergrund, dann geht's wieder hinein, mit Gebrüll, den Tank zwischen die Knie geklemmt, die Pobacken zusammengekniffen und unter'm Helm kräftig die Piste verflucht. Hinter'm Moped türmen sich Staubpilze auf, dichter als die dickste Donauriednebelsuppe im November. Keine Chance für den Hintermann, die gleiche Spur zu nehmen, und so haben wir Heinz und Peter verloren. Ich fuhr zurück und fand sie, trotz ihrer perfekten Tarnung. Schneemänner sind dunkle Gestalten gegen das, was ich vorfand. Sie waren beide gestürzt und sahen aus wie zu stark mit Puderzucker überschüttete Osterlämmer, voll mit weißem Staub. So fein wie Zement und so weiß wie Kreide. Es ist ihnen nichts passiert, aber vom Antreten lief ihnen der Schweiß – von der Stirnen, Hitze runter bis zum Schlitze! Irgendwann blubberten die Motoren wieder, und wir fuhren zu den anderen. Vor den großen Dünen durchquert man eine riesige Sandfläche, in der einige wenige Palmenstauden stehen. An einer der Stauden ließ ich Pause machen. Die tote Kuh, die hier ausgetrocknet herum liegt, wird, für die Daheimgebliebenen, fotografiert. Neben den Palmen liegt eine große Blechtafel. Ich erzähle den Leuten, die Kuh sei nur verdurstet, weil sie die Blechtafel nicht hochheben konnte. Ungläubige Blicke, und: "Der will uns doch nur verarschen!", höre ich Peter maulen, bevor er hingeht und die Blechtafel hochhebt. Er staunt nicht schlecht. Die anderen wollen's auch nicht gleich glauben. Die Blechtafel bedeckt ein Erdloch, in dem, ein Meter hoch, klarstes Quellwasser steht.

Hier mitten im Sand und mehr als 50 km von der letzen Oase weg. Heinz und Peter packen die Gelegenheit beim Schopfe und waschen sich. Es fängt an heiß zu werden; bevor eine zweite Zigarette angezündet wird, dränge ich weiter. Meine XT hört sich sau(nd)mäßig gut an. Okay, sie qualmt etwas und braucht immer einen Schluck mehr Öl als die anderen XTs. Aber heute meine ich, einen etwas helleren Klang zu hören als normal. Ich beruhige mich mit den Worten meines Freundes Bono, der einmal, als ich noch ein XT-Frischling war, zu mir sagte: "XT fahren heißt fahren – nicht hinhören!" So innerlich gestreichelt fahre ich weiter. Es ist herrlich hier zu fahren. Wir düsen zwischen den riesigen Dünen und können so richtig Gas geben. Oft wechseln wir von einem Tal ins andere und fegen über so eine riesige, lange Düne. Das Gefühl, mit 100 Sachen über den Sand zu jagen, ist wie: Nur Fliegen ist schöner. Keine Konturen, keine Bodenwellen, nichts ist zu erkennen, nur der gelbe Teppich unten und darüber das Blau des Himmels. Senken sieht man nicht, plötzlich taucht man, wie mit einem Schiff bei rauher See, unter, sieht den Horizont sich abzeichnen gegen dieses Blau. Es ist eine ganz seltene Art, so Motorrad zu fahren. Der Tacho zeigt 100 km/h, und man hat das Gefühl, daß es nicht vorangeht, man fährt nur in diese zwei Farben hinein. Keine Straßen, keine Bäume, keine Leitlinien und keine Mädchen, nur die zwei Farben. Einfach gigantisch, ich fange an zu johlen und zu singen vor lauter Freude.

"Kacke, mein Motor!!", schoß es mir auf einmal durch sämtliche Hirnzellen. Sofort verging mir das Singen. Die Kupplung gezogen und alles verstummte. Der Motor sowie mein schönes Lied. Jetzt stehe ich hier und Osram brennt mir ein Loch in den Pelz.

Karikatur: Abflug

"Kolbenfresser" ist meine Antwort auf die ungestellte Frage in den Gesichtern der Leute. "Rauchen, trinken, abkühlen, abwarten und ruhig Blut!" schlage ich als erste Maßnahme vor. Tja, so geht's wohl jedem Biker mal irgendwann, irgendwo, und jetzt mir, hier, in den Dünen von Farafra mit 'ner Gruppe von Wüstenneulingen. Ich überlege, ob ich das Bike stehenlassen und bei Klaus mitfahren soll, um es mit Buddy später zu holen. Wertlose Idee, die Tour steht rum und überhaupt, es wäre ein Gefrickel. Von alten Zeiten, lang, lang ist's her – Kreidler Florett RS in rot – erinnere ich mich an 2-Takt-Fresser, die nach 5 Minuten behoben waren. So müßte eine 4-Takter nach 10 Minuten wieder laufen, kombiniere ich. Hoffnungsschimmer am flimmernden Horizont. Nach 10 Minuten nähere ich mich behutsam meinem XT-Esele. Der Kickstarter läßt sich durchtreten, Kompression – na ja – und drauf – es blubbert nur. Nochmals drauf, gewalttätig mit Vollgas zurückgeschlagen. "Aus!" Ich glaube, es ist eine Eselin. Also ganz feinfühlig, behutsam, zuvorkommend, freundlich und charmant lächelnd, gefühlvoll durchtreten und ... sie läuft. Qualmend und klappernd steht sie da, die alte Schlampe. Große Erleichterung bei allen, es kann weitergehen.

Wir halten jetzt öfter an, um die Mopeds und uns abzukühlen. Die Strecke wird jetzt anstrengend, weniger sandig, mehr schroffer Fels am Pistenrand und viele plattfußgierige Brocken im Untergrund. Ich habe Mühe, in dieser steinigen Geröllhalde die Piste zu finden. Zweimal mußten wir schon umdrehen und den Pfadfinder mimen. Es sieht alles gleich aus. Ab und zu haben Kameltreiber kleine Steinhäufchen als Wegzeichen gebaut, aber sie unterscheiden sich fast nicht von der Landschaft. Die Fahrerei wird für Ungeübte zur Tortur. Die Piste ist loser, tiefer Sand inmitten von schroffen Felsen, eng und kurvig fordert sie alles von den Jungs. Man merkt es ihnen an, matte, naßgeschwitzte Gesichter, Heinz schiebt mehr als er fährt, aus seinem Jackenärmel tropft der Schweiß. Ich ermuntere ihn, erzähle was von einer Colabude, die hier irgendwo rumsteht. Er grinst nur gequält. Osram neigt sich zwar leicht 'gen Westen, aber es geht immer noch kein Wind. Noch 40 km in dem Gelände, und meine Jungs sind durch und meine Karre auch.

Stefan sitzt im Sand, und die XT liegt daneben. Er hat seine Hand zwischen Bauch und Schenkeln eingeklemmt und wippt, jaulend vor Schmerz, hin und her. "Verdammt, verdammt!", knirscht er immer wieder durch das Visier. "Es tut so weh!" Er hat sich die linke Hand verletzt. Gottseidank kein Bruch, nur eine Zerrung, finde ich so auf die Schnelle heraus. Alle Finger sind noch dran, bewegen lassen sie sich auch noch. Ich verbinde die Hand, es geht ihm gleich viel besser, bei soviel Mitgefühl. Heinz liegt völlig groggy im Sand und schwitzt. "Ein Königreich für ein kaltes Bier!", japst Peter und platscht sich daneben. Stefan bewegt seine lädierte Hand. Er hat Schmerzen, glaubt aber, daß sie nachlassen werden. Ich hoffe, daß er weiterfahren kann. Er kann, mit viel Wegbeißcameltypgesicht und innerem Schweinehund zieht er die Kupplung, legt den Ersten ein und ab geht's.

Ich höre es zischen, brodeln und glucksen. Eine Cola nach der anderen verdampft in den durstigen Kehlen meiner Jungs. Mohamed, Boss der von uns zur Bikerkneipe umfunktionierten Teebude, macht den Reibach seines Lebens. Geschäftig stellt er ständerweise Cola neben die Tische. Stefans Schmerzen haben zugenommen, und er kann nicht mehr fahren. So warten wir hier auf den Unimog. Die Lebensgeister kehren zurück, jetzt wird kräftig geprahlt. Hitze, Dünen, vierzig Grad usw... blah, blah. Alle heißen nun Willi Wichtig.

Punkt Punkt Punkt

 

Fingerzeig Zum 1. Teil der "Touren"
         Felukkafahrt von Assuan nach Luxor
         Schritte in dunkler Nacht
         Von Dakhla nach Farafra – 112 Jahre "nachgewandert"
         Von Kairo nach Abu Simbel
         Mit Kamelen in die Wüste – Portrait eines Kölners: Dr. Carlo Bergmann
         Bahn-Trekking (von Genf nach Kairo)

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