Ägypten vor (mehr als) 100 Jahren
    Inhalt:
    Briefe aus Ägypten 1905—1908
    Zwei Schweizer Kaufleute in Ägypten
    Kairo vor mehr als 100 Jahren
    Alexandria in alten Reisebeschreibungen 1761—1911
    Eine Orientreise vom Jahre 1881

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Vom Fischerdorf zur Perle des Mittelmeers
Alexandria in alten Reisebeschreibungen 1761—1911
von Rudolf Agstner

Papyrus-Logo Nr. 11—12/93, pp. 3—38

Wenige Städte auf der Welt bezaubern allein schon durch ihren Namen. Mit Alexandria verbindet man allgemein eine Metropole der hellenistischen Kultur. Leider sind davon kaum Reste verblieben...

Die im Jahre 331 vor Christus von Alexander dem Großen gegründete Stadt Alexandria liegt an der äußersten Westspitze des Nildeltas auf einem sandigen Landstreifen, der den Mariut-See vom Meer trennt. Die Stelle gegenüber der Insel Pharos, bei dem altägyptischen Ort Rhakotis, durch schiffbare Wasserarme mit dem Nil in Verbindung, war vortrefflich für die Aufgabe geeignet, die Alexander der Große sich als Lebensziel gesetzt hatte: die Errichtung eines griechischen Weltreiches.

Anlage und Bau der Stadt wurden dem Architekten Deinokrates übertragen. Alexanders ägyptischer Statthalter und Nachfolger Ptolemäus I. Soter (323—286) machte Alexandria zum Sammelplatz der Künstler und Gelehrten. Die Thronstreitigkeiten der Ptolemäer vermochten die glanzvolle Entwicklung der Stadt als ersten Handelsplatzes der Welt und Hauptsitzes der griechischen Gelehrsamkeit nicht aufzuhalten.

Über Jahrtausende hielt sich die Erinnerung an zwei prachtvolle Gebäude des alten Alexandria: auf der Ostspitze der ehemaligen Insel Pharos erhob sich der berühmte, von Sostratus errichtete Leuchtturm, mit 180 m Höhe eines der sieben Weltwunder der Antike. Die alexandrinische Bibliothek, die schon zu Zeiten Ptolemäus' II Philadelphus' (285—247 v.Chr.) 400.000 Rollen und zur Zeit Cäsars, als sie verbrannte, 900.000 Rollen umfaßte, war das Zentrum der Gelehrsamkeit der antiken Welt.

Der Niedergang der Stadt begann bereits im 4. Jahrhundert, als unter Kaiser Theodosius (379—395) das Heidentum den Todesstoß erhielt. Die Stadt konnte die Kosten für die Reinigung des Nils und der Kanäle nicht mehr aufbringen. Mit der Eroberung Ägyptens durch Omar im Jahre 641 sank die Bedeutung Alexandrias. Die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien legten die Lebensader der Stadt, den Handel, lahm. Alexandria sank zum bedeutungslosen Fischerdorf herab.
Obwohl Alexandria nie ein Reiseziel, sondern immer nur Durchgangsstation für Ägyptenreisende war, gibt es zahlreiche Beschreibungen der Stadt seit der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Im September 1761 kam der dänische Forscher Carsten Niebuhr auf seiner Reise nach Arabien in Alexandria an (Anm. 1).

"Die Stadt Alexandria liegt jetzt auf einer Erdzunge zwischen einer Halbinsel und der alten Stadtmauer und zwischen den beiden Häfen. Die Polhöhe beträgt 31°12'. Der Grund ist so niedrig, daß man glauben könnte, der größte Teil dieser Siedlung wäre in den alten Zeiten mit Wasser bedeckt gewesen. Gleichwohl verleihen die Moscheen und Türme wie auch einige große Gebäude mit dem Überrest der Stadtmauer und die Dattelbäume der Stadt ein schönes Aussehen. Auch der Obelisk der Kleopatra ist sehenswert.

Alexandria ist nicht auf einmal verlassen worden, sondern nach und nach in Verfall geraten, so wie seine Einwohner immer weniger und ärmer geworden sind. Die alten Paläste wurden niedergerissen, die Steine für neue Bauten verwendet. Das beste Stück des Altertums konnten die Mohammedaner allerdings nicht wegbringen. Es ist dies der Obelisk der Kleopatra. Er ist aus hartem rotem Granit verfertigt und besteht aus einem Stück. Einige Buchstaben von der pharaonischen Schrift sind noch einen Zoll tief. Hieraus ersieht man, welche Sorgfalt die Ägypter anwandten, ihre Nachrichten gleichsam für die Ewigkeit aufzubewahren. Es ist nicht ihre Schuld, daß ihre Nachkommen nicht mehr imstande sind, sie zu lesen.

Von den vielen prächtigen Tempeln Alexandrias ist nur die Kirche des heiligen Athanasius übriggeblieben. Man soll in ihr viele schöne Säulen und kostbare griechische Bücher finden können. Allein diese schöne Kirche wurde vor vielen Jahren in eine Moschee umgewandelt, also ist Christen der Eintritt verboten. Außer dem Erwähnten ist in der Stadt Alexandria nichts sehenswert. Alles ist wüst und schmutzig.

Alexandria hat ansehnliche Zolleinkünfte, da im Hafen alle Schiffe ankern, die Waren aus Europa nach Ägypten bringen. Es halten sich hier verschiedene europäische Kaufleute auf, Franzosen, Venezianer und Holländer. Alle bedienen sich im Umgang mit den Arabern des Italienischen. Es gibt aber auch viele Araber, welche diese Sprache beherrschen. Sie lernen sie wohl wegen der Hoffnung auf Gewinn.

Während unseres Aufenthalts gab es in der Stadt häufig Unruhen und viele Plünderungen. Deshalb waren wir froh, als wir ihr den Rücken kehren konnten!"

Nicht alle Besucher kamen mit friedlichen Absichten. Im Sommer 1798 landete Napoleon mit seiner Armee in Alexandrien; ihr waren zahlreiche Wissenschaftler, unter ihnen der Maler und Archäologe Vivant Denon, zugeteilt. Dieser erinnert sich an die ersten Rundgänge in Alexandria, damals ein größeres Fischerdorf (Anm. 2):

"Unmöglich kann ich meine Empfindungen beim Anlanden in Alexandrien darstellen. Es war niemand da, der uns empfing, oder auszusteigen hinderte. Kaum konnten wir einige Bettler, die tierartig auf den Hintern und Fußsohlen hockten, bewegen, uns das Hauptquartier zu zeigen. Die Häuser waren verschlossen. ... Während wir diese große, aber melancholische Stadt durchwanderten, erinnerte mich nichts an europäisches Leben, als das Geräusch und die Tätigkeit der Sperlinge. Den Hund, diesen Freund des Menschen, diesen treuen und edlen Begleiter, diesen freundlichen und ehrlichen Schmeichler, erkannte ich hier gar nicht wieder. Hier ist er finster, egoistisch, unbekannt mit seinem Hauswirt, hält sich abgesondert, bleibt aber nichtsdestoweniger Sklave, verkennt den, dessen Freistatt er beschützt, frißt, ohne Abscheu, seinen Leichnam. ...

Den 16. morgens begleitete ich den General beim Rekognoszieren. Er untersuchte alle Forts. Sie bestanden aus Ruinen von schlechter Bauart, wo elende Kanonen auf Steinen lagen, die ihnen zu Lafetten dienen. ... Wir kamen nahe bei der Säule des Pompejus vorbei. Es ist mit diesem Monument, wie fast mit allem, was einen großen Ruf hat, es verliert, sobald man sich ihm nähert. ... Grübe man in dieser Gegend nach, so würde sich auch der Umfang der Stadt zu den Zeiten der Ptolemäer bestimmen lassen, wo der Handel und ihr übriger Glanz sie über den ursprünglichen Stadtkern hinauswachsen ließ und sie sich unermeßlich ausdehnte. Die Stadt der Kalifen, die noch da ist, war dagegen schon sehr verkleinert, ungeachtet selbst diese Felder und Wüsten einschließt. Ihre ganze Umwallung wurde von Trümmern erbaut, denn ihre Gebäude erinnern alle an Umsturz und Zerstörung. Die Einfassungen zur Seite und oben an den Toren ihrer Mauern und ihrer Festungen bestehen aus Säulen von Granit, und man hat sich nicht einmal die Mühe genommen, sie in der Art zu formen, als man sie brauchte; sie scheinen dort nur zurückgeblieben zu sein, um die Pracht und die Größe der Gebäude, deren Trümmer sie sind, zu beweisen. Manchmal hat man die ungeheuren Säulen zum Bau der Mauern mit verwandt. Besonders die Türken haben Unverstand und Entheiligung miteinander verbunden, und Granit und Mauersteine und Kalksteine, ja sogar Bohlen und Bretter und hundert andere Dinge, die weder zusammengehören noch passen, untereinander gemischt, und dadurch die sonderbarste Vereinigung veranstaltet.

Indem wir von der Säule nach der neueren Stadt zurückkehrten, kamen wir durch die Ansiedlung der Araber, oder vielmehr durch das, was sie mit ihrer Mauer umzogen haben; denn es ist jetzt im Grunde eine Wüste, worin sich Ringmauern befinden, die während der Überschwemmungsgefahr Gärten enthalten. An jeder Gartentür findet sich ein Beweis rührenden Mitleidens, Wasserbehältnisse nämlich, die eine Pumpe sogleich anfüllt, sobald man sie in Bewegung setzt, und die des vorübergehenden Reisenden höchstes Bedürfnis dieses brennenden Klimas, Löschung des Dursts, befriedigen.

Man findet von Zeit zu Zeit solche Zisternen, die miteinander in Verbindung stehen, und deren Öffnungen mit einer Basis oder mit einem Kapitäl einer hohlen antiken Säule bedeckt sind, die ihnen als Einfassung dient. Der große Fischteich oder Wasserbehälter von Alexandrien ist eins von den großen Altertümern der mittleren Zeit Ägyptens und eins der schönsten Denkmäler dieser Art, sowohl wegen seiner Größe als wegen seiner weisen Einrichtung. Zwar ist ein Teil davon verdorben, und ein anderer bedarf der Ausbesserung, aber dennoch enthält er Wasser genug, um Menschen und Vieh zwei Jahre lang zu ernähren. Wir kamen nur einen Monat früher an, ehe sich das Wasser darin wieder erneuerte, aber dennoch fanden wir es sehr frisch und gut. Eine rötliche Ruine zog unsere Aufmerksamkeit auf sich; die Katholiken nennen sie das Haus der gelehrten heiligen Katharina, die das Jesuskind 400 Jahre nach seinem Tode heiratete. Die Bauart der Ruine ist römisch, die Kanäle, die mit Stalaktiten überzogen sind, geben zu erkennen, daß es warme Bäder waren.

Dann kamen wir zum sogenannten Obelisk der Kleopatra. Ein anderer, der nahe dabei umgestürzt liegt, gibt zu erkennen, daß beide einen Eingang des Palastes der Ptolemäer verschönten, von dem man die Ruinen nur wenige Schritte weit sieht. ... Ich beobachtete das sarazenische Monument, das nicht weit davon liegt, und fand, daß sein Fuß zu einem griechischen oder römischen Gebäude gehört haben mußte, denn man unterscheidet noch die Kapitäle der dorischen Säulen, deren Schäfte sich unter der Oberfläche des Meeres verlieren. Strabo versichert, daß die Wellen am unteren Teil des Palastes der Ptolemäer anschlugen; ich möchte deshalb sagen, diese Trümmer können zu gleicher Zeit den Bericht des Strabo bewahrheiten und die Lage des Palastes angeben. Wenn man am Rande des Meeres bis tief in den Hafen zurückgeht, findet man Trümmer von Gebäuden aller Zeit, die die Wellen und die Jahrhunderte gleich mitgenommen haben. Ihre ungeheure Anzahl beweist die große Pracht der Paläste, die sie einst schmückten. Hat man den Hafen hinter sich gelassen, so findet man große sarazenische Gebäude, die einzelne prächtige Teile und eine Mischung von Geschmack in sich vereinigen, welche den Beobachter in Erstaunen setzen. Gesimse mit dorischen Triglyphen geschmückt, über welchen Gewölbe mit Eselsrücken sich hinstrecken, lassen vermuten, daß diese Gebäude aus antiken Fragmenten erbaut wurden, die die Sarazenen mit dem Geschmacke ihrer Bauart mischten. ... Hinter dieser Art von Festung liegen arabische warme Bäder, mit mannigfaltigen einzelnen Prachtstücken verziert. ...

Neben diesen Bädern findet sich eine der wichtigsten Moscheen, einst eine der ersten Kirchen unter dem Namen des heiligen Athanasius. Dieses Gebäude, das zerfallen und prächtig zugleich ist, zeigt die Sorglosigkeit der Türken, selbst für Gegenstände, die ihnen nahestehen, sehr deutlich. Vor unserer Ankunft durfte kein Christ sich dieser Moschee nähern, aber statt die Türen auszubessern, stellten sie lieber noch eine Wache mehr davor. So wie wir diese Türen fanden, schlossen sie weder noch konnten sie sich drehen. ..."

Am 9. Juni 1815 traf Giovanni Belzoni, Abenteurer, Erfinder und "Archäologe", in Alexandria ein (Anm. 3):

"Bei der Einfahrt in den Hafen von Alexandria erfuhren wir von dem Lotsen, daß die Pest in der Stadt wüte. Für einen Europäer, der noch nie in diesem Land gewesen war, eine wahrlich beunruhigende Nachricht. Da ich einige Informationen über den Stand der Seuche haben wollte, blieben wir bis zum nächsten Tag an Bord und warteten. Zwei Europäer, die sich uns mit einem Boot seitwärts näherten, ließen uns wissen, daß die Pest im Rückgang begriffen sei. Daraufhin begaben wir uns an Land, wenn auch mit großer Vorsicht, da wir auf dem Weg zur französischen Niederlassung, wo wir in Quarantäne bleiben sollten, die Stadt durchqueren mußten. Glücklicherweise nahte der Johannistag, der 24. Juni, an dem die Pest aufhören sollte. Abergläubige Menschen schreiben dies dem Heiligen selbst zu; aber es ist auch bekannt, daß extreme Hitze die Seuche ebenso hemmt wie die kalte Jahreszeit. Ich selbst habe beobachtet, daß die Pest bei gemäßigter Sommerhitze länger anhielt, wohingegen sie bei lang anhaltender Kälte später einsetzte.

Die Notwendigkeit, sich in eine Art freiwilliges Gefängnis zu begeben; die Vorsicht, die wir walten ließen, weder irgendeine Person anzufassen noch Berührungen jedweder Art zu dulden; die strikte Order, alles, was wir von außerhalb erhielten, kontrollieren zu lassen; die starken Duftstoffe, mit denen wir permanent beschenkt wurden, um, wie man sagte, der Pest vorzubeugen – all diese Sitten waren äußerst befremdlich für einen Neuling. Wir mußten in unserem Zimmer bleiben, und für drei bis vier Tage näherte sich uns keine Menschenseele. Wir waren in der Tat krank; aber ich war vorsichtig genug, das niemanden wissen zu lassen, denn die Pest ist eine derart furchtbare Geißel, die so mächtig auf die Ängste und Vorurteile der Menschen einwirkt, daß bei jeder beliebigen Erkrankung mit Selbstverständlichkeit davon ausgegangen wird, man leide an der Pest. Und wenn die betreffende Person stirbt, muß sie an der Pest gestorben sein. Es wird nicht nachgefragt, und Untersuchungen gibt es keine. Hätten die Bewohner der Siedlung also Kenntnis von unserem Unwohlsein erhalten, wären sie unweigerlich zu dem Schluß gekommen, daß wir uns beim Durchqueren der Stadt die Pest zugezogen haben mußten. Das ganze Viertel wäre entsetzt gewesen, den grausamen Feind innerhalb der Tore zu wissen.

Diese Siedlung ist eine aus mehreren Häusern bestehende Anlage in quadratischer Form. Als Eingang gibt es nur ein großes Tor, das zu einer von allen benutzten Treppe führt, von der aus eine Galerie die einzelnen Häuser miteinander verbindet. In Pestzeiten sind die Bewohner der Häuser gezwungen, sich ohne jede Berührung miteinander in Verbindung zu setzen: Keine Vorräte kommen hinein, ohne nicht vorher in Wasser getaucht zu werden; Brot darf auch nicht angefaßt werden, solange es noch warm ist. Man steckt sich sehr leicht an; ein vom Wind herangetragenes Staubkorn reicht aus, um das ganze Land zu infizieren. Wäre es bekannt geworden, daß wir krank waren, hätte sich uns niemand zu nähern gewagt, mit Ausnahme der Araber, die in Krankheitsfällen unterschiedslos zu jedem gehen und auf diese Weise die Krankheit verbreiten helfen. Viele sterben als Opfer der Nachlässigkeit, weil jede Krankheit für die Pest gehalten wird. Andere sind Opfer der scheußlichen, eigennützigen Absichten von Verwandten, die sich nicht scheuen, selbst Gift anzuwenden, um durch einen Todesfall zu profitieren. Da keinerlei Untersuchungen durchgeführt werden, lautet die allgemeine Schlußfolgerung, was immer die Krankheit gewesen sein mag: 'Er starb an der Pest'.
Nach dem 24.  Juni, dem Johannistag, war die Seuche fast vollständig abgeklungen. ..."

Während Heinrich von Minutoli 1820 Siwa erforschte, blieb seine Gattin Wolfradine in Alexandria. Sie erinnert sich an das Alexandria in den frühen Jahren der Herrschaft Mehmet Alis (Anm. 4):

"Die Europäer bewohnen in Alexandria, wie in allen anderen Städten im Osten, ein von den Türken abgesondertes Stadtviertel. Die Straße der 'Franken' ist die feinste und breiteste in dieser Stadt, und zugleich viel leiser als die anderen. Die Häuser sehen europäisch aus, obwohl sie in der Art der Levante gebaut sind, und man findet dergleichen nicht an anderen Orten in Ägypten. Die anderen Straßen sind sehr eng und voll mit Kaffeehäusern und Bazaren. Die Zahl der Kamele und Esel, die sowohl zum Reiten als auch für den Transport von Waren und Wasser in die Stadt benützt werden, ist erheblich. Das nicht bebaute Land in der Umgebung von Alexandria ist fast unfruchtbar, und so muß alles von weit her gebracht werden. Die Inseln der Ägäis, Rosetta und das fruchtbare Land des Nildeltas versorgen die Stadt mit dem Notwendigen, und der laufende Handelsverkehr mit Europa liefert die Luxusartikel. Die Arbeiter hierzulande sind sehr faul, so daß fast alles Mobiliar aus Marseille und Locarno herangeschafft werden muß."

Hermann Fürst von Pückler-Muskau, der berühmte Reisende, stattete 1837 Alexandria einen Besuch ab (Anm. 5):

"Ich bat nur um einige Zeit, das Chaos meiner Sachen auf dem Schiffe zu ordnen, und als ich nach einer halben Stunde am neuen Quai ans Land stieg (ohne irgend eine Belästigung der dienstbeflissenen Populace zu empfinden, wie sie zum Beispiel in Algier und mehreren anderen Hafenstädten so peinlich wird), fand ich bereits einen eleganten englischen Wagen, mit zwei arabischen Pferden bespannt, und mehrere riesige Kamele zum Transport meiner Effekten vor. Sehr zufrieden, wieder festen Boden unter mir zu fühlen, sprang ich eilig in die Britschka und rollte im raschen Trabe durch die engen Gassen des noch türkisch gebliebenen Teiles der Stadt, mit seinem ebenso bunten als schmutzigen Gewühl, seinen roten, weißen und grünen Soldaten mit blitzendem Gewehr und seinen orientalischen Schichten von Gestank und Wohlgerüchen. So gelangte ich bis zum Frankenquartier, dessen reinliches Ansehen und seine ganz im europäischen Stil erbauten Paläste jede Stadt unseres zivilisierten Weltteils zieren würden, obgleich ein Teil des Bodens, auf dem sie stehen, erst kürzlich dem Meere abgewonnen wurde.

Mein erstes Geschäft nach Beseitigung der gesellschaftlichen Pflichten war natürlich, die wenigen Überreste aus alter Zeit zu besichtigen, die Alexandrien noch aufzuweisen hat. Nur weit sich zwischen dem Meer und dem See Mareotis hinstreckende Hügelreihen von Schutt, die Jahrtausende gebildet, sind von so vielen vergangenen Herrlichkeiten und einer Stadt mit 600.000 Einwohnern übriggeblieben, welche lange als die zweite der Welt angesehen wurde und es vielleicht wieder einmal werden kann. Doch mag man in diesem Gewirr noch deutlich die Lage jener Hauptstraße erkennen, welche vom Canopäischen Tore bis zur Nekropolis, dreißig Stadien lang, von Ost nach West führte. Viele Säulen, die längs derselben noch vor zehn Jahren standen, wurden seitdem niedergerissen und zum Teil beim Bau des Arsenals verwandt. Von der zweiten prachtvollen Straße, die jene erwähnte vom Tor der Sonne nach dem des Mondes durchkreuzte, ist selbst die Spur verschwunden, und nur die sogenannte Pompejussäule, die Nadeln der Kleopatra und die Katakomben verdienen einen Besuch. Sie sind sämtlich so unzählige Male beschrieben worden, daß ich sie mit weniger Worten abfertigen kann. Ich besah sie auf einem unterhaltenden Spazierritt in Gesellschaft des Herrn Lesseps, des eleganten Konsuls Frankreichs, und eines jungen Arztes, Herrn Aubert, der sich während der letzten Pest- und Choleraepochen durch seine Intrepidität und Geschicklichkeit viel Ehre hier erwoben hat. Er versicherte uns, daß er den Tod des Pestkranken für einen der angenehmsten halte, denn wenig Schmerz und heitere Phantasien führen den Kranken sanft hinüber in das unbekannte Land. Übrigens verläßt die Pest Alexandria fast nie ganz, und auch jetzt ereigneten sich stets mehrere Fälle dieser Art, obgleich die eigentliche Epidemie längst aufgehört hat. Glücklicherweise ist die Pest von allen ansteckenden Krankheiten diejenige, deren man sich durch Vorsicht am leichtesten erwehren kann; weit fürchterlicher in jeder Hinsicht erscheint ihre grausame Schwester, die Cholera.

An den Nadeln der Kleopatra (ein hyperpoetischer Name!), worunter man zwei Obelisken aus rosafarbenem Granit versteht, von denen der eine umgeworfen ist, und die vereint einst vor dem Tempel Cäsars standen, fiel mir die gewaltige Wirkung der Witterung in einem so günstigen Klima auf, welche an der Ostseite des noch aufrecht stehenden Obelisken die über einen Zoll tief eingemeißelten Hieroglyphen fast ganz zerstört hatte, während die Schrift an der westlichen Seite noch wie neu erscheint. Inmitten der kahlen, hohen Schutthaufen, wo sich diese Nadeln befinden, machen sie nur wenig Effekt, obgleich ihre Massen von achtzig Fuß Länge aus einem Stück an sich ansehnlich genug sind. Schade, daß ihre Versetzung heutzutage zu viel Schwierigkeiten macht, um sie so leicht zu neuen Zwecken anzuwenden. ...

Die Säule des Pompejus, jetzt dem Diocletian zugeschrieben, gewährt von ihrer Spitze ein interessantes Belvedere auf Wüste, Meer und Stadt, und ihr an fünfzig Fuß hoher Schaft aus poliertem Granit von ägyptischer Arbeit ist schön, das übrige von den Römern Hinzugefügte barbarisch, und die kahle nähere Umgebung desolat, überdies rund umher so voll Rattenlöcher, daß das schnelle Reiten darüber wahrhaft gefährlich wird, wovon wir ein Beispiel erlebten.

Die Katakomben nebst den lächerlicherweise so getauften 'Bädern der Kleopatra', kleinen Felskammern, die das Seewasser anfüllt und die vielleicht zum Waschen der Leichen dienten, aber gewiß keine Bäder waren, sind es kaum wert, daß man sich der Unbequemlichkeit ihrer Durchkriechung unterzieht. Sie haben viel Ähnlichkeit mit denen von Milo und wenig Ägyptisches, noch weniger etwas durch Kunstwert Ausgezeichnetes, obgleich zuweilen europäische Kleinstädter auch hier in Ekstase geraten zu müssen glauben. Dem Fallah, welcher uns mit einem Bündel Kienholz vorleuchtete, ging diese Leuchte aus, und wir mußten lange bei erstickender Hitze in der Dunkelheit verweilen, ehe er den Ausweg gefunden hatte, um eine neue Fackel zu holen."

Antoine Barthélmi Clot, 1799—1867, Gründer des Krankenhauses von Abu Sabel nördlich von Kairo, hat uns eine interessante Schilderung über die ausländischen Kolonien im Alexandria des Jahres 1840 hinterlassen (Anm. 6):

"Im ganzen Orient werden die Untertanen der christlichen Staaten 'Franken' genannt. In Ägypten gibt es etwa 6.000. Die vornehmste Gruppe sind die Konsuln und ihre Kanzler und Konsulatsbeamten. Die Generalkonsuln residieren in Alexandrien. Folgende Mächte sind durch Generalkonsuln vertreten: Frankreich, Rußland, Österreich, England, Preußen, Spanien, Schweden, Sizilien, Sardinien, Holland, Belgien, Dänemark, Toskana. Die Portale der Generalkonsulate sind mit den Staatswappen geschmückt, auf den Dächern flattern die Nationalflaggen. ... Die Generalkonsuln in Alexandrien unterscheiden sich von denen der Levante. Die außenpolitische Bedeutung Ägyptens unter Mohammed Ali macht die Stellung der Generalkonsuln einer Großmacht beim Vizekönig zu einem der wichtigsten diplomatischen Posten. Die Generalkonsuln Frankreichs, Englands, Rußlands und Österreichs sind wirkliche Botschafter. Sie unterhalten enge Beziehungen zum Vizekönig, überreichen ihm die Mitteilungen ihrer Regierung und behandeln wichtige politische Fragen mit ihm. Der Generalkonsul steht an der Spitze der 'Kolonie' seiner Landsleute. Er regiert sie entsprechend den Bestimmungen der Kapitulationen mit dem Osmanischen Reich. Er spricht Recht in Zivil- und Strafsachen, unterstützt von den Vertretern seiner Nation, die von den Notabeln benannt werden. An Festtagen und bei Zeremonien erscheint der Generalkonsul, angetan mit den Zeichen seiner Würde und umgeben von den gewählten Vertretern, in der Öffentlichkeit. ..."

Die österreichische Weltreisende Ida Pfeiffer besuchte am 17. August 1842 Alexandria (Anm. 7):

"... Ich packte meine Sachen zusammen, bestieg einen Esel und ritt zu 'Colombier', einem der besten Gasthöfe in Alexandria. Durch einen kleinen Umweg kam ich an den 'Nadeln der Cleopatra' vorbei, zwei Obelisken aus Granit, deren einer noch aufrecht steht, der andere in einer kleinen Entfernung im Sand liegt. Wir ritten durch ein elendes, jämmerlich aussehendes Dorf; die Hütten waren zwar aus Steinen zusammengefügt, aber so klein und niedrig, daß man kaum glauben sollte, ein Mensch könne darin aufrecht stehen. ... Ich ritt nun auf der sandigen Ebene, auf welcher ganz Alexandria gebaut ist, fort und befand mich plötzlich, ohne früher durch eine Gasse zu kommen, auf dem großen Platz ... da standen lauter große, wunderschöne Häuser mit hohen Pforten, mit regelmäßigen Fenstern und Balkonen wie in Europa, da rollten Equipagen. ... Kaum im Gasthof angelangt, eilte ich auf das österreichische Konsulat, wo mich Herr Gubernialrath von L. sehr gütig aufnahm."

1850 war Alexandria für Gustave Flaubert die erste Station seiner Ägypten-Reise (Anm. 8):

"Alexandria. – Große Stadt, mit dem Platz der Konsuln, ein Mischmasch, halb arabisch, halb europäisch. – Herren in weißen Beinkleidern und Tarbusch. ... Am Abend unserer Ankunft ein Zug von Leuten mit Laternen durch die Straßen; Kinder geben uns leichte Stockschläge gegen die Beine. Am folgenden Tage Fest einer Beschneidung: ein Kamel, mit goldenen Piastern behangen, alle Gewerbe vertreten, ein beweglicher Phallus. – Besichtigung der Nadeln der Kleopatra, die eine noch aufrecht, die andere auf der Erde liegend, rechts von der Stadt bei einem Wachthaus.

Pompejus-Säule: Monolith mit prächtigem korinthischem Kapitäl; auf den Sockel ist der Name 'Thompson of Sunderland' in drei Fuß großen Buchstaben mit schwarzer Farbe geschrieben; die Gräber haben die graue Farbe des Bodens, ohne das geringste Grün.

Bäder der Kleopatra: Kleine Meeresbucht mit Grotten zur Linken. Alle Farben spielten durcheinander, der Rand der Felsen im Wasser war rot, als wenn dort Weinhefe verstreut wäre; ein Araber ging mit bloßen Füßen und sein Gewand aufkrempelnd bis an die Knöchel ins Wasser und schabte mit einem Messer ein Hammelfell rein. Die Sonne glühte auf das Ganze herab, ich stand stumm dabei. Rückkehr zu Stadt, wir galoppieren auf unseren Eseln. – Einige Beduinen der Libyschen Wüste in ihren grauen Umhüllungen.

Halt bei einem Café am Mahmudije-Kanal, wir essen Zwiebäcke. – Erstes türkisches Bad, düsterer Eindruck: man glaubt, man wird einbalsamiert. ..."

Im Jahr 1853 kam der Südtiroler Missionar Josef Gostner, unterwegs zur "Katholischen Mission für Zentralafrika" in Khartoum, in Alexandria an (Anm. 9). Seine Schilderung setzt die Schwerpunkte etwas anders:

"... Eigentlich hat Alexandrien nur einen schönen Platz, wo nämlich die fremden Konsuln ihre Wohnungen, respektive Paläste haben, und an Festtagen oder bei großen Festlichkeiten die Nationalfahnen hoch am Giebel lustig flattern. Sonst findet man wenig ordentliche Häuser, sondern die miserabelsten Lehmhütten, wo man in Europa kein Schwein hinjagen möchte. Mit der Wohnung dieser Leute steht Einrichtung und Kleidung u.s.w. im vollsten Einklange. Welch ein Schmutz! welch eine Armut, wogegen der lumpigste Bettler in Tirol ein wahrer Herr ist! Und in den Moscheen (Türkischen Bethäusern), da schaut's aus! Daß Gott sich erbarme! Keine Statue, kein Bild, kein Wort Gottes, leer und öde wie in einem Gefängnisse! Und da soll dieses ungebildete höchst rohe Volk ohne alle Hilfsmittel seinen Geist zu Gott erheben – beten. – Wenn man so was sieht, lernt man erst recht den katholischen Gottesdienst schätzen. ...

Am 10., 12. und 13. September feierten die Herren Moslems ihr Beiramfest, wo sie haufenweise den Friedhof besuchten und da auf den Gräbern herumkrochen und für ihre Toten beteten, aber so langweilig und schläfrig, daß ich mit Ärger davon ging, obwohl mir sonst der zahlreiche Besuch der Gräber sehr gefiel. Also auch sie stellen sich eine Art Reinigungsort vor. Sonderbare Grimassen machen diese Leute, wenn sie einen Toten auf den Friedhof tragen. Voraus gingen bei einem Zuge, den ich sah, eine Rotte Spitzbüblein, die tobten und lärmten. Dann kamen einige Männer in etwas anständigerer Haltung, die selbst für meine Ohren, die eben nicht fein gebildet sind, etwas zu unharmonisch sangen und psallierten. Hierauf erschienen die Träger, daneben ein Mann, der scheue Blicke herumwarf und bald hin und her wurf, als gelte es, Fliegen zu verjagen; dies galt aber nicht den Fliegen, sondern den bösen Geistern. Hintendrein ziehen die Klageweiber, die einen Höllenlärm machen. In früheren Zeiten sei der Spektakel noch viel ärger gewesen. Der alte Mehmet Ali wußte zu helfen. Wenn nämlich ein solcher Leichenzug, so erzählten mir die Franziskaner, gegen ihre Kirche heran kam, so taten die Leichenträger wie Ochsen, die erst ziehen lernen, oder wie stätige Rosse; sie zogen und schoben seitwärts und rückwärts und behaupteten, der Tote wolle durchaus nicht vorbei an der Kirche der Ungläubigen (Katholiken), und dadurch suchten sie die übrigen gegen alles Katholische aufzureizen. Mehmet Ali aber, von dem sich überhaupt viele Begünstigungen für Europäer herschreiben, stellte eine paar handfeste Gerichtsdienster mit Peitschen hin, und wenn der Tote nicht vorwärts wollte, so mußten es die Träger mit Schlägen büßen...."

Der rumänische Jude J.J.Benjamin, der um 1854 durch Alexandria kam, richtete sein Augenmerk auf seine Glaubensbrüder (Anm. 10):

Eliahu-Hanabi
Die Eliahu-Hanabi-Synagoge

"In Alexandrien bestehen zwei jüdische Gemeinden, deren eine von den Eingeborenen, die andere von Italienern gebildet wird. Die afrikanische Gemeinde besteht aus etwa 500 Familien, die italienische aus etwa 150 Familien, beiden steht indes ein und derselbe Chacham vor. Er heißt Rabbi Salomo Chasan, ist aus Zephat gebürtig, ein reicher und gebildeter Mann, der nicht allein bei unseren Glaubensgenossen, sondern auch bei dem Vicekönig und den Consuln der europäischen Mächte in großem Ansehen steht. Jede Gemeinde hat ihre besondere Synagoge; die der Afrikaner ist ein großes altertümliches Gebäude, von Steinen gemauert, neben derselben stehen mehrere Gebäude, in denen die durchreisenden Juden aufgenommen und beherbergt werden. Die italienische Synagoge liegt in einer anderen Straße, sie ist ein gewöhnliches einstöckiges Haus. Die afrikanische Gemeinde baut jetzt eine neue Synagoge bei der Stadt, ein sehr großes und kostbares Bauwerk, und sie behauptet, daß an diesem Platze vor Jahrhunderten schon die Juden gewohnt hätten. Die Synagoge liegt in einem merkwürdigen prachtvollen Garten, dem schönsten wohl, den es in Alexandrien und beinahe in ganz Ägypten gibt, Palmen, Datteln, Granatäpfel, Ethrock (d.i. die Frucht Hadar), viele der schönsten und der seltensten Blumen schmücken ihn.

Von den Verhältnissen der Juden in Ägypten und von ihren Beschäftigungen werde ich am Schlusse sprechen, und werde jetzt nur auf eine mir aufgefallene Sonderbarkeit verweisen. – In Alexandrien fand ich im Hause eines angesehenen afrikanischen Juden, den ich einmal am Sabbath besuchte, in einem Zimmer einen großen gepolsterten Divan, über welchem ein einziges eben so großes Deckbette gelegt war. Unter dieser einen Decke schlafen in friedlicher Eintracht die sämtlichen verheirateten Familienglieder mit ihren Frauen, jedes Paar in einer besonderen Ecke des Divans ruhend. ... Ich wohnte während meines Aufenthaltes in Alexandrien bei einem Bankier, Chaim Musero, der auf europäischem Fuße lebte und auch häuslich so eingerichtet war. ..."

Aus dem Jahre 1867 hat uns Mark Twain (Anm. 11) eine Schilderung Alexandrias hinterlassen:

" ... näherten wir uns Ägypten, und aus dem zartesten Sonnenuntergang heraus sahen wir die Kuppeln und Minarette von Alexandria ins Blickfeld steigen. ... Als wir den Kai erreichten, fanden wir eine Armee ägyptischer Jungen vor, die mit Eseln, nicht größer als sie selbst, auf Fahrgäste warteten – denn Esel sind die Omnibusse Ägyptens. ... Wir fanden das Hotel, sicherten uns Zimmer und freuten uns zu erfahren, daß der Prinz von Wales einmal dort abgestiegen war. Man hatte es überall auf Schildern vermerkt. ... Dann schlenderten wir durch die Stadt und stellten fest, daß es eine Stadt mit großen Geschäftsgebäuden und breiten, schönen Straßen war, die von Gaslicht erhellten. Nachts erinnerte es in gewisser Weise an Paris. Am Morgen kamen die verlorenen Stämme Amerikas an Land, suchten die Hotels heim und nahmen alle Esel und anderen offenen Landauer in Beschlag, die sich anboten. Sie zogen in malerischer Prozession zum amerikanischen Konsul; zu den großen Gärten; zu den Nadeln der Kleopatra; zur Pompejussäule; zum Palast des Vizekönigs von Ägypten; zum Nil; zu den prachtvollen Hainen von Dattelpalmen. ... Alexandria glich allzusehr einer europäischen Stadt, um neuartig zu sein, und wir wurden seiner bald müde."

Carl Ritter von Gsiller, von 1871—1874 und 1882—1887 k.u.k. Konsularbeamter in Ägypten, erinnert sich an seinen neuen Dienstort Alexandria (Anm. 12):

" ... Die ersten Wege in Alexandrien waren mir kaum erfreulich; – eine ganz moderne europäische Stadt, fast ohne Denkmale des Altertums, ohne Werke der Kunst, die weißen Mauern und flachen Dächer von einer glühenden Sonne überbrütet, ohne Abwechslung, ohne Linderung für viele Monate.

Der amerikanische Bürgerkrieg, erst seit einigen Jahren beendigt, hatte für Ägypten als Baumwolland einen Aufschwung herbeigeführt; Geld war reichlich im Umlauf, und es fehlte nicht an Prozessen, für welche zahlreiche Advokaten zur Verfügung standen, meist Italiener, auch Franzosen und Levantiner, einige Österreicher, einzelne Ungarn. Vielleicht wäre nur der geringste Teil im eigenen Lande zur Ausübung der Advokatur berechtigt gewesen; bei den Konsulargerichten nahm man es aber nicht so genau und ließ jeden zu, der sich in dieser Eigenschaft einführte. Manche, die mit anderen Plänen gekommen waren, ergriffen diesen Beruf als einen Notbehelf.

Französisch und Italienisch waren bei allen Konsulargerichten zulässig oder üblich; nicht wenige Advokaten beherrschten beide und auch andere Sprachen und wußten sich mit großer Leichtigkeit in den verschiedenen Gerichtsordnungen und Gesetzgebungen zurechtzufinden. ... Ich fand mich bald darein, italienisch zu amtieren. ...

Von allen fremden Kolonien in Alexandrien war die griechische die stärkste und reichste. Noch zu Mohamed Alis Zeiten soll sie auch gefährliche Elemente enthalten haben, deren man sich, wie mir oft erzählt wurde, von Zeit zu Zeit in summarischer Weise entledigte. Wenn man ihrer genug in den Gefängnissen hatte, packte man sie auf ein altes Schiff, um sie auf hoher See zu versenken. ... Franzosen waren im Bankfache tätig, weniger im Großhandel; die beiden großen Warenhäuser, Cordier und Courtalon, waren französisch. Die deutschen Kaufleute, meist Kommissionäre in Baumwolle, hielten auch gesellschaftlich zusammen und besaßen einen Verein, der manche Feste veranstaltete. ... Österreichische Handelsfirmen waren etwas zahlreicher als die italienischen, Engländer fanden sich eher vereinzelt. ... Die großen Hotels waren in italienischen und französischen, kleinere Restaurants in griechischen, die Bierhäuser in österreichischen Händen. Diese bezogen ihren Vorrat aus Triest, meist nur auf eine Woche, und wenn die Einfahrt des Lloyddampfers durch widriges Wetter zuweilen um Tage verzögert wurde, sah man durstige Deutsche von einer der sonst gastlichen Stätten zur andern eilen, ob nicht doch noch ein Tropfen vorhanden sei. Viele Dalmatiner fanden ein Unterkommen; die verschiedenen Banken nahmen sie gerne, ihres Mutes und ihrer Zuverlässigkeit wegen, als Diener und Wächter. ...

Vom unteren Ende des Platzes Mohammed Ali gelangte man bald in das arabische Viertel, wo die Straßen ungepflastert, die Fenster vergittert waren, das nichts vom Zauber des Orients hatte und allem Anschein nach meist von geringeren Leuten, darunter auch eingesprengten Europäern, bewohnt war. Dort befand sich auch das Gouvernorat, mit welchem wir zu verkehren hatten. Auf diesem Wege erreichte man den Hafen, wie auch das vizekönigliche Schloß Ras-el-Tin, das dem Einfahrenden beinahe zuerst in die Augen fiel. Hervorstechende Erscheinungen waren die oft prächtig gekleideten Kawassen der Konsulate, noch mehr die Sais, welche den Equipagen vorausliefen, schlanke Leute in leichter, durchaus graziöser Bewegung, ihren Stab tragend, gleich dem Attribute eines mythologischen Wesens. Waren die Kawassen zum Teil Türken, so waren jene immer Fellahs, deren schlanker Bau den Figuren der alt-ägyptischen Denkmale entsprach. ..."

Mohamed Ali-Platz
Mohamed Ali-Platz 1881
aus: Dr. Oppel, Das alte Wunderland der Pyramiden

"Auch die Stadt fand nun eine gerechtere Beurteilung. Vor allem war der Platz Mohammed Ali denn doch einer der größten, die man sehen konnte. Er bildet ein längliches Rechteck und umschließt einen zweiten, verjüngten Platz, nur dem Fußgänger offen, wo zu beiden Seiten lange Alleen von Nilakazien sich hinziehen. Zwischen ihnen erhebt sich, allen mohammedanischen Traditionen entgegen, die Reiterstatue des Gründers der regierenden Dynastie. Von ihr empfing der Platz seinen neuen Namen; doch wurde er damals noch allgemein Place des Consuls genannt. Ebenso konnte ich der stattlichen Scherifstraße wie der Straße gegen Rosette, mit ihren Gärten und ansehnlichen Häusern, darunter das Theater Zizinia, eine gewisse Anerkennung nicht länger versagen. Dort hinaus bis zum Canale Mahmudié bewegte sich an Sonn- und Feiertagen der Corso; man zeigte sich in Equipagen und Mietwagen. ... Längs des Kanales, nur durch die Straße von ihm getrennt, reihte sich schier unabsehbar Garten an Garten; in einem, der offen stand, spielte die Militärmusik. ...

Dicht an die Stadt gegen Osten dehnte sich Ramleh aus, eine Sandwüste mit einzelnen, regellos verstreuten, gartenumgebenen Landhäusern, nicht zwei unmittelbar nebeneinander, weiß und grüne Flecke im weiten blinkenden Sande. Kaum gab es hie und da ausgetretene Wege. Eine kleine Eisenbahn mit sechs Haltestellen führte bis ans Ende der Niederlassungen; die einzelnen Stationen waren nach den ersten Ansiedlern benannt: Mustapha Pascha, Bulkeley, Fleming, Bacos, Sefer, Schütz. ...

Spaziergänge führten mich vor das Rosette-Tor; nicht selten hörte ich das Spottlied arabischer Kinder hinter mir her oder aus den offenen Fenstern niedriger Schulen, an denen ich vorbei kam. Der Christ wurde darin als bellender Hund angerufen, aber in der fremden Sprache berührte der Sinn nicht unmittelbar. Es hatte nur zwei gereimte Zeilen, klang harmlos und vergnüglich, seine Kadenz, von der milden Luft getragen, schmeichelte sich ins Ohr. ..."

Kronprinz Rudolf von Österreich-Ungarn besuchte 1881 Ägypten (Anm. 13). Er erinnert sich in "Eine Orientreise":

"Als wir den Wellenbrecher passiert hatten, entrollte sich vor uns ein sehr eigentümliches Bild. Die Batterien salutierten, desgleichen die türkischen Kriegsschiffe Mehemet-Ali, Makkarosa und die Yacht des Khedive. ... Mehrere österreichische Lloyddampfer prangten in der vollen Flaggengala. Der Hafen war dicht gefüllt mit Schiffen, alle geschmückt; die große Flagge des türkischen Kaiserreiches, der weiße Halbmond mit dem Sterne im blutigroten Felde, neigte sich zum Gruße. Der Wasserspiegel wimmelte von Booten, in denselben saßen Araber aller Klassen, Arme und Reiche, doch ohne Unterschied malerisch drapiert, schöne charakteristische Gestalten, auch viele Leute in Zivilkleidung konnte man bemerken; Levantiner, Griechen, Italiener und Juden, mit oder ohne Fez am Kopfe. In mehreren kleinen, aufs schönste decorierten Dampf-Mouchen kamen uns die Mitglieder der österreichisch-ungarischen Kolonie entgegen; eine Musikbande intonierte die Klänge des 'Gott erhalte'; viele Dalmatiner, in den weißen und grünen schönen Trachten der Täler der Bocche di Cattaro, den waffenstrotzenden Pas um die schlanke Gestalt gewickelt, schwangen unter Zivio-Rufen ihre Mützen; sie bildeten einen merkwürdigen Kontrast, als christliche Orientalen neben den ebenfalls farbenprächtigen Orientalen des Islams. Kaleidoskopartig bewegte sich das Gemenge von Flaggen, Farben, Kostümen und Uniformen auf unzähligen Fahrzeugen um uns herum; schon lange lagen wir an der Boje, als die Leute uns noch neugierig umschwirrten. Gar bald erschien General-Consul Baron Schäffer mit den Beamten des österreichischen Konsulates an Bord der Miramar; nach kurzer Begrüßung mußten wir die auf schönen Galabooten heranfahrenden Würdenträger empfangen. An ihrer Spitze stand Mustapha-Pascha, der Minister des Äußern, den sein Herr von Kairo zu unserer Begrüßung hierher gesandt hatte. ..."

Ankunft des Kronprinzen
Ankunft des Kronprinzen Rudolf in Alexandria 
aus: Kronprinz Rudolf, Eine Orientreise vom Jahre 1881

"Als die ägyptischen Honoratioren sich wieder entfernt hatten, kam die österreichische Kolonie. Nebst mehreren Dalmatinern, die bei großen Bankhäusern angestellt sind, waren auch auffallend viele Österreicher aus allen Teilen der Monarchie anwesend, doch weitaus den größten Teil der Kolonie bilden Nicht-Österreicher von Geburt, Levantiner aller Art, die sich der Sicherheit der Geschäfte wegen und besonders, Dank dem Ansehen und der hervorragenden Tätigkeit unseres im Inlande nur viel zu wenig geschätzten Lloyd, unter unseren Schutz stellen lassen.

Nachdem wir einige Zeit hindurch mit den einzelnen Landsleuten von Geburt und auch jenen, die es nur dem Namen nach sind, gesprochen hatten, verließen sie wieder alle die Miramar und wir zogen uns in die Kabinen zurück, um die Uniformen mit den Zivilkleidern zu vertauschen. Bald darauf ließ sich die ganze Reisegesellschaft an die Hafenstiege hinüberrudern; dort erwartete uns Baron Schäffer, und mit ihm schritten wir zu den bereitgehaltenen Wägen. ...

Nachdem wir diese kurze orientalische Straße passiert hatten, gelangten wir in den europäischen Teil der Stadt. Breite Gassen mit schönen, echt abendländischen Häusern und Gewölben bilden jenes Stadtviertel, in dessen Mitte die 'Place Mehemet Ali' erscheint. ... So elegant und regelmäßig auch die Straßen gebaut sind, haftet doch ein gewisses Wesen an der Stadt, das uns befremdet. Der orientalische Schmutz und die Verwahrlosung, welche arabischen Städten sogar einen genialen, malerischen Reiz verleihen, passen schlecht zu den geraden, schablonenhaften Bauwerken des Abendlandes; man erkennt auf Schritt und Tritt den Eindringling, der mit Mühe einem fremden Weltteil seinen Typus aufdringen will; nur ungern trägt der freie Wüstensand europäische Städte und noch weniger das gewinnsüchtige Wesen der Bleichgesichter. ...

... fuhren wir zu Wagen längs dem Mahmudiye-Kanal nach dem großen öffentlichen Garten von Gineret en-Nusha. Der Weg längs des Kanales hat viel Interessantes. Die Straße war belebt; außer allerlei Landvolk führen auch Wägen, Lohnkutschen und Equipagen die elegante Welt Alexandriens durch die herrlichen Baumreihen nach jenen schönen Gärten, in denen die kühlen Abende Labung gewährten. In den Fluten des Kanales nahmen Männer und Frauen der armen Volksklassen ihre vorgeschriebenen Waschungen vor, und an den Ufern knieten fromme Muselmänner. ... Unter der eleganten Welt sah man viele auffallend schreiende Toiletten und einen falschen Chic, doch unleugbar schöne Gesichter; auch eine bedeutende Anzahl Demimonde war vertreten, im Typus sehr ähnlich jener Wiens und Pests; wie man mir sagte, rekrutiert sich dieses leichte Volk in Egypten größtenteils aus Österreich. Der Garten von Gineret en-Nusha hat den vollen üppigen, fast tropischen Charakter aller egyptischen Gärten; gewürzte Düfte durchschwellen die Luft und blühende Vegetation erfreut das Auge des Fremden. Eine Militär-Kapelle spielte fröhliche Weisen und viele europäisch gekleidete Leute ergingen sich in den schattigen Lauben. Wir fuhren nur rasch durch alle Anlagen und statteten dann noch dem schönsten Landhause in der Umgebung Alexandriens, der Villa des reichen Griechen Antoniadis, einen Besuch ab. ..."

Im gleichen Jahr (1881) war auch der Ägyptologe Oppel in Alexandria (Anm. 14):

"Alexandrien, zwischen dem See Maryut und dem Mittelmeer gelegen, hat jetzt über 200.000 Einwohner, darunter 50.000 Fremde; zur Zeit seiner Blüte war es von mehr als einer halben Million bewohnt; aber auch heute noch besteht seine Bevölkerung wie damals aus Angehörigen aller Nationen um das Mittelmeer. Von hier aus gehen drei Eisenbahnen; mit Europa wird es durch zwei Telegraphenkabel verbunden; im Frankenquartiere wird man nichts vermissen: großartige Gasthöfe, Kaffeehäuser, Zeitungen, Kunsthandlungen, Bäder, Gasbeleuchtung – alles ist vorhanden. Den Mittelpunkt des Geschäfts und des Genusses bildet der Mehmed Ali-Platz, mit zwei Springbrunnen und schattigen Baumpflanzungen geschmückt. In der Mitte desselben steht auf einem 6½ Meter hohen Piedestale die aus Erz gegossene, 5 Meter hohe Reiterstatue Mehmed Alis, des Stifters der gegenwärtigen Dynastie. ... Alexandrien kann in einem Tage gesehen werden; das interessanteste ist nicht das Frankenquartier, sondern das bunte Leben und Treiben in den engeren Straßen, hauptsächlich nördlich von dem Mehmed Ali-Platz am Osthafen, wo die arabische Bevölkerung wohnt und wo wir uns so ganz und gar in den Orient versetzt fühlen. Die buntesten Trachten, reichlich, ärmlich, kaum mehr als nichts, ziehen an unserem Auge vorüber; weiße, schwarze und braune Menschen in allen Schattierungen drängen sich in dichtem Gewühle an uns vorbei; und wohin wir blicken, sehen wir Trümmer der Vergangenheit, Säulenkapitäle, Quadersteine, Schutthügel und ähnlich Erinnerungen an die Zeit vor uns!"

Das vom österreichischen Lloyd herausgegebene offizielle Reisehandbuch "Der Österreichische Lloyd und sein Verkehrsgebiet", hält unter "Informationen für Alexandrien" (Anm. 15) fest:

" ... Auf dem Ufer drängt sich, gesticuliert und schreit in allen Sprachen eine vielhundertköpfige dunkelhäutige Menschenmenge; halbnackt, mit Lappen, Sackleinwand, Resten europäischen Ursprungs, blauen Hemden, weißen Kaftanen, mit Fez, Kapuze, Turban bekleidet. Cooks Leute, eine wohl geschulte Truppe, stehen im Vordergrunde. Kaum hat das Schiff am Quai angelegt, stürmt das wilde Afrika auf uns ein, und es kostet Mühe, seine Sachen beisammenzuhalten, denn jedes Mitglied dieser Gilde versucht es, mit einem Gepäckstück nach dem Zollhaus zu eilen. Der Träger legt sich den Koffer über Rücken und Kreuz und hält ihn mit untergeschobenen Händen in der Lage; am Bestimmungsorte setzt er sich auf den Boden, zieht die Hände hervor, so daß das Stück aufrecht steht. Die Zollwächterabfertigung ist rasch beendet, denn die Beamten sind sehr entgegenkommend; bei der Passrevision genügt die Abgabe einer Visitenkarte. Ein Wagen bringt uns zum Hotel.

Von keiner Stadt besitzen wir so viele geschichtliche Nachrichten und so wenig erkennbare Reste. ...

Die Hast und Eile, mit welcher die Reisenden bis vor wenigen Jahren Alexandrien kaum eines Blickes würdigten, um so rasch als möglich in das Zentrum der arabischen Welt, nach Kairo, zu gelangen, ist nach mancher Richtung hin ungerechtfertigt. Alexandrien mit seinem zum Teil mohammedanischen, zum Teil levantischen Charakter bietet, abgesehen von seiner geschichtlichen und handelspolitischen Bedeutung, sehr viel interessanten Beobachtungsstoff, und so wird es gewiss niemand bereuen, von dem für eine ägyptische Reise vorgesehenen längeren Zeitraume einige Tage für Alexandrien zu verwenden, wo er sich mit Muße und ohne ermüdende Überstürzung für den kommenden Aufenthalt in Kairo vorbereiten kann.

Das heutige Alexandrien hat zwar nur mehr wenige Spuren seiner einstigen antiken Größe aufzuweisen, ist aber immer noch eine interessante und in handelspolitischer Beziehung sehr wichtige Stadt. Unter den 250.000 Einwohnern gibt es 50.000—60.000 Europäer verschiedenster Nationalitäten, zumeist Griechen, Italiener, Franzosen, Österreicher, auch Engländer und Deutsche. Dieses Völkergemisch kommt auch im öffentlichen Leben, in den socialen Verhältnissen, im Handelsverkehr, endlich auch in dem außerordentlichen bunten Straßenleben zum Ausdruck. Das orientalische Leben concentriert sich in dem nördlich gelegenen Türkenviertel und in dem Westen der Stadt sowie in dem den Raum zwischen den breiten Häfen einnehmenden arabischen Viertel. Dieser Stadtteil wird durch die zum gleichnamigen viceköniglichen Schlosse führende Ras el Tin-Straße durchquert. Eine Wanderung hier ist ungemein lehrreich, weil der noch aufnahmefähige Beobachter hier die beste Vorschule für die später massenhaft sich drängenden Bilder des Orients findet.

In den südlichen Stadtteilen, der sogenannten 'Frankenstadt', herrscht ausschließlich europäischer Charakter. Hier findet man reine, regelmäßige, gut gepflasterte Straßen und Plätze, imposante öffentliche Gebäude, hübsche stilvolle Privathäuser, reich ausgestattete Kaufländen. Den Mittelpunkt des Fremdenverkehrs bildet der mit Bäumen, Gartenanlagen und Springbrunnen gezierte Platz Mohammed Ali, in dessen Mitte das hohe Reiterstandbild des Gründers der Dynastie aufragt. Von der Südseite des Platzes führt die Hauptverkehrsader Rue Cherif Pacha in die breite Straße de Rosette, welche mit dem Thor von Rosette abschließt.

Die bereits erwähnte Pompejus-Säule liegt auf einer kahlen Anhöhe außerhalb der Porte de la Colonne, zu welcher die gleichnamige Straße führt.

Nicht weit von der Pompejus-Säule beginnen die aus der Zeit Constantins stammenden Katakomben mit zahlreichen heidnischen und christlichen Gräbern.

In der Rue de Rosette befindet sich das im Jahre 1892 unter reger Förderung des Khediv entstandene Griechisch-römische Museum, dessen reiche Sammlungen von altägyptischen, griechischen und römischen Altertümern sehr interessant sind.

Zu den Sehenswürdigkeiten von Alexandrien gehören auch dessen großartige Hafenanlagen, der Außenhafen, welcher durch einen 3 km langen Wellenbrecher geschützt ist, und der innere Hafen mit seinem 900 m langen Molo. In den inneren Hafen mündet der Alexandrien mit dem Nil verbindende Mahmudiye-Canal.

Von den Ausflügen in die Umgebung Alexandriens nennen wir die Fahrt zu dem obengenannten Mahmudiye-Canal an schönen Gartenanlagen und dem viceköniglichen Palais Nimre Telate vorüber, ferner die äußerst lohnende Fahrt nach Ramleh. Der Besuch dieser reizenden Villencolonie erfolgt am bequemsten mit Benützung der bis zu Endstation San Stephano führenden Privatbahn, deren Züge jede Stunde, im Sommer sogar halbstündig, verkehren.

Bei der ersten Station Ibrahimiye befindet sich die große Rennbahn und der englische Sportplatz. Dann folgt die Station Bulkeley, wo die üppigen Gärten und die schönen Villenanlagen beginnen, welche sich bis ans Meer hinziehen. Hier wohnen die wohlhabenden Alexandriner, wenn die Sommerhitze den Aufenthalt in der Stadt unerträglich macht. In den Stationen Fleming und Schütz befinden sich auch gute Pensionen, so das Hotel de Plaisance mit vorzüglicher Unterkunft und das beliebte Hotel Miramare. Den Glanzpunkt von Ramleh bildet die Endstation San Stephano. Hier, unmittelbar am Meer, umgeben von Mandarinen- und Orangenpflanzungen und herrlich blühenden, wohlgepflegten Gartenanlagen, erhebt sich das elegante Gebäude des Hotel-Casino San Stephano, wo im Winter zahlreiche Alexandriner Familien und Fremde den Nachmittag zubringen und wo auch öfters Concerte stattfinden. Zur heißen Jahreszeit ist San Stephano mit seinem erfrischenden, belebenden oceanischen Klima eine sehr beliebte Sommerfrische. Besonders genußreich sind die Seebäder, deren Einrichtung für Herren und Damen mit allem Comfort versehen sind. In dem Hotel stehen für längeren Aufenthalt bequeme und hübsche Wohnräume zur Verfügung. Die Restaurationslocalitäten sowie die Gesellschafts-, Theater- und Concertsäle stehen auf der Höhe eines modernen Badeortes. Einen Lieblingsaufenthalt der Gesellschaft bildet das schön gepflegte Strandparterre vor dem Hotel, wo man die erfrischende Brise des Meeres und eine entzückende Aussicht genießt. Das große Etablissement, welches dem von seiner Tätigkeit im Shepheard- und Gezireh-Hotel her weltbekannten Director Luigi Steinschneider gehört, bietet seinen Gästen auch eine vorzügliche Verpflegung und erfreut sich von Jahr zu Jahr eines zahlreichen Besuches von Seite der ägyptischen und der internationalen guten Gesellschaft.

Die Gasthöfe in Alexandrien sind zwar nicht glänzend wie jene in Kairo, müssen aber durchwegs als sehr gut und preiswürdig bezeichnet werden. Hotel Khedivial, Ecke der Rue Cherif Pasha und der Rue de Rosette, mit bequemen Zimmern, hübschen Palmengärten und gutem Restaurant, wird von dem Eigentümer H.Chamoulleau persönlich geleitet. Grand Hotel Bonnard in der Nähe des Meeres, im Geschäftszentrum. Hotel du Canal de Suez, Rue de la Poste, billige Pension, gute Unterkunft. Hotel des Voyageurs, Rue d'Eglise Ecossaise, gut und preiswürdig.

Von Bier-Restaurants sind das Anton Dreher'sche Bierlokale und die Bierhalle Dockhoon in der Rue Champollion mit Ausschank von Pilsner- und Spatenbräubier zu empfehlen. In Alexandrien befindet sich auch das Hauptdepot der Anton Dreher'schen Brauereien. Die europäisch gehaltenen Kaffeehäuser findet man größtenteils am Place Mehmed Ali. Von den verschiedenen Vereinen und Clubs in Alexandrien ist der Cercle Khedivial im Börsengebäude der vornehmste, ferner Club Mohammed Ali u.s.w.

Das Postamt, welches mit zweistündiger Mittagsunterbrechung von 7 Uhr für bis 7½ Uhr abends geöffnet ist, befindet sich in der Rue de la Poste. Das ägyptische Telegraph ist im Börsengebäude, der englische am Boulevard Ramleh.

Durch Konsulate sind Österreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich, England, Italien und die meisten übrigen europäischen Staaten sowie die Vereinigten Staaten von Nordamerika vertreten. Die häufig wechselnden Adressen derselben erfragt man im Hotel. ..."

Das 1902 vom "k.u.k. Marineevidenzbüro", dem Geheimdienst der k.u.k. Kriegsmarine, herausgegebene "Beiheft XIV" enthielt neben einer genauen Beschreibung aller alexandrinischen Küstenbefestigungen und ihrer Geschütze – in der Regel als "verfallen und militärisch wertlos" angesehen – auch eine Beschreibung der Stadt. Die Marineoffiziere und Matrosen gingen ja auch mal an Land... (Anm. 16)

"Alexandrien, die im steten Wachsen begriffene Haupthandelsstadt Ägyptens, zählte im Jahre 1900 320.000 Einwohner, davon bei 50.000 Ausländer. Unter diesen überwiegen Griechen und Italiener, denen sich Franzosen und Österreicher, weniger zahlreich Engländer und Deutsche anschließen.

Die Stadt teilt sich in die alten Türken-, Araber- und Judenstadt und in die neue, modern angelegte Europäer-Stadt. Dieser schließen sich im SW von Arabern bewohnte Vororte an.

Die Alt-Stadt erstreckt sich nahezu über die ganze den Innenhafen von New-Port trennende Halbinsel und besteht aus einem regellosen Gewirr von unansehnlichen orientalischen Häusern mit meist engen winkeligen Gassen und Gässchen. Breitere und bessere Verkehrsadern dieses Stadtviertels sind die Ras et Tin-Straße, welche vom viceköniglichen Palais ausgehend den nördlichen Teil durchquert und sodann parallel zum New-Port-Ufer verlaufend am Mehemed Ali-Platz mündet. Darauf senkrecht die Rue de la Marine und Rue de la Duane.

An die orientalische Altstadt schließt sich unmittelbar der europäische Stadtteil an, welcher sich nach allen Seiten verbreiternd von den Resten der Umwandlung teilweise eingeschlossen ist. An dieser Peripherie schließen sich ausgedehnte Gärten mit Landhäusern, Villen und Fabriken an, welche sich gegen NO bis Ramleh, gegen SO bis zum Mahmudieh-Canal ausdehnen. Die europäische Stadt machte durch ihre modern gebauten 2—3 stöckigen aus Stein, Ziegel und Holz, seltener aus Sandstein gebauten Häuser, durch ihre geraden, verhältnismäßig breiten Straßen, von denen viele durch Geleise der elektrischen Trambahn durchzogen sind, einen ganz abendländischen Eindruck. Die Straßen haben Trottoirs an beiden Seiten und sind fast durchwegs gepflastert.

Als Zentral- und Ausgangspunkt dieses Viertels kann der 95 Fuß br. und 576 Fuß lg. Mehemed Ali-Platz bezeichnet werden, in welchen von SO die beiden Parallelstraßen Cherif und Tewfik-Pascha, von N die Rue Ras et Tin und von SW die Rue Anastasi und Ibrahim einmünden. Letztere, eine Hauptverkehrsader, läuft bis zu den Baumwoll-Lagerhäusern und übersetzt den Mahmudieh-Canal mittels einer eisernen Brücke Pont-neuf. Andere das europäische Viertel durchziehende große Straßen sind die Rue Rosette, Rue Neuve, Rue Mahmudieh, Rue Caffarelli und die Rue de la Paille. ...

Alexandrien besitzt ferner: 6 Theater, 11 Schulen und Collèges, darunter je eine deutsche, englische, französische und italienische; 5 Moscheen, 12 Kirchen und Tempel, 6 Badeanstalten, 8 Druckereien, 2 Börsen, mehrere Banken, eine europäische Markthalle und ein astronomisch-meteorologisches Observatorium.

Das vizekönigliche Palais mit der Hauptfront gegen den Innenhafen liegt auf der Halbinsel Ras et Tin und hat den Haupteingang von O, woselbst ein als Exerzierplatz verwendeter freier Platz anschließt.

Alle seefahrenden europäischen Staaten, die amerikanischen Vereinsstaaten und Brasilien sind teils durch Generalkonsulate, teils durch Konsulate vertreten. Das österreichisch-ungarische General-Konsulat befindet sich in einer Seitenstraße der Rue Caffarelli beim Theater Zizinia in einem Garten.

An Spitälern sind vorhanden: 1. Das englische Militärspital nahe der ersten Eisenbahnhaltestelle Ibrahimje der Strecke Alexandrien-Ramleh; 2. Das englische Spital für Seeleute beim Leuchtturm auf Ras et Tin; 3. Das ägyptische Spital nächst dem Bahnhofe der Eisenbahn nach Ramleh; 4. Das griechische Spital in der Rue S.Saba; 5. Das große europäische Spital am Beginne der Rue Rosette; 6. Das deutsche Diakonissen-Spital außerhalb der Stadt an der Avenue de Moharem Bey.

Die Haupteinbruchstellen in die Stadt sind:
Das Rosetta-Thor im O, das Moharem Bey-Thor im SO, das Mahmudieh-Thor im S und das Nil-Thor im SW.

Die Stadt ist mit Gas beleuchtet. Die Gasanstalten befinden sich am Mahmudieh-Canal.

Der westlich Alexandriens sich zwischen dem Meere und dem Mariut-See hinziehende schmale Landstreifen ist eine sandige, leicht gewellte Bodenerhebung, welche außer einigen Palmengruppen keine Vegetation aufweist und die Ausläufer der Stadt ein schmutziges Araberviertel, das große Schlachthaus und bei Mex ein neues Badeetablissement besitzt.

Die östliche Umgebung Alexandriens ist weit besser kultiviert. Die Gärten und Felder sind durch fahrbare Wege und Straßen begrenzt und ziehen sich bis Ramleh, einem elektrisch beleuchteten Villenort mit großen Badeetablissements, wo viele Alexandriner Familien dauernden oder Sommeraufenthalt nehmen."

Der Archäologe J.C.Ewald Falls, einer der Entdecker des koptischen Heiligtums von Abu Menas, welches von 1905—1907 ausgegraben wurde, war oft in Alexandria, von wo der Nachschub für die Archäologen herangeschafft wurde (Anm. 17):

"Ihre Nähe zu Kairo bewirkt, ... daß der Nachfolger der alten Stadt der Ptolemäer nur eine Durchgangsstation ist. Die Stadt ist natürlich für Geschäftsleute von großem Interesse, da schon jetzt alljährlich 3.000 Dampfer in den Hafen ein- und auslaufen, und der Export von Baumwolle und Obst steigt laufend. Im Sommer, wenn der Khedive seinen Hof ins Palais von Ras el Tin verlegt ... und sich die Beamten der Ministerien und offizielle Welt Kairos auf Sommerfrische an die eleusische Küste der Gartenvorstadt Ramle ans Meer begeben, beginnt das Leben in der wunderschönen Stadt. ... In Bevölkerung und Ausdehnung erreicht Alexandria bald sein goldenes Zeitalter wieder, als es zu Zeiten des Kaisers Augustus eine halbe Million Einwohner hatte ... in der modernen Stadt der Eingeborenen und der 50.000 Franken, hauptsächlich Griechen und Italiener, wurden Häuser und Villen auf den Resten älterer Gebäude errichtet. ..."

Die beste Beschreibung Alexandrias vor dem 1. Weltkrieg findet sich, wie nicht anders zu erwarten, im Baedeker "Ägypten und der Sudan" (Anm. 18) aus dem Jahre 1906:

"Alexandria oder Alexandrien, von den Arabern und Türken Iskanderieh genannt, die zweite Stadt Ägyptens und einer der wichtigsten Handelsplätze am Mittelmeer, liegt an der äußersten Westspitze des Nildeltas auf dem sandigen Landstreifen, der den mareotischen Landsee vom Meere trennt, unter 31°13'51" nördlicher Breite und 29°58'30" östlicher Länge von Greenwich. Die Zahl der Einwohner belief sich am 1. Juli 1905 auf 362.750. Unter den 46.000 Fremden ('Franken') überwiegen Griechen und Italiener, denen sich Franzosen und Österreicher anschließen. Die Mohammedaner wohnen fast ausschließlich in den nördlichen und westlichen Stadtteilen, die Europäer im östlichen Stadtteil oder in Ramle. Die Stadt steht unter der besonderen Verwaltung eines Gouverneurs.

Von den beiden Häfen ist der östliche (Port Est), im Altertum der 'große Hafen' genannt und damals durch einen mächtigen Damm geschützt, jetzt nur Fischerbooten zugänglich. Er wird gegenwärtig durch eine stattliche Kaianlage eingefaßt. Der westliche Hafen, im Altertum 'Hafen der guten Einkehr' (Eunostos) genannt, wurde erst seit der späteren römischen Kaiserzeit häufiger benutzt. Seit 1871 ist er durch einen 700 ha großen Außenhafen erweitert worden. Diesen schützt ein aus gewaltigen Werkstücken hergestellter Wellenbrecher von fast 3 km Länge. Ein zweiter, über 900 m langer Molo schützt den inneren Hafen, der 190 ha groß und durchschnittlich 8,5 m tief ist. Vom Beginn des Molo erstrecken sich Kais mit Lagerhäusern an der ganzen Ostseite des Hafens bis zum Marinearsenal. Jährlich laufen mehr als 2.000 Dampfer ein und aus, davon über die Hälfte unter englische Flagge. In den inneren Hafen mündet mit einigen Schleusen der Mahmudije-Kanal. Wichtigster Ausfuhrartikel ist Baumwolle; daneben Getreide, Baumwollsamen, Bohnen, Reis, Zucker, Zwiebeln, Tomaten, usw.

Umgebung von Alexandrien:
Eine hübsche Spazierfahrt ist folgende. Vor der Porte de Rosette, wo links die europäischen Friedhöfe liegen und die Straße nach Ramle geradeaus führt, rechts abbiegend, dann, am Rond-Point eine Anlage des städtischen Wasserwerks links liegen lassend, gelangt man weiter östlich, die Bahnlinie nach Kairo überschreitend, an den Mahmudije-Kanal. Links der Vorort Hadra, mit alter Nekropole. Man wendet sich links und fährt am Kanal entlang, an Villen und Gärten vorüber, zu dem schönen Landsitz des Griechen Sir John Antoniadis, dessen Garten mit besonderer Erlaubnis (im Kontor Antoniadis zu erhalten) zugänglich ist. In seinem hinter dem Haus gelegenen Teile ein antikes Felsengrab; eine lange Treppe führt zu den Sälen, an deren Wänden in drei Reihen die Sargkämmerchen angelegt sind. – Neben dem Antoniadis-Garten liegt der schöne, dem Publikum geöffnete Nuzha-Garten, mit seltenen Bäumen, Spielplätzen usw. – Den Rückweg zur Stadt nehme man am Kanal entlang, den man nun links behält; rechts eine ununterbrochene Reihe von Villen und Gärten. Dann durch die Rue Moharrem Bey zur Stadt zurück oder weiter am Kanal entlang zu Rue Karmous und zur Pompejussäule.

Der Ausflug nach Meks (Mex) kann mit der elektrischen Straßenbahn (Linie Rond Point-Meks, 20 und 10 Mill.), mit einem Boot vom Hafen aus oder zu Wagen gemacht werden. Vom Méhémet Ali-Platz bis zum Pont Ibrahim. Von da führt die Straße, der die elektrische Bahn folgt, durch die hügelige Nekropolis der Kaiserzeit nach der Vorstadt Gabbari. Links von der Straße die Gärten, die malerische Moschee und das Palais von Gabbari, jetzt Quarantaine. In den Kalkstein der Uferhügel sind jetzt meist vom Meer bedeckt ptolemäische Grabanlagen, die sog. Bäder der Kleopatra, eingearbeitet; zu sehen ist nichts. Weiter durch das arabische Dorf Wardian; rechts das 1898 erbaute große Schlachthaus, links die Ausgangsstation der Marjut-Bahn. Am Strande von Meks ein Kasino. SW am Meere des Bab-el-Arab ('Beduinentor'), eine alte Befestigung, und weiter die Steinbrüche.

Nach Ramle führt, außer der vom Rosette-Tor ausgehenden Landstraße und der kaum in Betracht kommenden Eisenbahn (Linie nach Abukir-Rosette; Abfahrt der meisten Züge von Sidi Gaber), die elektrische Bahn vom früheren Ramle-Bahnhof aus; von früh 5 Uhr 30 bis Mitternacht alle 5 Minuten ein Zug.

Die Bahn führt bis Sidi Gaber parallel der Staatsbahn. Bald nach der Abfahrt links ins Meer vorspringend das kleine Fort Silsile; westlich öffnet sich ein kurzer Rückblick auf die sichelförmige SO-Seite der Stadt. Weiter durch die Scherbenhügel des alten Nikropolis, der von Augustus auf der Stelle seines letzten Sieges über die Anhänger des Antonius gegründeten großen östlichen Vorstadt von Alexandrien, nach der ersten Haltestelle Ibrahimje, mit einer griechisch-orthodoxen Kirche, zahlreiche Villen und dem schön angelegten englischen Sporting Club mit Rennbahn. Bei der zweiten Haltestelle Sidi Gaber oder Mustafa (Station der Eisenbahn) eine vom jetzigen Chediw erbaute Moschee über dem Grab des mohammedanischen Heiligen Sidi Gaber. Links auf einer Anhöhe ein vom Chediw Isma'il erbautes, jetzt von der englischen Militärverwaltung benutztes vizekönigliches Schloß und ein Barackenlager der englischen Okkupations-Garnison (Camp Moustapha). Hinter den Kasernen liegt am Meere die Badeanstalt der Jesuitenschule und dicht dabei eine griechische Grabanlage mit Wandmalereien. In der Nähe lag das Kasr el-Kajasere (Cäsaren-Schloß), ein befestigtes römisches Lager, das seine Steine zum Bau des Schlosses hergeben mußte. Eine 1 km östlich vom Lager unmittelbar am Meere gelegene Ruine eines dorischen Tempelchens, vielleicht das Grab der Stratonike, einer Geliebten des Ptolemäus Philadelphus, ist jetzt fast ganz verschwunden. Nun zwischen Villen und Gartenanlagen mit üppiger Vegetation hindurch. Bei der nächsten Station Carlton das Carlton-Hotel. Es folgt die Station Bulkeley, mit englischer Kirche. Hier beginnen die eigentlichen Villenkolonien von Ramle (d.i. 'Sand'), dem beliebtesten Sommeraufenthalt der wohlhabenden Familien Alexandrias und Kairos, mit vielen Landhäusern, eigener Wasserleitung und trefflichen Seebädern. Diese 'ägyptische Riviera' wird auch im Winter besucht. Von Bulkeley führt links eine Nebenstrecke über Haltestelle Nr. 1 und Haltestelle Nr.  2 nach S. Stefano und über Laurens zum Palast der Chediwa-Mutter. An der Hauptlinie weiter die Haltestellen Fleming (Hot. Miramare, gelobt, Pens. 40 Pi.), Bacós, der Hauptort vom Ramle, mit Basar, Moschee, katholischer Kirche und Schule, Seffer und Schütz (Hot. de Plaisance, P. 8—12 fr.), sowie die Endstation S. Stefano. Dicht dabei das Hotel-Casino S. Stefano (Pens. von 70 Pi. an), mit Garten, Theater-, Konzert- und Spielsälen; Hotel Bagdad, Hotel Beaurivage (Pens. von 50 Pi. an), beides Dependenzen des Hotel-Casino S. Stefano; Café International und Hotel Deutsches Haus. – Am Wege zum Meere finden sich Reste aus griechisch-römischer Zeit; ½ Stunde nordöstlich am Strande ein neues Schloß der Chediwa-Mutter, der Mutter des jetzigen Chediw (nicht zugänglich)."

Victor Ottmann hielt sich 1911 nur kurz in Alexandria auf (Anm. 19):

"Wesentlich andere erste Eindrücke empfängt der Ägyptenfahrer, der das Land in Alexandrien berührt. Er sieht sich, sobald er unter dem Schutz eines Hoteldragomans vom Schiff durch eine Menge von scheinbar bis zur Tobsucht erregten, in Wirklichkeit vollkommen friedlichen Eingeborenen glücklich an Land gelangt ist, in eine moderne Handelsstadt versetzt, eine Kosmopolis mit geradlinigen, nüchternen Straßen und einer materialistisch gesinnten Bevölkerung, die sich für das Steigen und Fallen der Baumwollkurse ungleich lebhafter interessiert als für Probleme der Archäologie. Der Fremde, der sofort nach seiner Ankunft in die Wunder des alten Ägyptens hinabzutauchen vermeinte, ist wohl ein wenig enttäuscht und beeilt sich, nach Kairo weiter zu fahren. Aber die Koloniestadt Alexandrien, von alters her der starke Magnet für alle, die mit Ägypten Geschäfte machen wollen, und heute wirtschaftlich völlig in europäischen, besonders in griechischen Händen, bietet abseits der korrekten Hauptverkehrsstraßen der 'Frankenstadt' genug des Eigenartigen und Interessanten. Der Fremde braucht nur die arabischen und türkischen Viertel aufzusuchen oder in die Vorstädte, wie Gabbari, zu gehen, und er findet echtes morgenländisches Leben und eine Fülle malerischer Motive. An Altertümern hat Alexandrien infolge seiner unruhigen Geschichte nur wenig von Bedeutung aufzuweisen; das wirkungsvollste Monument ist die weithin sichtbare Pompejussäule aus prachtvollem roten, von Assuan stammenden Granit, die früher wahrscheinlich das Standbild des Kaisers Diokletian trug, dem sie von dem römischen Präfekten Pompejus geweiht war. – Im Sommer sind die bei Alexandrien gelegenen Seebäder von Ramleh ein Lieblingsaufenthalt der ägyptischen Gesellschaft."

Das Alexandria, welches hier beschrieben wurde, ist fast überall dem Fortschritt und dem Bevölkerungswachstum zum Opfer gefallen. Nur an einigen Stellen finden sich noch Reste, die auf das Alexandria vor 1914 und das kosmopolitische Flair hindeuten. Für einen Spaziergang durch die europäische Stadt der Jahrhundertwende (siehe den nachfolgenden Plan aus dem Jahre 1906) bietet sich die Attarin-Straße, die Galerie Menasce – das größte Gebäude am Tahrir (Mohamed Ali)-Platz direkt hinter dem Reiterstandbild –, die Sankt Katharinenkirche und die Synagoge Eliahu Hanabi (siehe nachfolgende Seiten) am Anfang der Nebi Daniel-Straße, 2 Minuten zu Fuß vom Cecil-Hotel an; Kirche und Synagoge, beides eindrucksvolle Zeugen vergangener Zeiten einer starken italienischen, österreichischen und jüdischen Präsenz, liegen inmitten von Gartenanlagen, welche im Lärm der modernen Großstadt unglaubliche Ruhe ausstrahlen.

Baedeker 1906
Plan von Alexandria, Baedeker 1906
Anmerkungen:
    • Anm. 1 
      Carsten Niebuhr, Entdeckungen im Orient, Reise nach Arabien und anderen Ländern 1761—1767, Seite 17/18, Horst Erdmann Verlag, Tübingen.
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    • Anm. 2 
      Vivant Denon, Mit Napoleon in Ägypten, 1798—1799 (Travels in Upper and Lower Egypt), Horst Erdmann Verlag, Tübingen 1978.
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    • Anm. 3 
      Giovanni Belzoni, Entdeckungsreisen in Ägypten 1815—1819, Du Mont Buchverlag Köln, Seite 24/25.
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    • Anm. 4 
      Wolfradine Baronin von Minutoli, Recollections of Egypt, Philadelphia 1827.
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    • Anm. 5 
      Fürst Pücklers Orientalische Reisen, Hoffmann und Campe Verlag, Seite 182—185.
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    • Anm. 6 
      Antoine Barthélmi Clot, Apercu Général sur l'Egypte, Paris 1840.
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    • Anm. 7 
      Ida Pfeiffer, Reise einer Wienerin in das Heilige Land, Lizenzausgabe der Originalausgabe Wien 1844, S. 261—264.
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    • Anm. 8 
      Gustave Flaubert "Reisetagebuch aus Ägypten", Steingrüben Verlag Stuttgart, Seite 38.
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    • Anm. 9 
      Briefe aus Africa an Mitterrutzner, Seite 1—3, Bibliothek Stift Neustift, Südtirol.
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    • Anm. 10 
      J.J. Benjamin, Acht Jahre in Asien und Afrika von 1846 bis 1855.
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    • Anm. 11 
      Mark Twain, Reise durch die Alte Welt.
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    • Anm. 12 
      Friedrich Schwan, Erinnerungen eines Konsuls, Wien 1917.
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    • Anm. 13 
      Kronprinz Rudolf von Österreich, Eine Orientreise vom Jahre 1881, Wien 1885.
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    • Anm. 14 
      Dr. Karl Oppel, Das alte Wunderland der Pyramiden, Leipzig 1881, S. 390.
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    • Anm. 15 
      Der österreichische Lloyd und sein Verkehrsgebiet – offizielles Reisehandbuch – Teil II, Ägypten, Wien 1901, Seite 69/70.
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    • Anm. 16 
      K.u.K. Marine-Evidenzbüro, Beiheft XIV, Die syrische, ägyptische und tripolitanische Küste. Die Inseln Malta und Cypern, Wien 1902, Seite 103—105.
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    • Anm. 17 
      J.C.Ewald Falls, Three years in the Libyan Desert – Travels, Discoveries and Excavations of the Menas Expedition, St. Louis, Mo., S. 13—14.
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    • Anm. 18 
      Karl Baedeker, Ägypten und der Sudan, Leipzig 1906, Seite 9, 21—22.
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    • Anm. 19 
      Victor Ottmann, Kunst und Natur in Bilder, Ägypten, Wien 1911, S. 6—7.
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Punkt Punkt Punkt

 

Fingerzeig Zum 1. Teil von "Ägypten vor (mehr als) 100 Jahren":
         Briefe aus Ägypten 1905—1908
         Zwei Schweizer Kaufleute in Ägypten
Fingerzeig Zum 2. Teil von "Ägypten vor (mehr als) 100 Jahren":
         Kairo vor mehr als 100 Jahren
Fingerzeig Zum 4. Teil von "Ägypten vor (mehr als) 100 Jahren":
         Eine Orientreise vom Jahre 1881

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