Frauen in Ägypten
    Inhalt:
    Frauenbewegung und Frauenemanzipation in Ägypten
    Die Frau in der heutigen ägyptischen Gesellschaft
    Berufstätige Frauen in Ägypten
    Situation und Stellung der Frau heute
    Lexikon: Ägyptens Frauen im Spiegel der Statistik
    "nichts hat sich geändert"
    Die Frau von heute in Ägypten
    Frauen auf dem Lande (1)
    Frauen auf dem Lande (2)
    Die ägyptischen Bäuerinnen werden vom Staat vergessen
    Ein ägyptisches Portrait: Sabah
    Die Rückkehr des Schleiers
    Nein... ich werde den Schleier nicht ablegen
    Der Schleier – ein soziales Phänomen
    Denkwürdiges aus dem Leben einer deutschen Muslime
    Verschleierung im Islam – Rückschritt oder gar Fortschritt?
    "Nach der Operation bist du hübscher"
    Das Verbot der Mädchenbeschneidung
    Aufklärung tut Not

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Die Rückkehr des Schleiers
von Iqbal Baraka
zusammengestellt und übersetzt von Elisabeth Claus

Papyrus-Logo Nr. 5—6/86, pp. 23—25

Die Schriftstellerin Iqbal Baraka, die als Journalistin für "Sabah El-Kheir" regelmäßig schreibt, verfaßte für die Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi eine Untersuchung mit dem Titel: "Veilling as a Contemporary Phenomenon in Egypt", in dem sie einen Zusammenhang zwischen der politischen Entwicklung und diesem Phänomen herstellt und von dem wir hier Auszüge übersetzen.

Die Rückkehr des Schleiers, der das Haupt der ägyptischen moslemischen Frau bedeckt, begann etwa ab 1964. Darin stimmt die Mehrzahl der Forscher überein, die sich in den letzten Jahren mit diesem Phänomen beschäftigt haben. Eine Untersuchung einer Gruppe von Soziologen, unterstützt vom "National Centre for Social and Criminal Research" vom Dezember 1982 schloß u.a. mit folgenden Hinweisen:

  • Die Mehrzahl der verschleierten Uni-Studentinnen stammt aus der ländlichen Gegend Oberägyptens.
  • Die meisten kommen aus der unteren Mittelklasse, wobei die Mutter meist noch Analphabetin ist.
  • Die Mehrzahl der verschleierten Frauen akzeptiert den Schleier freiwillig und ist dagegen, daß er per Gesetz für die anderen Frauen verbindlich gemacht wird. Sie glauben, daß Verschleierung auf persönlicher Überzeugung beruhen müsse.
  • Verschleierte Studentinnen glauben an das Recht der Frau auf Erziehung, trotzdem halten sie daran fest, daß die Hauptaufgabe der Frau darin liege, Mutter und gute Hausfrau zu sein und der Mann der Frau überlegen sei.
  • Sie glauben, daß die geeignetsten Berufsziele für Frauen Ärztin und Lehrerin seien.
  • Das Recht auf Arbeit und die Möglichkeit, höchste Positionen in Regierungsämtern zu erreichen sind von geringer Bedeutung für verschleierte Studentinnen. Die Mehrzahl ist gegen Frauenarbeit.
  • Die Hälfte glaubt an die Gleichheit von Mann und Frau, ein Drittel verneint dies völlig und 18% sind unentschieden.
  • Verschleierte Studentinnen ziehen es vor, sich von männlicher Gesellschaft abzusondern und beschränken sich auf Frauengruppen.
  • Sie glauben, der Hauptgrund für die Dekadenz der ägyptischen Gesellschaft sei die Nichtbeachtung islamischer Gesetze und daß die "open-door-Politik" westliche Wertmaßstäbe ins Land brachte, die die ursprünglichen Werte korrumpieren.

In den 70er Jahren stieg die Zahl der Verschleierten erstaunlich, vor allem unter den Studentinnen. Der Schleier war Teil der muslimischen Bekleidung während all der Jahrhunderte, aber während des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts begann er allmählich zu verschwinden, bis ihn nach der Revolution von 1952 fast alle Frauen entfernten. (Zur Geschichte der ägyptischen Frauenbewegung siehe auch den Beitrag "Frauenbewegung und Frauenemanzipation".)

Das Arbeitsgesetz von 1959 beschloß völlige Gleichheit zwischen Mann und Frau (...), Frauen erwiesen sich als genauso kompetent wie Männer und erfolgreich in den neuen Arbeitsbereichen. In den 60er Jahren war dies kein Diskussionspunkt mehr, sondern feststehende Tatsache.

1967 erlitt Ägypten eine militärische Niederlage durch Israel. Das gesamte Volk wurde davon erschüttert. Man begann, nach den Ursachen der Niederlage zu suchen. Eine Ursache glaubte man im Mangel an Glauben zu finden, in der Abwesenheit islamischer Werte und Ethik, im Ärger Gottes darüber. Neue islamische Gruppen entstanden (...), u.a. die Jihad-Organisation (...).

In den 70er Jahren wurde offensichtlich, daß der Rückschlag von 1967 nicht nur die strategische und wirtschaftliche Lage Ägyptens erschüttert hatte, sondern auch den ideologischen Standpunkt. Die Religion war immer tief verwurzelt im ägyptischen Volkscharakter, seit der Zeit der Pharaonen waren die Ägypter empfänglich für das Überirdische. Und in Zeiten von Not und Niederlage kommt es immer wieder zu einem Wiedererwachen religiöser Aspekte und Symbole. So versammelten sich Muslime und Christen jede Nacht um eine Kirche in Zeyton, um das Erscheinen der Jungfrau Maria zu beobachten. Diese Art von Wunder gab ihnen den Glauben an das Übernatürliche zurück und jene Sicherheit, die sie in dieser Zeit so verzweifelt benötigten

Dann kam Sadat. Er erkannte den religiösen Trend (...) und präsentierte sich selbst als gläubiger Moslem. Er gab das Motto "Wissenschaft und Glauben" aus (...), brachte den Namen "Misr" (Ägypten) wieder zurück. Um den wachsenden Strom linker Kritik und Enttäuschung zu bekämpfen, ermutigte er die religiösen Gruppen an den Universitäten. Linke wurden angeklagt, Atheisten zu sein (...).

Mit der "Infitah", der "open-door-Politik" kamen zusammen mit den westlichen Gütern auch westliche Ansichten, Lebensformen und Werte nach Ägypten (...). Unter dem Schirm dieser Politik und aufgrund eines fehlenden Wirtschaftsplanes konnte durch Bestechung u.a. auf einfachem Weg Reichtum angehäuft werden. Viele Leute kamen mit dem neuen System nicht zurecht, in der Mehrzahl junge Leute, die keine Zukunft sahen. Die Löhne in den neuen Investmentfirmen waren sehr hoch, während die beim Staat und im öffentlichen Sektor weiterhin sehr gering blieben (...). Inzwischen wuchs das Gefühl der Depression, demokratische Forderungen wurden erhoben, aber nicht in die Tat umgesetzt, Wahlen waren Betrug, die politischen Parteien schwach und die meisten Politiker wurden der Korruption verdächtigt. Sadat versprach Freiheit und Luxus nach dem Sieg von 1973, aber ein angenehmes Leben wurde Wirklichkeit nur für eine kleine Schicht. Die Menschen waren hin- und hergerissen zwischen den neuen westlichen Werten und ihrer islamisch-orientalischen Ethik. Der einzige Ausweg war, eine andere Welt innerhalb dieser korrupten Welt zu erschaffen, basierend auf islamischen Werten. "Al-Higab", der Schleier, hat in dieser Welt eine eigene Bedeutung: den Schleier zu tragen bedeutet, der Welt die islamische Identität aufzuzeigen, sich selbst von den anderen zu unterscheiden (...).

Wissenschaftler haben den Unterschied zwischen dem Al-Higab der Vergangenheit und der Gegenwart festgestellt. In der Vergangenheit wurden die Frauen gezwungen, den Schleier zu tragen. Er war Symbol für die weibliche Unterwerfung, die Segregation und trug in sich die Bedeutung, daß die Frauen minderwertiger als die Männer seien, unfähig, Verantwortung zu tragen.

Heute verschleiern sich die Frauen hier freiwillig, manchmal sogar gegen den Willen der Eltern. Sie sind gebildet, manche sogar sog. Karrierefrauen (...).

Bei der Untersuchung an der AUC gaben die Mädchen sehr unterschiedliche Motive für das Schleiertragen an:

  • Er vermittle ihnen Selbstachtung und sei das Zeichen, daß sie Gläubige sind, die den Geboten des Islam folgen.
  • Anderen bedeutet Al-Higab Sicherheit und Schutz vor Gewalt und Dekadenz.
  • Studentinnen vom Lande hilft der Schleier über das Gefühl der Fremdheit hinweg, und der Anschluß an eine islamische Gruppe ist Hilfe gegen die Einsamkeit.
  • Für manche ist der Schleier eine natürliche Reaktion gegen die Konsumhaltung der ägyptischen Gesellschaft (...).

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Nein... ich werde den Schleier nicht ablegen
aus: "Al Akhbar" vom 7.2.1988, Rubrik "Das andere Geschlecht"
von May Shahin, zusammengefaßt und übersetzt von Barbara Hatour-Satow

Papyrus-Logo Nr. 3/88, pp. 63—64

Eine schöne, attraktive, junge Ägypterin verlobte sich mit einem jungen, gut verdienenden Ingenieur. Geld war kein Problem, eine Wohnung für das künftige Paar war vorhanden, und ein Auto hatte er auch. Sie verstanden sich bestens und ihre Familien waren glücklich über die Verbindung.
Eines Tages kam der Verlobte ins Haus seiner Verlobten und fand sie mit Kopftuch und langem Kleid vor. Der Verlobte fragte sie verwundert, was sie da mit sich angestellt habe? Sie antwortete: "Ich habe mich entschlossen, meine Schönheit vor den Augen (Fremder) zu verdecken..."
Ihr Verlobter: "Du hättest mich zuerst um meine Meinung bitten sollen."
Sie: "...ich war sicher, daß du dich über diese Entscheidung freuen und mich mehr lieben und schätzen würdest..."
Eine Woche später kam der Verlobte wieder und sagte: "Ich kann dein Aussehen mit diesem Kopftuch und diesem Kleid nicht ertragen und bitte dich ... wieder die zu werden, die du warst..." Als sie aber bei ihrem Entschluß blieb, löste er die Verlobung auf.

Betrübt wandte sich die Mutter der Entlobten an die Schreiberin und fragte diese: "Warum war er gegen die 'Verschleierung' seiner schönen Verlobten? Es war zu erwarten, daß er sich darüber, daß sie ihre Schönheit nur einzig ihm zeigt, freuen würde." Die Mutter erklärte, daß er gesagt habe, er sei stolz auf ihre Schönheit und froh, daß er eine reizvolle Verlobte habe, deren Schönheit alle sehen sollten. ...Sie könne sich auch ohne 'Schleier' 'bewahren' und so sehe sie aus wie eine 50-Jährige, während er mit einer 20-jährigen Verlobten gesehen werden möchte.

Hierzu fiel der um Rat gefragten May Shahin folgende Geschichte als Trost ein:
Eine schicke 40-jährige Frau und Mutter von vier Kindern entschloß sich, als ihre älteste Tochter ihr über den Kopf wuchs, ihre "enge Hose und offene Bluse" gegen Kopftuch und lange Kleider einzutauschen. Ihre Tochter begrüßte den Entschluß, aber ihr Mann war wütend und fragte: "Wie kann ich so, wie du aussiehst, mit dir zu Einladungen bei Ausländern gehen? Ich arbeite im Tourismus und diese Arbeit macht es notwendig, daß ich mit Europäern zusammenkomme, und deshalb mußt du vor ihnen sportliche oder elegante Kleidung anziehen." Als sie sich weigerte, heiratete er eine Europäerin, die Shorts und ausgeschnittene Kleider trug und mit Bikini schwamm.

May Shahin tröstete diese "anständige Frau" und sagte ihr, daß ihr Mann zu ihr, seiner Lebensgefährtin zurückkehren werde, auch wenn sie verschleiert sei, da er bald von dem "unbedeckten Fleisch" genug haben werde.

Nach wenigen Monaten benachrichtigte die Frau May Shahin, daß ihr Mann reumütig zurückgekehrt und jetzt liebenswürdiger als zuvor und stolz auf seine verschleierte Frau sei und "so sage ich der schönen Braut", endet May Shahin ihren Artikel, "nimm deinen Schleier nicht ab. Der Bräutigam wird zurückkehren und sich freuen über das Kopftuch und das lange Kleid."

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Der Schleier – ein soziales Phänomen
aus: "Basler Zeitung" vom 6.9.1991
von Hildegard Borg

Papyrus-Logo Nr. 11—12/91, p. 57

Auf dem Titelblatt einer Zeitschrift war kürzlich das Gesicht einer Frau abgebildet, die einen schwarzen Schleier trug, so dass nur ihre Augen sichtbar waren. Darunter stand zu lesen: Blickpunkt Islam. Dieses Titelbild illustriert sehr gut die gängigen Klischees, die bei uns über den Islam und besonders über die Frauen im Islam vorhanden sind. Ein ähnliches Bild ziert den Einband des Buches von Betty Mahmoody, «Nicht ohne meine Tochter». Schon allein wegen seiner großen Verbreitung wird es wohl kaum jemanden geben, der dieses Bild nicht kennt. (Siehe hierzu die Buchbesprechung Betty Mahmoudy – "Nicht ohne meine Tochter" – von Baraka Abou-Zeid –Anm. KFN.)

Durch solche Bilder wird die Vorstellung zementiert, der Islam verlange von den Frauen, sich zu verschleiern. Aber das entspricht nicht der Realität, denn nicht immer haben die Frauen in der islamischen Welt den Schleier getragen. Auch wenn er eng mit der islamischen Kultur verbunden ist, gibt es doch keine durch die Religion begründete Vorschrift für Frauen, sich zu verschleiern. Diese Bestimmung ist vielmehr gesellschaftlich bedingt und steht in direktem Zusammenhang zur Stellung der Frau in der Gesellschaft.

Der Schleier – keine «ur-islamische» Sitte

Zur Zeit Mohammeds beispielsweise konnten sich die Frauen völlig frei bewegen und auch jederzeit unverschleiert das Haus verlassen. Im Koran steht nirgends, dass sich Frauen verhüllen sollen. Es heisst lediglich, sie sollen sich beim Verlassen des Hauses etwas von ihrem Gewand über den Kopf ziehen, damit man sie als ehrbare Frauen erkennt und sie nicht belästigt werden.

Erst später wurde das Tragen des Schleiers üblich. Mit der Ausbreitung des Islam kamen die Araber in Kontakt mit der byzantinischen und persischen Kultur, wo die Frauen der städtischen Oberschicht verschleiert und zurückgezogen im Haus lebten. Durch den Wandel der islamischen Gesellschaft von der nomadischen in eine städtische wurden auch die Frauen zunehmend als Besitz angesehen, den man vor fremdem Zugriff schützen musste. Es wurde von den Frauen erwartet, dass sie im Haus blieben und nur verschleiert in der Öffentlichkeit erschienen. Doch diese Lebensweise, die wir als so typisch islamisch ansehen, wurde auch damals nur von den Frauen der Oberschicht in den Städten praktiziert. Die einfachen Frauen trugen keinen Schleier.

Zurückgezogen im Harem

Der Bereich des Hauses, in dem die Frauen vor anderen Männern «sicher» waren, wird auf arabisch «harim» genannt, ein Begriff, den wir als Harem kennen. Für mehr als tausend Jahre, vom achten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, lebten die Frauen in dieser Zurückgezogenheit, bis die Gesellschaft, beeinflusst von den europäischen Ideen der Emanzipation, wieder Frauen in der Öffentlichkeit akzeptierte.

Eine wichtige Rolle spielte dabei ein Buch, das der ägyptische Jurist Qasim Amin 1899 schrieb. Es trug den Titel: «Die Befreiung der Frau». Qasim Amin kam zu dem Schluss, dass es im islamischen Gesetz keinerlei Grundlagen gibt, die das Tragen des Schleiers rechtfertigen. Das Buch löste eine lebhafte Diskussion aus und trug viel dazu bei, das Thema Frauenemanzipation öffentlich zu machen. Grosse Verbesserungen für die Frauen kamen nach dem Ersten Weltkrieg. In mehreren islamischen Ländern entstanden Frauenbewegungen.

Frauen legen Schleier ab

Bezeichnenderweise waren es die islamischen Männer selbst, die ihre Frauen entschleierten, doch anfangs folgten sie ihren Aufforderungen nur zögernd. Ende des 19. Jahrhunderts legten in Ägypten die ersten Frauen, unterstützt vom Wohlwollen des Khediven Ismail, ihren Schleier ab. Vor allem aber war es Mustafa Kemal Atatürk, der 1923 aus der Türkei einen laizistischen Staat gemacht hatte und der die Türkinnen ermutigte, ihren Schleier abzulegen und aus dem Harem herauszutreten. 1935 erhielten die Perserinnen vom damaligen Schah das Recht, den Tschador abzulegen. Der marokkanische König Mohammed V. folgte diesem Beispiel im Jahr 1947.

Immer war westlicher Einfluss der Auslöser für diese Entschleierung der Frauen, galt doch der Westen als fortschrittliches Vorbild. So ist es auch kein Wunder, dass jetzt im Zuge der Abgrenzung vom Westen und dem Wunsch, dem westlichen Einfluss eigene kulturelle Werte entgegenzusetzen, die Frauen wieder vermehrt zum Schleier greifen.

Der Schleier – auch Protestmittel

So wird der Schleier zum Symbol für die gesellschaftliche Situation der Frau und zum Gradmesser für das Ausmass ihrer Freiheit. Doch der Schleier kann auch ein Mittel des Widerstands sein, wie beispielsweise 1978/79 bei den Demonstrationen gegen den Schah, wo die Frauen den Tschador bewusst als politisches Protestmittel einsetzten.

Auch zur Aufhebung sozialer Gegensätze eignet er sich, denn sowohl teure als auch ärmliche Kleidung verschwindet unter dem grossen Stofftuch. Besonders Frauen aus sozialen Unterschichten, vor allem in Nordafrika, nutzen diesen Vorteil.

Aber auch wenn wir immer wieder Bilder von verschleierten Frauen sehen, dürfen wir uns dadurch nicht täuschen lassen, denn ein Grosstei1 der Frauen bewegt sich weiterhin unverschleiert in der Öffentlichkeit. Allerdings könnte sich dies durch das Anwachsen des islamischen Fundamentalismus ändern, wenn die Männer auf dem Argument bestehen, das Tragen des Schleiers sei islamisch.

In diesem Fall hilft ein Blick in die Geschichte, wie es derzeit viele Musliminnen tun. Gebildete Frauen, wie beispielsweise die marokkanische Soziologin Fatma Mernissi tragen mit dazu bei, das von den Männern überlieferte falsche Bild im Interesse der Frauen zu korrigieren.

Die Autorin hat Islamwissenschaft und Geschichte studiert und mit Promotion abgeschlossen. Zurzeit lebt sie als freie Journalistin in Zürich. In deutscher Sprache sind von Fatma Mernissi u.a. folgende Titel erschienen:
    • Der politische Harem, Frankfurt a. M. 1989
    • Die Sultanin, Frankfurt a. M. 1991

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Leserbrief: Denkwürdiges aus dem Leben einer deutschen Muslime
von Abu Zeid

Papyrus-Logo Nr. 11—12/91, pp. 94—96

erst seit einem halben jahr bin ich in ägypten, und wie es ein neues land so mit sich bringt, gibt es eine menge dinge zu sehen, zu erfahren und natürlich auch zu lernen.
vor 7 jahren bin ich in deutschland aus eigenem antrieb, meinen ägyptischen mann lernte ich erst später kennen, zum islam übergetreten. als ich herkam, kannte ich die ägyptische mentalität in erster linie aus eheerfahrung und war somit neugierig auf die ägypter und ihr land und ihr leben.
ägypten ist weltweit bekannt für seine gastfreundschaft, und auch ich habe diese im umfangreichen maße kennengelernt. daher traf mich folgendes denkwürdiges geschehen ziemlich unvorbereitet, doch nicht etwa mit ägyptern, sondern mit deutschen landsleuten. hätte ich das vorher bedenken sollen? doch hören sie selbst:

bei einem treffen, das regelmäßig von ca. 10 deutschen frauen und 1 mann abgehalten wird, erschien ich mit kopftuch, für mich in deutschland wie hier selbstverständlich und unproblematisch. ich bemerkte nichts von der unruhe, die ich damit auslöste. nachdem ich dann aber auch noch die käse- und leberwurstbrote ablehnte, wieder ohne mir etwas dabei zu denken, denn ich war einfach satt, fragte mich die Gastgeberin, "ob ich denn nie etwas bei anderen leuten esse". ich konnte kaum meine eigene verwirrung begreifen, da platzte die Gastgeberin mit dem eigentlichen grund ihrer unruhe heraus: "ja, wissen sie, ich muß das einfach mal so fragen. ich bin etwas schockiert, wenn sie so dasitzen, weil wir hier ein freier kreis sind, und ich weiß ja nicht, ob dies dann der richtige kreis ist." sie sprach das Wort "kopftuch" nicht aus, sondern machte nur die passende handbewegung.

ich war dermaßen schockiert, daß ich nicht mal mitbekam, daß alle diese bemerkung hörten (das erfuhr ich erst später). meine antwort war klein und stammelnd: "ich bin doch gerade erst angekommen." den rest des abends war ich mundtot, wollte eigentlich gehen, blieb aber wie gelähmt sitzen. doch das ist noch nicht das ende. 4 wochen später kam ein anruf mit der bitte, daß ich nicht mehr kommen sollte. das wäre nach vielen Telefonaten und einem extra anberaumten treffen ein gemeinsamer beschluß der gruppe.

so, da stand ich nun mit meinem erlebnis und mußte mir die frage stellen, was sollte das eigentlich und was habe ich damit zu tun?
es war selbst an diesem besagten abend zu spüren, daß es nichts mit meiner person zu tun hat, denn dazu war die bemerkung zu spontan. trotzdem bin ich nicht nur eine zufällige figur in dieser begebenheit, denn ich besitze die frechheit – und bin mir dieser frechheit durchaus bewußt – darüber zu schreiben, weil ich meine, so etwas sollte nicht passieren.
es geht mir nicht um anklage, sondern um klarheit. ich will verstehen können. doch hören sie selbst:

als begründung für meinen ausschluß wurde angebracht, daß man jegliche "demonstration einer religion" ablehne. ist es jedoch unter diesem aspekt dann angebracht, das treffen mit telefonnummer versehen im mitteilungsblatt der kirche, welches "begegnung" heißt, als anscheinend öffentlich darzustellen? und wäre das gleiche passiert, wenn ich eine kette mit einem kreuz getragen hätte? wohl kaum.

es geht also um den islam. es wurde von der angst vor dem aufkommenden fundamentalismus in diesem land gesprochen, und der golfkrieg hätte sein übriges dazu beigetragen. nun, wenn ich in einem schwarzen tschador, der nur die augen freiläßt, erschienen wäre, hätte ich vielleicht noch verständnis aufbringen können. aber bei meinem kleinen einfach gebundenem tuch ist der bezug zum fundamentalismus sehr weit hergeholt. zumal ich dazu hose und jeanshemd trug, was ja, und das sollte man dann schon wissen, von den fundamentalisten verboten wird. und ich lehne es ganz entschieden ab, in diese schublade gesteckt zu werden. ebenso entschieden lehne ich es ab, daß aus dem kopftuch ein politikum gemacht wird, und wo ich kann, will ich mich dem entziehen. für mich ist das tragen des kopftuches eine anordnung von allah, im koran festgehalten. ich habe mit dem tragen für meine eigene innere entwicklung sehr wertvolle erfahrungen gemacht und empfinde es in keinster weise als äußeres zeichen der unterdrückung. vor allem ist es für mich etwas, was sich zwischen ihm (allah) und mir abspielt, wenn ich entscheide, ob ich kopftuch trage oder nicht oder auflasse oder abnehme.

es stimmt natürlich, daß es teilweise schwierig ist, sich der politischen präsenz zu entziehen. doch unterstützt man sie noch, z.b. durch so einen ausschluß, muß man mit begriffen wie z.b. fundamentalismus sehr sensibel umgehen, besonders da anscheinend immer noch so viel unwissenheit über den islam herrscht, und bücher wie "nicht ohne meine tochter" und "flucht aus dem iran" das weltbild des islam nur weiter verzerren. ich bin mir sehr wohl im klaren darüber, daß es zwischen der reinen lehre des islam und dem, was unter dem namen islam läuft, differenzen gibt, doch tut das dem grundgedanken des islam keinen abbruch. das christentum weist eine ähnliche Geschichte auf.

in mir bleibt eine tiefe betroffenheit zurück, denn es sind so viele fragen offen, deren beantwortung man mir versagt hat.
auf welchen erfahrungen beruht diese intoleranz, die mir da entgegengebracht wurde? welche ängste sind das, die verhindern, die situation als ganzes zu betrachten? denn warum wurde z.b. nicht gesehen, daß ich meine rechte hand in gips hatte (was einer erschwernis beim binden des tuches ist)? warum mußte man mich gleich nach 10 min. mit dieser bemerkung überfallen, warum konnte man mir keine Gelegenheit geben, mich zu orientieren und zu entscheiden, ob ich das kopftuch vielleicht abnehmen möchte. wäre eigentlich die situation damit gerettet worden, wenn ich das kopftuch abgenommen hätte?
und hatte ich überhaupt die Möglichkeit, mich zu rechtfertigen? ich war das erste mal gast in diesem haus, hätte ich genauso spontan geantwortet, wäre ich vielleicht genauso unhöflich geworden.

ich frage mich, wo da unsere deutsche kultur und vor allem, wo das "selbstbewußtsein der freien europäischen frau" bleibt, wenn die innere aufruhr der gefühle so groß ist, daß nicht mal abgewartet werden kann, ob ich überhaupt ein zweites mal komme.

ein kompliment muß ich dennoch machen. der überbringer des beschlusses hat es in einer art und weise vorgebracht, die mir respekt abnötigt. es war eine klare sachliche mitteilung, die aber noch genügend raum für ein persönliches gespräch ließ. lag es daran, daß es ein mann war? ist es doch wahr, daß die männer es eher schaffen, mit der vernunft zu gehen und sich nicht gleich von gefühlen überwältigen lassen?

ich, mit meinen erst 29 Lebensjahren, empfinde mich als relativ jungen menschen, der noch mit all seinen idealen einer "besseren welt" durchs leben geht. ich bin bereit, realitäten anzuerkennen, aber ich hoffe, ich werde nie bereit sein, den inneren kampf mit mir selber aufzugeben, um geistig und innerlich offen zu bleiben und so an der möglichkeit einer "besseren welt" mitgestalten zu können. das leben ist ein ständiges sich wandeln. gerade das ausland, das fremde, das andere, gibt doch Gelegenheit, das eigene zu vergleichen, zu prüfen, zu modifizieren.

heutzutage ist es für muslime schwer, und für uns deutsche muslime im besonderen maße, positive aspekte des islam darstellen zu können, denn man findet kaum ein sprachrohr dafür. während bücher, wie die oben genannten, reißenden absatz finden.

ich kann nur hoffen, daß es mir gelingt, menschen zum nachdenken vor ihrem urteilen und handeln anzuregen. nichts anderes liegt in meiner absicht. ein seelenfrieden, der keiner ist, kann nicht bewahrt werden, und schon gar nicht auf kosten von idealen.

Leserbriefe
...geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder

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Leserbrief zum Beitrag "Denkwürdiges aus dem Leben einer deutschen Muslime"
von S. Ehlers-Jenkewitz
Papyrus-Logo Nr. 1—2/92, p. 103

In ihrem sog. "Leserbrief" schildert Frau Abu Zeid über zwei Seiten lang ein persönliches Erlebnis innerhalb der deutschen Kolonie. Sie bezieht sich aber überhaupt nicht auf einen vorhergehenden Artikel des PAPYRUS wie bei Leserbriefen üblich.
Erstens hätte demnach dieser dazu noch mit einem Titel versehene Text nicht unter die Rubrik "Leserbriefe" gehört. Zweitens hätte es der Redaktion des PAPYRUS deswegen gut angestanden, Mitgliedern des betroffenen Kreises Raum für eine Gegendarstellung des Vorfalls zu geben.
Jegliche Meinungsbildung des uneingeweihten Lesers über das von der Autorin angesprochene Geschehen gerät überdies lediglich ins Spekulative. Das von der Autorin erhoffte Ziel, der Leser möge sich bitte hochnotpeinlich berührt an den Kopf fassen, verpufft also völlig ins Leere.

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Leserbrief zum Beitrag "Denkwürdiges aus dem Leben einer deutschen Muslime"
von Siegrid el Gabbas
Papyrus-Logo Nr. 1—2/92, pp. 103—104

Liebe PAPYRUS-Redaktion,
Betroffenheit und Erstaunen löste der Leserbrief "Denkwürdiges aus dem Leben einer deutschen Muslime" bei mir aus.

Dachte ich doch, Deutsche im Ausland sind offener und vorurteilsfreier als in der BRD, besonders wenn sie in einem andersgläubigen Land Gast sind. Ganz gleich, ob sie sich den Lebensunterhalt hier verdienen oder mit einem Ägypter verheiratet sind, ganz gleich, welchen Glauben sie haben – Jude, Christ, Moslem oder Atheist – so lernt man doch in diesem Land vor allem eins: Toleranz.

Wenn ich als Deutsche diese Toleranz nicht mitbekomme, so ist das ein Zeichen von Engstirnigkeit – oder orientiere ich mich an neuen deutschen Strömungen, die alles Fremde und Andersdenkende ablehnen? Dann ist man in diesem Fall ja noch "human", indem man das Fremde in der Gruppe nur ausschließt und nicht bekämpft!

Ich setze natürlich voraus, daß der Sachverhalt richtig ist und würde gar zu gern die Argumentation der restlichen Mitglieder der Gruppe hören. Sicherlich sind auch dort Frauen aus Mischehen, vielleicht zum Islam übergetreten, wo blieb die Solidarität! Ganz abgesehen davon, daß ich jeden Andersdenkenden als Bereicherung in einem Literaturkreis ansehen würde – oder hat man Angst, von der rechten Denkweise abzukommen?

Wie kann man aber Frau Abu Zeid helfen, die gleich zu Beginn ihres ägyptischen Aufenthaltes so verletzt wurde. Es ist kein Trost zu wissen, daß noch viele unbedachte Worte im Laufe der Jahre folgen werden, denn verheiratet mit einem Ägypter und zum Islam übergetreten, sind zwei Gründe, die Spielraum zur Diskussion bieten, besonders wenn man den Kontakt zur deutschsprachigen Gemeinde sucht, ein durchaus verständliches Anliegen!

Da ich glaube, mit meiner Meinung nicht allein dazustehen sollten wir dieses "Denkwürdige" als "Denkanstoß" nehmen und uns vielleicht zu einer Diskussion zusammenfinden, welche zum Verständnis für alle Seiten führen könnte, denn wie Frau Abu Zeid richtig bemerkt: So etwas sollte nicht (wieder) passieren!

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Leserbrief zum Beitrag "Denkwürdiges aus dem Leben einer deutschen Muslime"
von U.Reinelt
Papyrus-Logo Nr. 1—2/92, pp. 104—106

Ist Allah ganz anders?
Nein, dies ist keine Replik auf das neue Buch von Sigrid Hunke und ihr Interview, das sie Al-Ahram gab (PAPYRUS Nov./Dez. 91). Ihre Bücher – und damit sei meine Position an den Anfang gestellt – las ich schon früher widerstrebend, mit wachsender Seitenzahl widerwillig, weil sie mir zu übertrieben schienen, zumal "Allahs-Sonne über dem Abendland".

Nein, ich versuche eine Replik auf den Leserbrief im letzten PAPYRUS, indem ich den Titel von S.Hunkes letztem Buch fragend als Motto verwende.

Als ich "Denkwürdiges aus dem Leben einer deutschen Muslime" las, dachte ich beim Titel unwillkürlich an die trocken-aufgeblähten Memorabilien des antiken Herrn Xenophon, denn was konnte sich schon unter einem blickverengenden Schleier Denkwürdiges ereignen. Bei der Lektüre der ersten Zellen dachte ich dann, das sei wieder so ein Papyronymus wie der über Echoven, dessen Verfasser die Maadianer allerdings textkritisch entziffern konnten: Wir Leser, dachte ich, sollten diesmal raten, wer sich hinter dem Kreis von "ca. 10 deutschen frauen und 1 mann" – alle ohne Kopftuch – verschleiere. Nun, die Denkwürdigkeiten machten bald Ernst und enthüllten von selbst, je weiter man las, desto mehr. Auf der einen Seite schlüpft die Verfasserin – stilistisch gekonnt und journalistisch begabt – immer mehr in die von ihr intendierte Rollenperson der edlen, zwar diesmal unterlegenen, aber nimmermüden Kämpferin für eine "bessere welt", wobei sie sich doch ein klitzekleinwenig als die Ideale anpreist, ja sogar ein wenig mit sich selber kokettiert ("denn ich besitze die frechheit und ich bin mir dieser frechheit durchaus bewußt"). In diesem Zusammenhang könnte man auch das ganze sprachliche Instrumentarium erwähnen, dessen sich die Kokettierende bedient, um ihre erbärmliche, erbarmenheischende Lage zu erhellen ("ich war schockiert; ich konnte kaum meine eigene verwirrung begreifen; meine antwort war klein und stammelnd; ich blieb wie gelähmt sitzen"; passim). Hier ertappe ich mich, wie ich den Leserbrief als literarischen Text mißbrauche. Man möge mir verzeihen, er ist ja auch – und darin liegt seine Verführung – so interessant verfaßt.

Auf der anderen Seite wird der Prozeß einer anderen Enthüllung beinah gnadenlos, weil mit mathematischer Präzision vorangetrieben. Gottfried Benns "mein wort ist mein messer" kommt mir in den Sinn. Die "intoleranz" des Kreises wird in den Werterahmen "selbstbewußtsein der freien europäischen frau" hineingespannt und von diesem recht hohen Anspruch aus, den die Verfasserin vorgibt, gemessen. Sie darf dies, denn sie beruft sich auf die Gastgeberin, die von einem "freien kreis" gesprochen hat, womit sie religionsfrei meinte. So haut es einen doch vom Hocker, wenn zutrifft, was sie berichtet. Da wird einer deutschen Muslemin, die von der begegnung angebotene Begegnung in einem Begegnungskreis sucht, nach 10 Minuten bedeutet, man sei schockiert wegen ihres Kopftuches, denn das passe nicht in einen freien Kreis. Nach vier Wochen sei sie, ohne daß man abgewartet habe, ob sie noch ein zweites Mal komme, angerufen und gebeten worden, nicht mehr zu kommen, mit der Begründung, daß man jegliche "demonstration einer religion" ablehne.

Mag sein daß die Unsicherheit im Golfkrieg und Meldungen über umtriebige Fundamentalisten, wie die Verfasserin selbst vermutet, Ängste geschürt haben, die damals bei uns allen und sicher auch in jenem Kreis umgingen, aber sicherlich hat die Ausgeladene, die neu im Lande war, in ihrer Unsicherheit und mit ihren Ängsten Wärme und Geborgenheit in einem Schutzkreis deutscher Landsleute gesucht.

Dazu haben begegnung und PAPYRUS eingeladen, ja ermutigt. Wie letzterer sich nicht nur an Archäologen richtet, so die Begegnung nicht nur an christliche Barhäuptige. Die Frauenkreise, Jugendtreffs, Literaturzirkel etc. sind für beide Kulturen, beide Religionen gedacht, nicht elitär, ausschließend, sondern kommunizierend, den (vielleicht kleinen) gemeinsamen Nenner suchend. Aber vielleicht lag die Ausladung, dachte ich zuerst, doch nur an der verschmähten (und beleidigten) Leberwurst. Ich kenne die Reaktion, wenn einmal zu Hause – sehr selten – das Essen nicht schmeckt. Auch ich wurde schon ausgeladen.

Aber in diesen Brennpunkt Kairo, dieser "Nahtstelle von Afrika und Asien, geschichtsträchtig für Juden, Christen und Muslime" (letzte begegnung S. 30) haben wir uns freiwillig und aus eigener Entscheidung heraus begeben, seinem Brennen sind wir ausgesetzt. Wenn wir angesengt werden, müssen wir lernen, damit umzugehen. Das gebrannte Kind scheut zwar, wie es im Sprichwort heißt, das Feuer, aber wir können uns im selbstgewählten Brennpunkt nicht vom Feuer zurückziehen, in gehöriger Distanz im elitären Kreise um das Feuer sitzend Heiligenlieder singen und zugleich mit dem Schürhaken in der Hand den Feuerteufel erwarten. Wir würden uns unglaubwürdig machen. Nein, wir sollten gelassen und souverän die sengende Hitze auf der Haut spüren und hie einen Stuhl und da ein Gebetbuch den Flammen überlassen.

Wir müssen es tolerieren, wenn der Bürgermeister von Kairo das Büro der "Arab Women Solidarity Association" (AWSA) schließt, die sich gegen den Schleierzwang wendet. Aber hier tolerieren wir schon nicht mehr Frau Abu Zeids Kopftuch, sondern die Politisierung des Islam, gegen die sich Frau Abu Zeid mit Recht wendet, auch wenn es, wie sie schreibt, "teilweise schwierig ist, sich ihr zu entziehen".

In einem Literaturkreis lernen wir zwar erkennen, daß Andri in Frischs "Andorra" von den Menschen des Dorfes als "der ganz andere" gewertet wird. Wir mißbilligen diese Wertung. Die Dummen wissen ja nicht, daß es in Wirklichkeit einer von ihnen ist, kein Judenbengel.

Für den "brennpunkt cairo" genügt das nicht. Wir müssen es hier auch umsetzen lernen, und zwar hinein in den täglichen Umgang, nämlich daß Mona mit dem Kopftuch eben nicht "die ganz andere" ist und Frau Abu Zeid hinter dem Kopftuch eine Deutsche. Das hat weniger mit Religion zu tun, wenn sich denn die "freien frauen" des Kreises deshalb frei fühlen, weil sie durch keine Religion geknechtet werden, das hat zu tun mit der Fähigkeit zur friedlichen Koexistenz innerhalb einer Gesellschaft, einer sogenannten Überlebensfähigkeit; früher und z.T. jetzt noch nennt man es Toleranz, die Stoiker der lateinischen Antike nannten es humanitas.

Immerhin haben die "ca. 10 frauen" ohne Kopftuch den "vernünftigen" Mann in ihrer Mitte beauftragt, die Frau mit dem Kopftuch auszuladen. Das erscheint mir hier in Ägypten – bei all dem Emanzengerummel und -gefummel in Deutschland – schon ganz gut umgesetzt. Denn hier haben die Frauen ohne Kopftuch ihre eigene Freiheit willentlich eingeschränkt, oder haben sie einen Dummen gefunden?

Noch besser erscheint mir, daß hier eine kühne Steuerfrau ihr Leserbriefschifflein aus dem stillen Papyrusdickicht ins stürmische Meer der Lesermeinungen steuert und zur Rettung der Schiffbrüchigen aufruft. Seit Heraklit ist alles in Bewegung. Umfunktionieren sind wir in Ägypten gewohnt. Begegnung kennen wir aus der Literatur. Sollten wir sie (die literarische Begegnung) nicht einmal umfunktionieren und in Bewegung umsetzen? Wie wäre es, wenn der Kreis sich für die Frau mit dem Kopftuch wieder öffnete? Allerdings müßte dazu der "1 mann" wieder herbei.

Der Verfasserin, Frau Abu Zeid, die ich nicht kenne, danke ich für ihren Leserbrief, der in Maadi jedenfalls für Bewegung gesorgt und eine lebhafte Diskussion entfacht hat.

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Leserbrief zum Beitrag "Denkwürdiges aus dem Leben einer deutschen Muslime"
von Margarete Hablas
Papyrus-Logo Nr. 1—2/92, pp. 106—107

Liebe Frau Abu Zeid,
seit einem halben Jahr sind Sie nun hier und schon Expertin im Vergleich volksmäßigen Verhaltens.
Was hat denn die so gern zitierte ägyptische Gastfreundschaft mit Ihrem geschilderten Erlebnis gemeinsam?

Stellen Sie sich vor, man hätte Sie in ein ägyptisches Haus geladen und Sie hätten nichts, was die Hausfrau speziell hierfür vorbereitet hat, angerührt. Die ägyptische Sitte würde nun der Gastgeberin gebieten, Sie so lange mit ihren Speisen zu traktieren, bis Sie sich – die weiße Fahne schwingend – "ergeben" hätten. Mit dem Ergebnis, daß sich die Gastgeberin in ihrer Hartnäckigkeit bestätigt gefühlt hätte, denn Sie der Gast hätten nun doch noch zugegriffen (während der Ärger dann auf Ihrer Seite gewesen wäre).
So etwas entspricht natürlich nicht deutscher Etikette und wird daher auch nicht angewandt. Vielmehr reagiert man, wie in Ihrem Falle, irritiert.

Ich gebe zu, es war sehr ungeschickt von der Gastgeberin ihren Ärger auf das Kopftuch zu schieben. Ihr Kopftuch war in dem Moment nur der "Aufhänger". Was sodann bei Ihnen – wie man sieht – auf fruchtbaren Boden fiel. Sind Sie sicher, daß das Tragen des Kopftuches in Deutschland für Sie unproblematischer und selbstverständlicher war? Wenn ja, warum haben Sie denn dann hier so empfindlich reagiert und gehen ganz massiv und allgemein auf die "deutsche Kultur" und das "Selbstbewußtsein, der freien europäischen Frau" los? Empfindlichkeiten entstehen bekanntlich nicht aus dem Nichts, sondern werden aufgebaut. Wenn Sie von ganzem Herzen überzeugt sind, den richtigen Schritt getan zu haben, warum lassen Sie sich dann in die Defensive drängen und fühlen sich gar als Opfer bzw. Märtyrerin gegenüber "deutscher" Intoleranz? Ich bin fast sicher, daß der besagte Kreis mit einer "gebürtigen" Moslema nicht so verfahren wäre. Sie als Deutsche unter Deutschen machen die Ausnahme. Sie stammen aus einem christlich geprägten Kulturkreis und sind zum Islam konvertiert. Natürlich hier, in einem islamischen Land, freut man sich von ganzem Herzen darüber, wenn ein/e Christ/in (hauptsächlich Europäer) zum Islam übertritt. Falls Sie aber wissen, wie man im umgekehrten Falle (Moslem zum Christ) reagieren würde, dann sollten Sie das Wort "Intoleranz" im Zusammenhang mit dem Unverständnis Ihrer Landsleute nicht benutzen und Deutschen zumindest ein Befremden über eine Deutsche, welche zum Islam konvertiert ist, zugute halten.

Sie haben ganz richtig die Angst des Westens vor Fundamentalismus geschildert, aber darum geht es ja bei ihrem Erlebnis nicht. Angst entsteht bekanntlich aus Unsicherheit bzw. Unwissenheit, die wiederum von gewissenlosen Geschäftemachern (Bestseller/Mahmoudy) und Propaganda-Journalismus geschürt wird. Was hier wie dort einem Nicht-Moslem (auch von Moslems) als "Islam" präsentiert wird, ist in Wirklichkeit eine Mischung aus Sitten, Tradition und individuellem Religionsverstehen. Sie können allerdings von einem normalen Zeitungsleser nicht erwarten, daß er hinter jeder Schlagzeile die Wahrheit (sprich "die reine Lehre des Islam") sucht.

Was mir persönlich auch in Deutschland immer wieder auffällt: Warum, frage ich Sie, warum nennen die konvertierten deutschsprachigen Moslems Gott "Allah" und nicht einfach "Gott". Uneingeweihte bekommen dann das unbestimmte Gefühl, es handle sich um einen anderen Gott und fühlen ein leichtes Flair von intellektuellen "Aussteigern", früher Guru, heute Islam.

Ich habe noch keinen "gebürtigen" Moslem, wenn er die englische oder deutsche Sprache gebrauchte, diese Ausnahme in der Übersetzung machen hören, man spricht allgemein in einer nicht-arabischen Sprache von "Gott" bzw. "God".

Liebe Frau Abu Zeid, ich wünsche Ihnen, daß Sie in engem Kontakt mit Ägyptern lernen werden, was so viele Deutsche in ihrer kurzsichtigen Fremdenhaß-Intoleranz-Selbstanklage gern übersehen, daß menschliche Schwächen und Stärken international sind, daß der Ägypter sich gar nicht so sehr vom Deutschen unterscheidet, seine Wertmaßstäbe sind nur andere. Wenn Sie das sehen, dann haben Sie schon einen Schritt zur "besseren Welt" getan, indem Sie die Menschen (auch Ihre Landsleute) nicht auf- und abwerten und nicht nach Ihren persönlichen Maßstäben (ver)urteilen.

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Verschleierung im Islam – Rückschritt oder gar Fortschritt?
von Magda El-Maghary

Papyrus-Logo Nr. 11—12/97, pp. 33—34

"So eine intelligente, gebildete Frau und trägt ein Kopftuch?"
Dieser kopfschüttelnde Ausspruch vieler Europäer oder Amerikaner hat mich dazu veranlaßt zu versuchen, ein bißchen Licht in diesen scheinbaren Widerspruch zu bringen.

Zuallererst möchte ich klarstellen, daß viele Moslems ihren Glauben, den Islam nur unzulänglich kennen und ihn mehr oder weniger von Familie und Umgebung übernommen haben. Dies führt dazu, daß er durch Traditionen und Bräuche verfälscht wird, was sein unterschiedliches Erscheinungsbild in den verschiedenen arabischen, "islamischen" Ländern beweist. Im Gegensatz dazu stehen mehrere Koranverse, in denen ganz eindeutig darauf hingewiesen wird, die Religion nicht zu übernehmen, sondern sie sich selbst zu erarbeiten, zu hinterfragen, so z.B. 2. Sure des Koran Vers 170.

Des weiteren werden zwei wichtige Leitsprüche im Koran leider ganz vergessen. Diese wären:

  • Es darf keinen Zwang im oder zum Glauben geben.
  • Du kannst niemals denjenigen zum Glauben bekehren, den du möchtest: Nur Gott bekehrt, wen er möchte. Dies bedeutet, daß du niemanden von diesem Glauben überzeugen kannst, es sei denn, es kommt aus ihm selbst heraus, von Gott also.

Dies sei nur kurz vorangestellt, aber nun zum eigentlichen Thema. Der Koran empfiehlt der Frau die Verschleierung aus zwei Gründen. Mit Verschleierung ist gemeint:

  • Haarbedeckung
  • Kleidung soll den Körper bis zu den Handgelenken und den Füßen bedecken, nicht figurbetont und nicht durchsichtig sein.

Da der Ausdruck "Verschleierung" einen etwas negativen Beigeschmack hat, bevorzuge ich die Formulierung "islamisch gekleidete" Frau. Der 1. Grund für diese Bekleidung ist der Schutz der Frau vor Anmache, Vergewaltigung u.ä. Denn eine "aufreizend" (ein sehr dehnbarer Begriff) gekleidete Frau bringt wohl mehr Männer auf unerwünschte Gedanken als eine islamisch gekleidete Frau. In ganz Europa scheint die sogenannte sexuelle Freiheit nicht weniger, sondern mehr Vergewaltigungsfälle produziert zu haben, da sich hier scheinbar das Problem der sexuellen Übersensibilisierung eingeschlichen hat.

Nun zum 2. Grund. Es ist wohl nicht von der Hand zu weisen, daß eine hübsche, den Schönheitsidealen unserer Gesellschaft entsprechende Frau die Bewunderung vieler genießt. Wohingegen eine nicht als "schöne Eva" geborene Frau viel Mühsal, Geld und Streß investieren muß, um in der Öffentlichkeit als Frau bestehen zu können und nicht abwertend als "halbes Mannsbild" denunziert zu werden. Dabei wird völlig übersehen, daß das Kompliment "so eine interessante Frau" viel mehr wiegen müßte.

Wenn man jedoch Bilder von Zeitschriften in der westlichen Öffentlichkeit betrachtet, egal mit welchem Inhalt, sei es politisch, sportlich, Motorrad- oder Autozeitschriften, so wird immer nur mit dem idealen Frauenkörper geworben oder besser ausgedrückt, die Frau wird mittels ihres Körpers vermarktet!

Genau dies soll durch die islamische Kleidung umgangen werden. In der Öffentlichkeit soll die Frau als Mensch betrachtet werden. Ihre Persönlichkeit, ihr Charakter, ihre Umgangsweise und last not least ihr Wissen sollen genauso wie beim Mann ihr Bild bestimmen. Im Islam hat die Frau genau wie der Mann das Recht, bzw. die Pflicht, sich auszubilden, wenn möglich zu studieren.

In ihrem Privatleben, sprich in ihrer Familie, braucht die Frau diese Kleidung natürlich nicht, da sie hier längst als Mensch anerkannt ist und deshalb ihr Frausein voll ausleben und das an- bzw. ausziehen kann, was ihr gefällt.

Nun stellt sich für mich als Frau die Frage, welchen Sinn es wohl haben mag, Werte wie z.B. zeitgemäße, ideale, oft utopische Körpermaße anzustreben. Sollten nicht erreichbare Ideale, wie Charakterstärke, ausgewogene Persönlichkeit usw., also Werte, die für die Gesellschaft wichtig wären, in den Vordergrund gestellt werden?

Dies geht für uns mit Hilfe der islamischen Kleidung, weil das weibliche Geschlecht nun einmal von Gott mit bestimmten Reizen erschaffen wurde, die je nach Gesellschaftsbild unterschiedlich bewertet werden. Zu Omas Zeiten waren rundliche, wohlgenährte Frauen hoch im Kurs, heute würde man sie als viel zu dick bezeichnen.

Als islamisch gekleidete Frau entziehe ich mich diesen veränderlichen Modeidealen, um von ihnen unbeeinflußt im öffentlichen Leben beurteilt zu werden.

Ich glaube somit nicht, daß die Verschleierung das Überbleibsel einer veralteten Gesellschaftsform ist. Viehmehr ist sie ein wichtiger Ansatz, um aus dieser hohlen, körperbetonten Gesellschaftsform herauszukommen und wieder zu Werten zu finden, die uns vorwärts bringen.

Punkt  Punkt

 
Leserbrief zum Beitrag "Verschleierung im Islam – Rückschritt oder gar Fortschritt?"
von Lore Becker
Papyrus-Logo Nr. 1—2/98, p. 74

Liebe Frau Magda!
Ihr Artikel über islamische Frauenkleidung hat mich sehr interessiert!
Aber zeigt nicht sowohl die leichtbekleidete und die weiblichen Schlüsselreize betonende westliche Kleidung als auch die islamische schwer bekleidete und die weiblichen Schlüsselreize verhüllende islamische Kleidung dasselbe Phänomen, nämlich daß wir vor der Erziehung des Mannes zu einem echt menschlich humanen Partner kapitulieren? Und das sowohl wenn wir uns für seine "Tugend!" (islamisch) verantwortlich fühlen, als wenn wir uns seine "Untugend" (westlich) zu Nutze machen und zu unserem Vorteil gebrauchen?

Das finde ich so aufregend an unserer menschlichen Daseinsform, daß sie nicht einfach von der Natur vorgegeben ist, sondern Menschsein muß immer durch Anstrengung hergestellt werden:

  • Ich Mensch darf nicht in Staub und Dreck schlafen wie Ochs und Esel und Hund, sondern soll mir ein sauberes Lager bereiten und eine Schlafkultur erfinden.
  • Ich Mensch darf nicht Nahrung aufnehmen und fressen wie Ferkel oder Löwe, sondern soll mir ein Mahl bereiten und es gesittet und feierlich, oft sogar kultisch, in Gemeinschaft mit anderen verzehren.
  • Ich Mensch darf mich nicht vermehren wie brünstige Tiere und mich auf den Partner zur Samenübertragung draufstürzen, sondern die Vermehrung soll eingebettet sein in ein hebendes und verantwortungsvolles Partnerverhältnis, d.h. Sexualität soll beim Menschen zu Liebe werden.

An dieser biologisch nicht vorgegebenen Humanisierung unseres Menschseins arbeiten wir unser ganzes Leben. Die betont entblößende als auch die betont verhüllende Frauenkleidung zeigt mir, wie wenig weit wir auf diesem Weg schon fortgeschritten sind.

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Leserbrief zum Beitrag "Verschleierung im Islam – Rückschritt oder gar Fortschritt?"
von Kirsten Abdel Rahim
Papyrus-Logo Nr. 1—2/98, pp. 75—77

Der Artikel in Heft 11—12/97 über die Vorzüge der islamischen Bekleidung hat mich nach mehrmaligem gründlichen Lesen wirklich in Fahrt gebracht, so daß ich nun in meiner ganzen hohlen Körperbetontheit in die Tasten haue.

Bevor ich auf die spezifisch islamische Argumentation der Autorin eingehe, möchte ich darauf hinweisen, daß die "typisch islamische" Frauentracht so typisch nicht ist – vielmehr ist sie ursprünglich auch dem jüdisch-christlichen Glaubensbereich eigen. Die Tracht christlicher Nonnen, wie auch die Kleidung der Jungfrau Maria in konventionellen Darstellungen, ist nicht zufällig identisch mit dem islamischen Bekleidungsideal. Bis zum Anbruch der Neuzeit trugen "keusche Frauen" ihr Haar in Europa bedeckt, lediglich unverheiratete Mädchen und Fürstinnen zeigten sich im Schmuck ihrer Lockenpracht. Und auf dem Land hat sich das Kopftuch bis nach dem 2. Weltkrieg gehalten. Übriggeblieben ist von dieser Tradition die Sitte, als Frau in der Kirche eine Kopfbedeckung zu tragen.

Was nun die Bekleidung betrifft, so durften unsere Urgroßväter sich glücklich schätzen, wenn sie unter einem langen Rock mal ein bißchen Fußgelenk sahen – anno dazumal schon ein Auslöser für erotische Phantasien, denn die "anständige" Frau zeigte von ihrem Körper nicht mehr als das Gesicht, und das sogar im Ehebett. Dem Gebildeten ist dies alles sehr wohl bekannt, und er wird daher auch eine islamisch gekleidete Frau nicht kritisieren.

Nun zu der Angabe, der Koran empfehle die Verschleierung. Nach gründlicher Durchsicht kam ich zu dem Ergebnis, daß lediglich in der 24. Sure, "Das Licht", Vers 32, die Bekleidung der frommen Frau besprochen wird, und zwar mit den Worten "...und daß sie nicht ihre Reize, außer was notwendig sichtbar sein muß, entblößen und daß sie ihren Busen mit dem Schleier verhüllen sollen". Die genaue Beschreibung, wie von der Autorin geliefert, ist Sunna, d.h. mündliche Tradition.

Das Besondere am Islam ist aber gerade seine Flexibilität, die es verhindert, daß Gebote zu Dogmen erstarren, die ohne jeden Einspruch hingenommen werden müssen. Eine eingehende Betrachtung der oben zitierten Koranpassage ergibt, daß von der Verhüllung der Reize gesprochen wird. Die Definition dessen was Reize ausmacht, bzw. als aufreizend gilt, ist nicht einfach "dehnbar", sondern abhängig vom kulturellen und zeitlichen Umfeld. Vor wenigen Wochen sprach ich mit einer verwitweten alten Dame, die inzwischen die Pilgerfahrt gemacht hat und ein Kopftuch trägt, sich aber noch lebhaft an ihren ersten Urlaub als junge Ehefrau in Alexandria erinnert. Damals, also vor ca. vierzig Jahren, waren Frauen und Mädchen in Badeanzügen oder Bikinis am Strand das Normalbild, und die schüchterne junge Frau erregte enormes Aufsehen, weil sie mit ihrer Galabiya im Meer badete, so daß sie schließlich einen Badeanzug kaufte. Im "übersensibilisierten" Europa guckt kein Mensch einem Paar nackter Beine hinterher, es sei denn, sie seien besonders hübsch – oder besonders häßlich. Und in Japan kann man sich verhüllen bis an die Fingerspitzen, nur wenn der Nacken zu sehen ist, werden Männer zu Vampiren! Interessant an oben zitierter Passage ist auch die Formulierung "Was notwendig sichtbar sein muß", diese Textstelle läßt ebenfalls Interpretation zu. Was ist mit all den berufstätigen Frauen, denen die vollständige islamische Tracht tatsächlich hinderlich ist – wie zum Beispiel Polizistinnen, Soldatinnen, Bäuerinnen, nicht zu vergessen so exotische Berufsgruppen wie die Perlentaucherinnen Südostasiens? Sollen die nun alle als unmoralisch gelten? Und was ist mit dem Sport? Bestimmte Sportarten stehen den radikalen Verfechtern der "islamischen" Bekleidung nicht offen – ist damit die Frau in ihrer Entfaltung gegenüber dem Mann nicht im Nachteil?

Nun zu den angeblichen Folgen der sexuellen Freiheit in der westlichen Welt. Es hat mich doch schon sehr empört zu lesen, daß die nicht "islamisch" gekleidete Frau vermutlich mehr Anmache oder Gewalt provoziert. Ich möchte die Autorin deshalb darauf aufmerksam machen, daß jede Form der Vergewaltigung ein Gewaltverbrechen darstellt! Es geht nicht um Sexualität oder Erotik, sondern um Macht, und deshalb trifft es keinesfalls "aufreizende" Blondinen in Miniröcken, die nachts über die Straße schlendern, sondern Greisinnen und kleine Mädchen, gehetzte Hausfrauen und Nonnen, ja sogar in Einzelfällen Männer! Nicht der Geschlechtstrieb, sondern Machtgier und psychopathologische Charaktereigenschaften zusammen machen den Vergewaltiger aus, denn sonst hätte er ja eine Prostituierte aufgesucht. Die Vorstellung, daß "einer anständigen Frau so etwas nicht passieren" könne, ist lediglich der Versuch, die schreckliche Willkür derartiger Verbrechen auszublenden und abzuwehren. Es passiert eben überall, wie ein Blick in die Zeitung lehrt, auch in Ägypten, und das nicht gerade selten. Und umgekehrt ist nicht jede westliche Frau "verfügbar". Wer einmal eine Sportveranstaltung, ein Freibad oder eine Sauna besucht hat, weiß, daß auch in der zügellosen westlichen Welt Männlein und Weiblein einander nicht mit anzüglichen Blicken umschleichen, abgesehen von der pubertierenden Jugend, die überall auf der Welt gleich ist.

Außerdem ist die Attraktivität auch bei den enthemmten Westlern nicht nur eine Frage der körperlichen Ausstattung. Wohl jeder hat schon absolut schrathäßliche Menschen kennengelernt, die so charmant, intelligent und vielseitig sind, daß man ihre Gesellschaft rückhaltlos genießt. Umgekehrt bleibt ein Ekel ein Ekel, unabhängig von seiner Kleidung und der Qualität seines Maskenbildners. Eine knapp bekleidete Person kann so uninteressant sein wie ein Laternenpfahl, während eine islamisch gekleidete Frau durchaus Sinnlichkeit ausstrahlen kann

Schlichtweg erheitert mich die Feststellung, daß die Frau innerhalb ihrer Familie unabhängig von ihrer Kleidung als Mensch gewürdigt wird. Wie jede gestreßte Ehefrau und Mutter weiß, ist gerade die Familie der Bereich, in dem man lange Durststrecken bar jeder Würdigung durchstehen muß, will man Leib und Seele seiner Lieben als Kindermädchen, Putzfrau, Köchin und Blitzableiter beisammenhalten. Und das gilt für das normale Familienleben. Für Frauen ohne Ausbildung und finanzielle Mittel kann das traute Heim schnell zum Gruselkabinett werden.

Zu guter Letzt stellt sich mir die Frage "Cui bono?" Wem nützen die von der Autorin propagierten Normen? Ob sie den Frauen zugute kommen, scheint mir fraglich, denn diese müssen auf Bewegungsfreiheit, Bequemlichkeit und bestimmte Tätigkeiten verzichten. Für die Männer sieht es anders aus: Heiraten sie eine "verschleierte" Frau, so haben sie eine gewisse Garantie für ein "schickliches" Benehmen ihrer Ehehälfte. Es gibt sogar Männer, die darauf bestehen, daß ihre Frau ein Kopftuch trägt, auch wenn sie es vor der Ehe nicht getan hat. Darüber hinaus bietet derartiges Normdenken vielen Männern eine Entschuldigung, wenn sie "nichtverschleierte" Frauen belästigen oder begrapschen.

Ob eine Person, Mann oder Frau, als Mensch angesehen und akzeptiert wird, ist meiner Meinung nach keine Frage der Bekleidung, sondern der Erziehung, und da gilt es, drei große Vorurteile zu bekämpfen:

  • "Männer werden nun mal von ihren Gelüsten beherrscht, und eine anständige Frau provoziert solche Reaktionen nicht."
  • "Weibliche Sinnlichkeit führt nur auf Abwege."
  • "Nur eine selbstlose, familiären Idealen hingegebene Frau ist gut."

Es ist gerade Sache der Frauen, in der Erziehung kommender Generationen dafür zu sorgen, daß Männer und Frauen menschlich miteinander umgehen und partnerschaftlich miteinander arbeiten können. Wenn wir unsere Söhne und Töchter so aufziehen, daß Freundschaft zwischen Männern und Frauen etwas Normales wird, dann haben wir die wirkliche Befreiung der Frauen – und der Männer – erreicht!

Punkt  Punkt

 
Leserbrief zum Beitrag "Verschleierung im Islam – Rückschritt oder gar Fortschritt?"
von Margarete Hablas
Papyrus-Logo Nr. 1—2/98, p. 78

Warum sollte "Verschleierung" einen negativen Beigeschmack haben. Ich würde sagen, man denkt bei "Verschleierung" an Orient, voller Geheimnisse oder auch an Religionsbewußtsein.
"Islamisch gekleidet" hört sich eher rebellisch an. Da haben wir es wieder, das alte Klischee: Die islamisch gekleidete Frau sieht sich als Mensch respektiert, während sie die anderen Frauen als Sexualobjekte abstempelt. Woher nehmen Sie eigentlich diese Arroganz.

Übrigens gab es diese "Mode" schon vor Herausgabe des Korans. Heute allerdings ist es das äußere Zeichen einer Religionszugehörigkeit. Der Schleier wird von Frauen angelegt, weil sie gläubig sind und versuchen, die Vorschriften des Koran zu befolgen. Wäre das nicht glaubwürdiger?
Der Gedanke, daß sie sich "islamisch" kleiden, damit sie durch ihre Persönlichkeit oder ihren Intellekt auffallen, käme ihnen gar nicht, denn sie wollen weder mit ihrem Körper, noch mit ihrem Charakter glänzen, sondern nur ihren religiösen Pflichten nachgehen.

Eine Frau, die sich geschmackvoll und modisch kleidet, muß nicht unbedingt hohl und körperbetont alle anderen Werte (was immer damit gemeint ist) vergessen haben. Zwischen "islamischer" und" aufreizender" Kleidung gibt es eine große Auswahl an dezenter, modischen Kleidung, die die Männer gewiß nicht auf unerwünschte Gedanken bringt? (Erstaunlich verbreitet bei hiesigen Frauen ist die Annahme, die Männer hätten nichts besseres zu tun, als ihnen dauernd durchs Fenster, durch oder unter die Röcke oder sonst wohin zu gucken. Sie können sich einfach nicht vorstellen, daß Männer auch andere Dinge in ihren Köpfen haben.)

Es ist auch nicht nötig, utopische Körpermaße anzustreben, denn es gibt elegante Kleidung für alle Damengrößen. Ich bin sicher, daß die Moslemas, die keine "islamische" Kleidung tragen, ebenso wenig – wie alle anderen Frauen – die Absicht haben, Männer auf schiefe Gedanken zu bringen. Auch sie werden, ob Sie es glauben oder nicht, als Menschen anerkannt, und das nicht nur zu Hause. Und vor "Anmache" wäre man geschützt, wenn die Mütter hier ihre Söhne besser erziehen würden, denn "Anmache" ist ein Männersport, der hauptsächlich in diesen Regionen mit Begeisterung ausgeführt wird.

Ob in Europa mehr Vergewaltigungsfälle vorkommen als hier (was hat sexuelle Freiheit eigentlich mit Kleidung oder mit Vergewaltigungen zu tun?), möchte ich dahin gestellt lassen. Den Unterschied sehe ich nur in der Handhabung der Medien. Hier würde niemals über sexuelle Vergehen so ausführlich – wenn überhaupt – berichtet, wie in westlichen Ländern, nach dem in Ägypten bewährten Motto: worüber man nicht spricht, das existiert auch nicht.

Wenn man von "Vermarktung" des Frauenkörpers spricht, sollte man nicht vergessen, daß Model ein sehr gut bezahlten Beruf ist, der auch hier sehr begehrt ist. Warum orientieren Sie sich eigentlich immer an der westlichen Öffentlichkeit'? Hier lassen sich die jungen Frauen auch "vermarkten" – sie singen und tanzen für sämtliche Produkte und führen die neuesten Modelle in Modeschauen vor. Wo ist da der Unterschied? Sie verkaufen die Produkte gewiß nicht mit ihrer Persönlichkeit oder ihrem Charakter, sondern mit ihrer Jugend und Weiblichkeit.

Man sollte endlich aufhören, zwischen westlichen und arabischen Frauen oder westlichen Lebensformen und arabischen Gesellschaftsformen Parallelen zu ziehen. Das westliche Mädchen wird zur Eigenverantwortung und Selbständigkeit erzogen, während das arabische Mädchen, welches in einer traditionellen, orthodoxen Gesellschaft aufwächst, zur Rücksichtnahme, Gehorsam und Verantwortung zur Familie, in deren Schutz und Obhut es lebt, erzogen wird.

Noch eine Bemerkung zum Schluß:

Man muß nicht unbedingt "islamisch" gekleidet sein, um sich auf "...Werte zu besinnen, die uns vorwärts bringen..." Unsere Gesellschaftsform – so wie sie ist – hat uns schon weit voran gebracht und ist gewiß nicht hohl oder nur körperbewußt. Da sich Lebens- und Gesellschaftsformen landesspezifisch unterscheiden, sind auch die anzustrebenden Werte (s.o.?) andere.

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Ausführungen zu meinem Artikel "Verschleierung im Islam – Rückschritt oder gar Fortschritt?"
von Magda El-Maghary
Papyrus-Logo Nr. 3—4/98, pp. 65—66

Ich muß sagen, daß mich das rege Interesse an meinem Artikel gefreut hat, die zum Teil stark emotionalen Reaktionen jedoch überrascht haben. Anscheinend sollte ich doch einiges klarstellen:

  1. Ich habe an keiner Stelle unislamisch gekleideten Frauen vorgeworfen, daß sie unmoralisch wären und möchte mich auch ausdrücklich davon distanzieren. Als Moslem steht es mir auch nicht zu, über einen anderen Menschen zu urteilen und ihn als unmoralisch u. ä. hinzustellen. Gott allein obliegt es, über uns zu urteilen!
     
  2. Natürlich möchte ich um Gottes Willen nicht behaupten, daß Männer nichts anderes zu tun haben, als Frauen anzumachen. Nein, es geht um etwas anderes. Um es mit den Worten der Biologie zu erklären: Bei den meisten Tieren fordert das Weibchen mit bestimmten Schlüsselreizen, seien es Farbe, Lockruf, Duft etc., das natürliche Balzverhalten des Männchens heraus. Beim Menschen ist es nicht viel anders. Mittels bestimmter Schlüsselreize versuche ich auf meinen Partner zu wirken und freue mich, wenn das Signal ankommt und ich ein Feedback bekomme. Was ist aber, wenn genau derselbe Schlüsselreiz von jemandem empfangen wird, den ich gar nicht gemeint habe? In diesem Moment bin ich empört, irritiert und empfinde es als Anmache, wenn er lächelnd auf mich zukommt.
    Viele Frauen sagen: "ich muß doch die Freiheit haben, mich so zu kleiden, wie es mir gefällt." Aber ist nicht das Prinzip allen freiheitlichen Denkens, daß die Grenze meines Freiheitsraumes an der Grenze des Freiheitsraumes meines Nächsten liegt?
    Ist es nicht manchmal so, daß durch das Betonen bestimmter Schlüsselreize und sich daraus ergebender Reaktion ich mich selbst und andere in peinliche und mißverständliche Situationen bringen kann? Natürlich gibt dies keinem Mann das Recht, Frauen anzumachen, egal, wie sie gekleidet sind.
    Dem Verschleierungsvers im Koran ist ein Vers an den Mann vorangestellt: "Sage den gläubigen Männern, daß sie manche von ihren Blicken zurückhalten und ihre Scham hüten sollen, das ist lauterer für sie. Allah ist ja dessen kundig, was sie fertigbringen" (aus der Sure 24 "Sure des Lichts", Vers 30).
    Natürlich hat ein Überangebot an solchen weiblichen Schlüsselreizen bei den meisten Männern zu einer starken Erhöhung der Reizschwelle geführt und damit zu einer Verminderung jeglicher Gegenreaktion. Dies hat sicher unabstreitbare Vorteile, aber leider auch Nachteile gebracht.
     
  3. Nun zu den relevanten Stellen im Koran.
    Vorab sei gesagt, daß es leider sehr viele Koranübersetzungen gibt, die zum Großteil entweder von Nicht-Muslimen oder der arabischen Sprache nicht perfekt Mächtigen durchgeführt wurden. Wer arabisch lernt und mit dem Wörterbuch arbeitet, weiß, wie viele zum Teil grundverschiedene Bedeutungen ein Wort haben kann.
    Ich empfehle eine Übersetzung, die in Kooperation mehrerer deutscher Muslime mit deutschsprachigen Arabern entstanden ist. Sie ist unter dem Titel "Die Bedeutung des Korans" im Bavaria-Verlag München erschienen.
    In Absatz 31 der Sure 24 ("Sure des Lichts") geht es um die Verschleierung:
    "Und sage den gläubigen Frauen, daß sie ihre Blicke senken und ihre Keuschheit wahren sollen und ihren Schmuck nicht zur Schau stellen sollen außer dem, was davon sichtbar wird..."
    Der Begriff Schmuck wird von allen Gelehrten als der erworbene Schmuck, im Gegensatz zum natürlichen Schmuck definiert, womit die Frau sich zu verschönern sucht... (Al Qurtubi).
    Aus der Sunna, die laut Koran für Moslems genauso verpflichtend ist wie der Koran selbst, ist die Überlieferung des Propheten bekannt, als er zu Asmaa, der Schwester seiner Ehefrau Aischa, sagte: "O, Asmaa! Wenn die Frau die Geschlechtsreife erlangt hat, dann sollte nichts von ihr zu sehen sein außer diesem:" Und er zeigte auf sein Gesicht und seine Hände (Gutb).
    Der 2. Vers befindet sich in Sure 33 ("Sure mit den Gruppierungen"), Absatz 59:
    "O Prophet! Sage deinen Frauen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, daß sie ihre Übergewänder über sich ziehen sollen. Das ist eher dazu geeignet, daß sie erkannt und nicht belästigt werden..."

Die Verschleierung gehört nicht zu den 5 Grundpfeilern des Islam. Aber sie gehört genauso wie Wahrheitstreue, Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit, Rücksichtnahme auf andere, Ehrung und Verpflichtung gegenüber den Eltern und, und und... zu Prinzipien des Islam, und die meisten dieser Prinzipien spiegeln sich in allen Religionen und Gesellschaftsideologien wider, unabhängig von der zeitlichen Epoche. Wenn jemand gegen eines oder mehrere dieser Prinzipien verstößt, so darf er nicht als ungläubig oder unmoralisch bezeichnet werden, denn niemand weiß, welche Gewichtung Gott bei der Beurteilung vornimmt. Wir wissen nur, daß Gott barmherzig, gut und verzeihend ist.
Mit meinem Artikel will ich keineswegs zur Verschleierung bekehren, sondern will vielmehr eine vielen unbekannte Denkweise etwas vertrauter machen. Weder mir noch irgendeinem anderen Menschen steht es zu, über andere zu urteilen, egal, welchen Glauben sie haben. Nur Gott allein weiß, was in jedem Menschen vorgeht und wie er wirklich ist.

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"Nach der Operation bist du hübscher"
aus: "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 24.6.1991
von Michael Lennartz, gekürzt von Christa Afifi

Papyrus-Logo Nr. 1—2/92, p. 63

Kairo im Juni. "Noch heute werden mehr als 90 Prozent aller Mädchen der ländlichen Bevölkerung beschnitten." Mit dieser Tatsache schockierte Mahmoud Karim, ein bekannter Gynäkologe und Professor an der Ain-Shams-Universität in Kairo, seinen kleinen Zuhörerkreis bei einer Diskussionsrunde an der Amerikanischen Universität zum Thema "Weibliche Beschneidung in Ägypten". Die seit Jahrtausenden bestehende Tradition wird, von wenigen Ausnahmen abgesehen, einfach totgeschwiegen und gleichzeitig unvermindert fortgeführt. "Das Tabu ist Tradition", sagt Karim, der sich seit 30 Jahren bemüht, diese "sexuelle Gewaltanwendung" abzuschaffen, allerdings bislang wenig erfolgreich.

Die Gründe für die Beibehaltung der im Westen und in einigen aufgeklärten Kreisen in Ägypten für barbarisch gehaltenen Prozedur sind vielfältig. Mit dem Einverständnis religiöser Kreise werden sie vorgebracht von Müttern, die ihre Töchter beschneiden lassen, den beschnittenen Mädchen selbst, sowie von "Dayas", den traditionellen Geburtshelferinnen und sogar von einigen Ärzten. Die Männer verhalten sich eher neutral, da dies eine "Frauenangelegenheit" ist. Wenn sie dagegen sind, werden Väter manchmal von den weiblichen Mitgliedern der Verwandtschaft überstimmt.

"Meine Tante und ein Arzt erklärten mir damals, daß die Beschneidung notwendig für meine Zukunft sei und meine Heirat garantieren würde", berichtete die heute 34 Jahre alte Mona einer Sozialarbeiterin. Es sei wichtig, "rein" zu sein. Karmilia wurde mit falschen Versprechungen zur Beschneidung überredet: "Nach der Operation wirst du größer, hübscher, und deine Haut wird heil und sauber", sagte ihre Mutter. Die Ansicht, daß eine unbeschnittene Frau männlich sei, einen ungezügelten Geschlechtstrieb habe und zur Untreue neige, ist weit verbreitet. Viele Hebammen behaupten, die abgeschnittenen Teile seien häßlich und der Ehemann bleibe unbefriedigt. Die Dayas sind an einer Abschaffung der Beschneidung nicht interessiert, da sie daran verdienen.

Der Ursprung der Tradition liegt weit vor Beginn des Islam und des Christentums. Es wird vermutet, daß ihr alte afrikanische Pubertätsriten zugrunde liegen oder daß pharaonische Gebräuche sich im übrigen Afrika verbreitet haben. Obwohl die weibliche Beschneidung nicht islamischen Ursprungs ist, wird sie als "Sunna" (Tradition) gebilligt. Der Großmufti in Kairo, die oberste Gerichtsbarkeit des Islam, befürwortete sie im Jahre 1950 in einem religiösen Edikt wegen der "Wirkung": Nach gängiger Auffassung wird das Sexualbegehren der Frauen dadurch auf das "wünschenswerte" Maß hingeleitet. Beschneidungen dürfen nach dem heute gültigen Gesetz nur von Ärzten vorgenommen werden, die so genannte sudanesische Beschneidung ist verboten.

Nach Ergebnissen einer ausführlichen Studie, die Soziologen und Wissenschaftler vor drei Jahren geleitet haben, werden auf dem Lande 85% der kleinen Mädchen, Christen wie Muslime, zur Beschneidung zur Hebamme oder zu einem Friseur gebracht und nicht zu einem Arzt. Mediziner fürchten, daß unhygienische Bedienungen bei der Beschneidung Infektionen begünstigen.

Mawaheb El Mouelhy ist eine Gynäkologin der "Egyptian Familiy Planning Association", der einzigen Organisation in Ägypten, die ein Aufklärungsprogramm zum Thema weibliche Beschneidung betreibt. Sie hat eigene Patientinnen, die beschnitten worden sind, befragt, wie sie zu der Erfahrung ihrer Kindheit stünden und ob sie ihre Töchter auch beschneiden ließen. Nach den Ergebnissen von El Mouelhys Umfrage werden mehr als 60% der Befragten ihre Kinder dieser Operation unterziehen und nur 9% werden dies auf keinen Fall tun: "Es dient keinem Zweck", sagten die Frauen der Minderheit. Etwas mehr als zwanzig Prozent konnten sich noch nicht entscheiden. Die Ärztin sagte, daß die Sozialarbeit sich auf diese Gruppe konzentriere. Man müsse beharrlich auf sie einwirken und sie mit Tatsachen überzeugen. Es könne auch nicht gegen den Willen Gottes sein, so zu bleiben, wie Gott den Menschen geschaffen habe. Mit dieser Einsicht "schließen sich dann vielleicht mehr Frauen der Neun-Prozent-Gruppe an", hofft El Mouelhy.

Im Vergleich zur weiten Verbreitung der Tradition wird das Thema in der Öffentlichkeit verschwiegen. Im Jahre 1951 wurde darüber kurz in einem medizinischen Monatsmagazin diskutiert, danach 1959 im Gesundheitsministerium. In den siebziger Jahren haben einige Wissenschaftler vereinzelte Studien auf dem Lande geleitet. Obwohl die "Egyptian Familiy Planning Association" im Jahr 1980 ein Seminar über weibliche Beschneidung organisierte, fand die erste ausführliche wissenschaftliche Konferenz zu diesem Thema vor drei Jahren statt. Die Medien waren dazu eingeladen.

Die meisten Journalisten kamen auch, aber das Ergebnis wurde am folgenden Tag in der Presse nicht erwähnt. Hoffnung für Gegner der Beschneidung rief ein Bericht in der halbamtlichen Zeitung "Al Ahram" hervor, in dem der vor kurzem verstorbene und respektierte Journalist Salah Al Galal Beschneidungen bei Frauen als schädlich beschrieb.

Wie seinerzeit bei der Einführung einer Kampagne für Familienplanung geht es darum, daß die Regierung zunächst religiöse Gruppen und vor allem die geistigen Führer an der Al-Azhar-Universität, dem wichtigsten theologischen Zentrum der islamischen Welt, von der Sinnlosigkeit und Schädlichkeit dieser Praxis überzeugt. Erst danach kann ein von den Medien unterstütztes Aufklärungsprogramm beginnen. Dieser Meinung sind zumindest die Gegner der Beschneidung.

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Das Verbot der Mädchenbeschneidung
von Roland Krüger

Papyrus-Logo Nr. 3—4/98, pp. 43—44

Im Oktober 1994 flimmerte eine aufrüttelnde Szene über die Fernsehschirme in Ägypten und weltweit: Drei Frauen halten ein neunjähriges nacktes Mädchen auf einem niedrigen Hocker fest. Eine der Frauen verschränkt ihre Arme fest über der Brust des Kindes, die beiden anderen drücken mit Gewalt die Oberschenkel auseinander, um die Vulva zu öffnen, soweit es geht. Die Arme des Mädchens sind hinter ihrem Rücken zusammengebunden.
Ein Barbier spricht ein kurzes Gebet, dann breitet er Brot und Mais als Opfergaben auf dem Fußboden aus. Anschließend schneidet er die Klitoris des Mädchens mit einer Schere heraus. Das Mädchen weint und windet sich vor Schmerz, obwohl sie mit aller Macht festgehalten wird.

Was da vor dreieinhalb Jahren im amerikanischen Nachrichtenkanal CNN gezeigt wurde, war noch nicht einmal die schlimmste Form der Mädchenbeschneidung, denn es kann noch rabiater zugehen, bei der "pharaonischen" bzw. "sudanesischen" Beschneidung.
Bei dieser Variante werden den Mädchen nach dem Herausschneiden der Klitoris die kleinen Schamlippen entfernt und die großen Schamlippen bis auf die Haut ausgeschabt, bevor sie zusammengenäht werden. Die Öffnung, die für Urin und Menstruationsblut übrigbleibt, ist gerade so groß wie eine Erbse. Zum Schluß wird die erschöpfte Patientin angezogen und auf ein Bett gelegt. Nach gut fünfzehn Minuten ist die Prozedur vorbei, vorausgesetzt, der Barbier ist kein Anfänger und das Mädchen leistet keinen Widerstand.

Kurz bevor die Szene in einem Vorort von Kairo aufgezeichnet und anschließend von CNN übertragen wurde, hatte sich der damalige ägyptische Gesundheitsminister Ali Abdel-Fattah gebrüstet, solche Genitalverstümmelungen würde es in seinem Land schon lange nicht mehr geben.
Nicht nur er, sondern die meisten Ägypter wurden durch die Bilder wachgerüttelt. Heute streitet niemand in Ägypten mehr ab, was fast 14 Millionen der im Land lebenden Frauen widerfahren ist: Ein barbarischen Eingriff, oft ohne Narkose oder Desinfektion in dunklen Hinterzimmern durchgeführt, mit der Absicht, die sexuelle Lust zu mindern und die Frau ihrem Mann treu zu machen. Offizielle Schätzungen gehen davon aus, daß 97 Prozent der ägyptischen Frauen beschnitten sind – nicht alle so radikal wie oben beschrieben, aber eine teilweise Entfernung der Klitoris ist die harmloseste Variante.

Immer wieder wird die Beschneidung als typisch islamisches Phänomen verurteilt. Doch das ist falsch. Weder in Saudi-Arabien, noch im Irak oder im streng religiösen Iran wird dieses Martyrium praktiziert, es ist eine Tradition, die im Niltal zu finden ist. Der Großmufti von Ägypten, Sheikh Tantawi, betonte, dieser Brauch werde im Koran nirgends erwähnt. Nicht einmal der Prophet selbst habe seinen vier Töchtern eine Beschneidung zugemutet. Bei den koptischen Christen ist der Prozentsatz der beschnittenen Frauen genau so hoch wie bei den Moslems. Die Männer in der heutigen islamischen und christlichen Gesellschaft Ägyptens halten sich meistens bequem aus der Affäre heraus. "Beschneidung ist Frauensache", lautet ihr kurzer Reflex.

"Das eigentliche Problem ist mangelnde Aufklärung unter den wirklich Betroffenen", sagt die ägyptische Frauenrechtlerin Marie Assaad. "In den Dörfern müssen wir anfangen, den Frauen zu erklären, daß es falsch ist, was sie tun. Junge Mütter, die selbst noch dem Ritual unterworfen waren, müssen voller Stolz verkünden können, daß ihren Töchtern ein ähnliches Schicksal erspart bleibt. Erst im Dezember letzten Jahres verblutete wieder ein Mädchen während der Beschneidung", fügt Frau Assaad resignierend hinzu. "Die gesundheitlichen Probleme sind enorm", sagt der Frauenarzt Sherif Hamsa. "Am schlimmsten ist natürlich die 'sudanesische' Beschneidung, bei der die großen Schamlippen zusammengenäht werden. Manche Frauen können kaum noch Wasser lassen", berichtet er aus seiner Praxis. "Spätestens, wenn sie ein Kind gebären wollen, meist aber schon vor dem Geschlechtsverkehr, kommen die Frauen zu mir und bitten darum, daß ich ihnen die Schamlippen wieder auftrenne. Den meisten kann ich helfen, aber bei vielen ist die sexuelle Erregbarkeit unwiederbringlich abhanden gekommen."

Am letzten Sonntag des alten Jahres wurde in Ägypten die Beschneidung wieder einmal gesetzlich verboten. Bis zu drei Jahre Gefängnis drohen bei einem Verstoß gegen die Vorschrift – Ärzte, die das Gesetz nicht beachten, müssen ihre Praxis schließen. Schon einmal, im Sommer 1996, war vom neuen Gesundheitsminister Ismail Sallam ein solcher Beschluß erlassen worden, aber im vergangenen Juni setzte sich der fundamentalistische Sheikh Yussef al-Badri durch und ließ den Erlaß von einem Verwaltungsgericht annullieren.

Auch diesmal läuft der Streit wieder auf einen Konflikt zwischen fanatischen Religionsvertretern und aufgeklärten Richtern hinaus.
Lauthals verkündete al-Badri, der Gesundheitsminister würde beim jüngsten Gericht zur Rechenschaft gezogen.
"Genau diesen Konflikt wollen wir eigentlich vermeiden", schildert Marie Assaad das Hauptziel ihrer Arbeitsgruppe. "Hier geht es nicht um einen Streit zwischen dem Staat und unserer Religion, sondern um grundlegende Rechte für die Frauen."
"Das neue Beschneidungsverbot ist doch nur ein ganz kleiner Schritt zur Ausrottung der grausamen Tradition. Jetzt sind alle gefragt", fordert Frau Assaad. Während sich das Fernsehen viel zu spät auf eine effektive Aufklärungskampagne vorbereitet, sind die Islamisten und al-Badri längst zum Gegenangriff übergegangen: "Nichtbeschnittenen Mädchen wächst die Klitoris so groß wie ein Penis", predigt al-Badri, "kein Mann wird sie heiraten wollen, denn sie können keine Kinder bekommnen."

"Daß dieser Quatsch nicht stimmt, läßt sich ja noch leicht widerlegen", erzürnt sich Marie Assaad, "aber machen Sie mal den Leuten auf dem Land klar, daß eine Beschneidung keineswegs die Keuschheit und Jungfräulichkeit schützt. Und man muß auch an folgendes denken: Das Verbot bringt wieder ein paar Leute um ihre Einnahmequelle." Für weniger als 10 ägyptische Pfund (umgerechnet knapp 6 Mark) findet auch in den ärmsten Regionen keine Beschneidung mehr statt. "Können Sie sich vorstellen, was eine Person verdient, die täglich 30 Beschneidungen durchführt?", rechnet Marie Assaad vor. "So absurd es klingt, diese Menschen brauchen einen neuen Job. Wir haben keine Zeit zu verschenken. Die Opfer sind die Frauen. CNN hätte auch das Gesicht des Mädchens filmen können. Der Schnitt in die Seele der Mädchen ist auf Dauer gesehen noch viel tiefer als der zwischen den Beinen."

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Aufklärung tut Not
Kampagne gegen Beschneidung von Mädchen und Frauen hat Erfolg

aus: "Cairo Times" vom 17.—23.01 2002
von Heidi Saman, übersetzt von Petra Post

Papyrus-Logo Nr. 5—6/2002, pp. 42—43

Der jüngsten Ausgabe des "Social Science and Medicine Journal" zufolge ist die Zahl der Beschneidungen von Mädchen und Frauen in Ägypten in den letzten fünf Jahren zurückgegangen. Mitarbeiter des Bevölkerungsrats (Population Council) in Kairo und New York bestätigten, dass sich die Einstellung gegenüber weiblicher Beschneidung verändert hat, stehen doch immer mehr Frauen die Notwendigkeit diese Praxis in Frage.

"Selbst die Haltung beschnittener Mädchen ist nicht mehr eindeutig", stellten die Autoren dieses Berichts fest. 14 Prozent der beschnittenen Mädchen empfanden den Eingriff als unnötig, während sich 28 Prozent unschlüssig waren. Nach dem Demografischen Gesundheitsbericht von USAID für Ägypten für das Jahr 2000 unterstützen 75 Prozent der verheirateten Frauen weibliche Beschneidung, also immerhin sieben Prozent weniger als 1995, als es noch 82 Prozent waren. Bei den 11- bis 19-Jährigen reduzierte sich die Anzahl derjenigen, die beschnitten wurden, gegenüber 1995 um 15 Prozent, als noch 83 Prozent sich diesem Eingriff unterziehen mussten. Gleichzeitig verringerte sich der Anteil der Frauen, die angaben, auch ihre Töchter beschneiden lassen zu wollen, von 87 Prozent im Jahr 1995 auf 81 Prozent im Jahr 2000.

Ein weiteres Ergebnis dieser Untersuchung war, dass trotz der hohen Zahl von Beschneidungen in Ägypten es immerhin zehn Prozent weniger sind als in der Generation der Mütter. Eine bedeutende Rolle spielt dabei der Bildungsstand der Mütter. Nur 60 Prozent der Mädchen, deren Mütter eine Berufsausbildung genossen hatten, waren beschnitten, gegenüber etwa 100 Prozent derjenigen mit Müttern ohne Schulbildung. Im Vergleich dazu waren nur 30 Prozent der Töchter von Müttern, die eine weiterführende Schule besucht hatten, genital verstümmelt worden.

In städtischen Zentren war die Zahl der beschnittenen Mädchen geringer als auf dem Land; ebenso unter denen, die eine Schule besucht hatten.

Wenn auch die Zahl weiblicher Beschneidungen nach wie vor extrem hoch ist, spricht doch die abnehmende Tendenz für die Effizienz nicht-staatlicher Organisationen. Dr. Tawida Hamed Khalil, Mitglied der "Female Genital Mutilation" (FGM)-Taskforce in Maadi, einer Gruppe, die sich gegen Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen einsetzt, bestätigte den Rückgang weiblicher Beschneidungen in Ägypten und führte ihn vor allem auf die Arbeit der nicht-staatlichen Organisationen in Ägypten zurück. Die FGM- Taskforce ist eine interdisziplinäre Interessengruppe, die dem Nationalen Komitee für Bevölkerung und Entwicklung beratend und unterstützend zur Seite steht. "Viele feministisch orientierte Organisationen wie diese klären Frauen über die Gründe weiblicher Beschneidung und ihren soziologischen Hintergrund auf", sagte Frau Dr. Khalil. Darüber hinaus veranstalten staatliche Kliniken sowie der Nationale Frauenrat Seminare, in denen Frauen über die biologischen Funktionen weiblicher Fortpflanzungsorgane aufgeklärt werden. "Je besser Frauen über ihren Körper und die kulturell bedingten Gründe für weibliche Beschneidung Bescheid wissen, desto weniger sind sie zu diesem Eingriff bereit", erklärte Frau Khalil.

Ironischerweise betrachten Jungen und Männer weibliche Beschneidung nach wie vor als notwendig und sinnvoll. Der jüngste Bericht lässt kein Umdenken erkennen, weshalb die Aufklärung von Männern bezüglich der kulturellen und patriarchalischen Einstellung gegenüber weiblicher Beschneidung dringend erforderlich ist.

Bei der Beschneidung oder auch Genitalverstümmelung unterscheidet man zwischen der Klitoridektomie, bei der die Klitoris teilweise oder ganz entfernt wird, und der Infibulation, die die Klitoridektomie beinhaltet sowie die Entfernung der inneren und äußeren Schamlippen und bei der anschließend die Vulva zugenäht wird. In der Regel wird dieser Eingriff bei Mädchen im Alter von vier bis acht Jahren durchgeführt, gelegentlich aber auch kurz nach der Geburt oder irgendwann vor oder während der ersten Schwangerschaft. Klitoridektomien und Infibulationen haben in Ägypten eine lange Tradition, sowohl bei Muslimen als auch bei koptischen Christen, wobei Infibulationen vor allem im Süden des Landes vorgenommen werden. 1997 legte ein Bericht des amerikanischen Innenministeriums dar, dass 97 Prozent aller ägyptischen Frauen sich entweder der einen oder anderen Form von Beschneidung unterziehen mussten.

Weibliche Beschneidung hat ihren Ursprung in Afrika und wird dort auch weiterhin kulturell bedingt praktiziert; irrtümlicherweise wird sie u.a. in Ägypten als vom Islam vorgeschriebene Prozedur angesehen. In anderen muslimischen Ländern wie dem Iran, Jordanien, dem Libanon, Syrien und der Türkei wird weibliche Beschneidung nicht praktiziert. In folgenden afrikanischen Staaten wurde diese Praxis inzwischen verboten: Kenia, Senegal, Burkina Faso, Dschibuti, der Zentralafrikanischen Republik, Ghana, Guinea und Togo.

In Ägypten erließ Gesundheitsminister Ismail Sallam im Juni 1996 ein Dekret, das die Beschneidung von Mädchen und Frauen verbot. Diese Verfügung wurde vom Verwaltungsgericht Kairo bestätigt. Im Juni 1997 strengten acht muslimische Gelehrte und Ärzte einen Prozess gegen Sallam an, um das Gesetz von 1996 für nichtig erklären zu lassen. Die Gruppe argumentierte, ein Verbot der Beschneidung von Mädchen und Frauen überschreite die Amtsgewalt der Regierung und verstoße gegen die gesetzlich verbürgten Rechte der Ärzteschaft.

Während der gerichtlichen Auseinandersetzung billigte Muhammad Sayyed Tantawi, Scheich von Al-Azhar, das Dekret des Ministers und gab damit den Weg frei für die Abschaffung weiblicher Genitalverstümmelung. Im Dezember 1997 wandte sich die Regierung an das Oberste Verwaltungsgericht von Ägypten, das bestätigte, dass der Islam keine Klitoridektomien fordert und dass "weibliche Beschneidung den Geboten der islamischen Scharia zufolge nicht der Entscheidung des Einzelnen vorbehalten ist".

Somit unterliegt weibliche Beschneidung (wieder) ägyptischem Recht und ist auch dann verboten, wenn sie auf Wunsch der Eltern durchgeführt werden soll.

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Fingerzeig Zum 1. Teil von "Frauen in Ägypten"

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